www.Crossover-agm.de AGRO: Forthcoming
von rls

AGRO: Forthcoming   (Evolution Music/Südafrika-Import)

Ja, der Bandname schreibt sich nur mit einem g und nicht mit zweien. Wir haben es also vermutlich nicht mit einer Band im Stile von Biopanturahead zu tun, wenngleich die Deutung der Schreibweise mit nur einem g (also irgendwas mit Landwirtschaft) vermutlich auch in die Irre führt. Schauen wir uns die sechsköpfige Band also mal an: Drei der Mitglieder tragen monochrome schwarze Shirts, drei warten mit Bandshirts von Iron Maiden, Blind Guardian und Savatage auf. Traditionsmetaller also? Ja, prinzipiell schon. Aber da gibt es noch die diversen Unsicherheitsfaktoren, welche spätestens beim Einsetzen der Gitarren im bombastisch-schleppenden Intro, das der CD auch den Namen gab, die Einordnung erschweren: Die Gitarren sind nämlich nicht nur so fett abgemischt, wie es im Power Metal sonst allenfalls noch Metal Church auf ihrem Debüt und Morgana Lefay taten, sondern ohrenscheinlich auch noch heruntergestimmt. Und dann hebt Clifford Crabb in "Woken By Silence" zu singen an - und wir Schubladendenker beginnen urplötzlich die Band nach Göteborg zu verorten, wenngleich der Gesang eben nicht an ein hysterisches Kamel erinnert wie zu Frühzeiten von Dark Tranquillity & Co., sondern in tieferen, rauheren Gegenden schmirgelt, ohne aber Ausflüge in "richtigen" Death Metal zu unternehmen. Was ergibt sich also in der Summe? Man kann Agro in keine Schublade einsortieren, sondern allenfalls diffus mit diversen Bandmixturen zu arbeiten versuchen. Wie wär's mit "Stratovarius vermengt mit Sodom"? Oder "Rhapsody meets Exodus"? Das hilft alles nicht so richtig weiter. Vielleicht anhand der Coverversionen? Zwei sind's, aber auch die verunklären die Situation eher. Zunächst bekam Twisted Sisters "The Price" eine Ostrowski-Behandlung verpaßt (remember "Wie der Stahl gehärtet wurde"?), wobei Jonny Lindkvist von Nocturnal Rites als Gastsänger auftaucht, und dann haben sich einige Bandmitglieder offenbar deutscher Vorfahren erinnert (erwähnte ich bereits, daß Agro aus Südafrika stammen?) und diverses deutsches Liedgut verarbeitet. Das Grundgerüst bildet "Ein Prosit der Gemütlichkeit" (dementsprechend wurde der komplette Track auch "Ein Prosit" getauft), das aber mit "Oi, oi"-Schlachtrufen und diversen eigenen Ideen angereichert wurde und zudem ein typisches pseudobayrisches Folkloreoutro verpaßt bekommen hat. Die eigenen Ideen erzeugen dann Ergebnisse wie "Ist deine tochter achtzehn bitte kauf mir einen bier", und man hört Cliff ziemlich deutlich an, daß seine Muttersprache eben nicht die deutsche ist. Das ist der Stoff, aus dem Kultsongs gemacht sind und bei dem Wacken (wo die eigentlich mit Besucherstatus anwesende Band anno 2000 sogar schon mal gespielt hat, und zwar als spontaner Ersatz für die Ami-Deather Immolation, die kurzfristig ausgefallen waren) auch nachts um zwei noch toben würde, zumal das Ganze im Gegensatz zu den Elaboraten eines Onkel Tom herrlich unkalkuliert wirkt. Solcherart Kultfaktor besitzt das restliche Material der bereits vierten CD der Band nicht, aber auch das ist hochklassig genug, um auf dem umkämpften europäischen Markt locker bestehen zu können - man nehme nur mal den grandiosen, zwischen feistem Speed und ein paar geschickt plazierten Akustikbreaks pendelnden Quasi-Opener "Woken By Silence" als Exempel, den die Band in der Folge selbst nicht mehr übertreffen kann, wenngleich auch das siebenminütige "Culling The Meek" (mit einem fast klassischen Gitarrenthema als Grundschema der zweiten Hälfte des Hauptsolos), das kaum kürzere "Chalk Outline" oder "A Rule So Deformed" mit seinen prächtigen Gitarre-Keyboard-Unisoni zu überzeugen wissen. Der letzte richtige Knaller der CD lauert auch an letzter Setposition in Gestalt des extrem episch-ausgewalzten Fast-Instrumentals "The Tree II" (keine Ahnung, wo der zugehörige erste Teil zu finden ist, aber vermutlich auf dem schlicht "The Tree" betitelten Vorgängeralbum), während dessen über 10 Minuten man sich einfach nur auf eine Wiese legen und ins Blätterdach eines Baumes hinaufsehen möchte. Die ruhigeren Passagen dieses Songs erinnern trotz völlig anderer Herangehensweise etwas an das Therion-Meisterwerk "The Siren Of The Woods", und für den breitwandigen Schlußteil fehlen einem dann alle Worte. Hauptkomponist Shane darf sich also diverse Lobeshymnen ins Goldene Buch einschreiben lassen, aber auch Keyboarder Enoque Carrancho (als Co-Writer des Intros) und Cliff (der "Through The Chaos" im Alleingang konzipierte und Enoque außerhalb des stark nach besten Rainbow-Zeiten klingenden Hauptsolos gleich mal 'ne komplette Pause gönnt) können neben ihm bestehen. Frage mich übrigens niemand, wer das ist, der da in "Through The Chaos" die gepreßt-cleanen Vocals beisteuerte. Jonny Lindkvist? Der ist nominell nur im Twisted Sister-Cover dabei (obwohl das hier ihm durchaus ähnlich klingt). Cliff selbst? Wäre ungewöhnlich, da sehr weit von seinen sonstigen Artikulationen entfernt. Noch jemand anders? Vermekt sind zwar noch einige "guest artists", aber ohne eindeutige Zuordnung. Egal: Agro bieten mit "Forthcoming" eine auch optisch schön gestaltete über einstündige CD vollkommen eigenständigen und klischeefreien Metals, die man sich als von der Uniformität vieler heutiger Bands geplagter Hörer bedenkenlos in die Sammlung stellen kann, sofern man mit dem recht rauhen Gesang keine Probleme hat. Jetzt müssen Agro nur noch bei einem größeren deutschen Label unterkommen und hierzulande mal richtig touren - ein paar Festivalgigs sollten vielleicht aber auch so mal drin sein (auch wenn der 2000er Wacken-Gig businesstechnisch noch nichts Zählbares eingebracht hat) und die Fanbase vergrößern helfen (nicht nur aufgrund "Ein Prosit"). Für das aus dem Jahre 2003 datierende "Forthcoming" geht derweil der Daumen nach oben, und mit "Gouda Than Hell" (der Titel unterstreicht das Humorlevel der Band mal wieder prächtig) steht mittlerweile auch schon wieder ein neues Scheibchen in den Startblöcken.
Kontakt: www.agro-metal.com

Tracklist:
Forthcoming
Woken By Silence
Chalk Outline
The Price
Ein Prosit
Till Death
Culling The Meek
Through The Chaos
My Scars Are Real
At Liberty
A Rule So Deformed
The Tree II



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