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Christian Graf: Nu Metal & Crossover Lexikon
von rls anno 2003

Christian Graf: Nu Metal & Crossover Lexikon

Nu Metal boomt, keine Frage. Irgend jemand kam eines Tages auf die Idee, zur Abgrenzung der "alten" Thrashbands den Begriff "Neo Thrash" für die groovigeren, rap- und hardcorebeeinflußteren Kapellen einzuführen (was dann beispielsweise zu der paradoxen Konstellation führte, daß "Arise" von Sepultura noch als old school galt, während der direkte Nachfolger "Chaos A.D." schon ins Neo-Lager gerechnet wurde), ein anderer Jemand wandelte dies zu New Metal um, und bis zum Terminus Nu Metal blieb nur noch ein kleiner Schritt zu gehen, wobei allerdings mit jeder "Evolutionsstufe" eine stilistische Ausweitung der unter dem jeweiligen Terminus subsumierten Bands einherging. Dagegen ist der Crossover schon bedeutend schwieriger abzugrenzen - Christian Graf versucht's im Vorwort und verweist beispielsweise auf die grenzensprengenden Jazzmusiker der 70er zurück, vergißt aber beispielsweise die immens große Sparte der Kombinationen aus Klassik und Jazz (gleichfalls als Crossover bekannt) oder die erste Anwendung des Begriffes in der harten Musizierecke, nämlich die Kombination aus Thrash und Hardcore Mitte der 80er Jahre. Folgerichtig fehlen z.B. D.R.I. im Lexikon, wohingegen spätere Protagonisten des grenzensprengenden harten Musizierens wie die Red Hot Chili Peppers oder natürlich Rage Against The Machine ausführlich behandelt werden.
Grafs Verdienst ist es, in einem immer unübersichtlicher werdenden Dschungel an Nu Metal-Bands und immer neue Kombinationen entdeckenden Crossover-Formationen (wobei die letztgenannten der neueren Generation nur schlaglichtweise behandelt werden) einen Pfad zu hauen zu versuchen, damit man sieht, was jenseits des wogenden Korn-Feldes noch so alles mehr oder weniger auffällig blüht. Das geht dann bis zum Feature von einigen Demobands, die noch gar keinen offiziellen Release draußen haben, reicht aber auch nicht so weit, daß der Autor beispielsweise mal im christlichen deutschen Underground gegraben hätte (wo er zwangsläufig über Brain:FAQ hätte stolpern müssen). Überhaupt fällt auf, daß relativ wenige deutsche Bands vertreten sind (wo sind beispielsweise Weissglut?). Aufgrund des Lexikon-Charakters lohnt sich eine durchgehende Lektüre natürlich weniger, welche aber auch dadurch erschwert wird, daß die einzelnen Bandeinträge in kunterbuntem Wechsel aus Wortgruppen und ganzen Sätzen bestehen. Die Diskographien beschränken sich mit geringen Ausnahmen auf vollständige Alben, was der Übersichtlichkeit hilft, die Orientierung allerdings in den Fällen erschwert, wo sich unter den zahlreichen Coverabbildungen auch solche von Singles oder EPs befinden. Besetzungswechsel und Karrierestationen der einzelnen Bands versucht Graf in logische Folgen zu gießen, was ihm bis auf ein paar Ausnahmen auch gelungen ist.
Leider trüben einige inhaltliche Fehler den Gesamteindruck, die den Schluß nahelegen, daß die Szenekenntnis des Autors gerade dann, wenn er sich dem Sujet von der Metalseite nähert, einige Schwachstellen aufweist. So versteckt sich hinter Century Media keineswegs ein US-Label, das dann später Dependancen in zahlreichen Ländern, so u.a. in Deutschland, eröffnete - das Headquarter steht vielmehr in Dortmund und erfreut(e) uns seit mehr als einer Dekade mit größtenteils überdurchschnittlichen Veröffentlichungen, allerdings nur bedingt des Nu Metal, sondern eher der traditionelleren metallischen Musen (Namen wie Iced Earth oder Sonata Arctica sollen als Anhaltspunkte genügen). Ein Fehler der hundsgemeinen Sorte hat sich schließlich bei Incubus eingeschlichen - dort prangt nämlich neben anderen Coverpics der heute Incubus heißenden Band das Cover des Doppel-Re-Releases von "Beyond The Unknown / Serpent Temptation" einer christlich angehauchten Death Metal-Band, die schon seit Mitte der 80er Incubus hieß, bis 1990 besagte zwei Platten veröffentlichte und sich in den 90ern aufgrund der kommerziellen Erfolge der erst 1995 auf den Plattenmarkt getretenen heutigen Incubus in Opprobium umbenannte. So'n Lapsus hätte aber auch durchaus mal dem Lektor auffallen können (bestätigt aber meine o.g. These von der Übersichtserschwerung durch die Reduktion der Diskographien).
Sieht man über diverse Schwächen hinweg, bewährt sich das Lexikon aber als brauchbares Nachschlagewerk, das zudem auf www.schwarzkopf-schwarzkopf.de laufend upgedatet werden soll, da die szeneinterne Entwicklung mit einer gewaltigen Rapidität fortschreitet. Für Freunde der behandelten Genres also sicher nicht uninteressant, auch wenn die Frage offenbleibt, ob die Nu Metal-Kiddies von heute überhaupt was mit einem so "altmodischen" Medium wie einem Buch zu tun haben wollen. Die Verkaufszahlen werden's zeigen.

Christian Graf: Nu Metal & Crossover Lexikon. Berlin: Lexikon Imprint Verlag 2002. ISBN 3-89602-515-5. 320 Seiten. 15,90 Euro
 






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