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Saxon, Phil Campbell And The Bastard Sons   04.12.2016   Leipzig, Hellraiser
von rls

Unzählige Male sind Saxon zusammen mit Motörhead auf Tour gewesen - damit ist nun in dieser Konstellation Schluß, seit Mikkey Dee nach Lemmys Tod das Ende Motörheads verkündet hat (eine Galionsfigur wie Herrn Kilmister zu ersetzen wäre ja auch alles andere als eine leichte Aufgabe gewesen). Während Dee aktuell bei einer anderen Bandlegende, nämlich den Scorpions, eingestiegen ist, hat Gitarrist Phil Campbell sein schon einige Jahre laufendes Nebenprojekt Phil Campbell And The Bastard Sons weiter angekurbelt - und ebenjenes agiert nun als Supportact auf der aktuellen Saxon-Tour. Und obwohl die Truppe auch eigenes Material geschrieben hat, rechnet mehr oder weniger jeder im Publikum damit, auch Motörhead-Songs vorgesetzt zu bekommen. Letztlich überrascht der Set mit fast mathematischer Durchstrukturierung: Im Wechsel erklingen jeweils ein Nicht-Motörhead- und ein Motörhead-Song, und nur gegen Ende wird die Regel einmal durchbrochen. Dabei nutzt Campbell allerdings die Chance, neben dem wohl unverzichtbaren "Ace Of Spades" eher weniger im Rampenlicht stehenden Motörhead-Nummern wieder auf die Sprünge zu helfen: Zwar sind auch "R.A.M.O.N.E.S." und der umjubelte Setcloser "Killed By Death" in zahlreichen Motörhead-Setlisten zu finden gewesen, aber "Born To Raise Hell" und "Nothing Up My Sleeve" besitzen schon ziemlichen Seltenheitswert, und das nur auf einem Filmsoundtrack veröffentlichte "Eat The Rich" dürften auch die eingefleischtesten Motörheadbanger kaum jemals live zu Gehör bekommen haben - der Soundtrack aber steht in so mancher Sammlung, der Song ist daher recht bekannt und stößt gleichfalls auf großes Interesse. Aber das sind noch nicht alle Coverversionen: Black Sabbaths "Sweet Leaf", laut Ansage Campbells Lieblingslied, kommt zwar ohne Hustgeräusche aus, ist aber mit zwei Gitarren dargeboten hochinteressant, und dann widmet Campbell kurz vor Schluß auch noch eine Nummer "all jenen, die wir im letzten Jahr verloren haben" - es erklingt Hawkwinds "Silver Machine", bekanntlich auch eine Lemmy-Komposition und eine weitere reizvolle Hörgelegenheit für alle, die Hawkwind nie live erlebt haben (und das dürfte die Mehrheit im Saal sein). Dazu kommen noch drei Eigenkompositionen der Bastard Sons namens "Big Mouth" (Opener), "Spiders" (dritter Song) und "Take Aim" (fünfter Song), die zwar kaum einer kennt, die aber eine durchaus gute Figur machen und sich stilistisch natürlich irgendwo zwischen Motörhead und Persian Risk einsortieren - von letzteren, bekanntlich Campbells Prä-Motörhead-Truppe, gibt es übrigens kein Material im Set, auch wenn mancher Undergroundfanatiker das vielleicht erhofft hatte. Aber auch so gerät das Ganze zu einer stimmigen Rockparty, dargeboten von exzellenten Musikern. Die kommen, so der Sänger, allesamt aus Wales, wo auch Campbell herstammt, und sind in einem Alter, wo sie durchaus seine Söhne sein könnten. Der Zweitgitarrist, der auch einige der Soli übernimmt, ähnelt dem Bassisten dabei so sehr, daß man Verwandtschaft anzunehmen geneigt ist, und der Sänger, der sich die Ansagen mit Campbell teilt, fällt naturgemäß besonders auf: eine Art großes Kind, untersetzt, aber breitschultrig und irgendwie optisch an Chris "Hebbe" Hübner erinnernd, ausgestattet interessanterweise mit einer weichen, zugänglichen Stimme, die trotzdem zum Energietransport in der Lage ist und - das ist das Erstaunliche - auch in den Motörhead-Nummern erstaunlich gut funktioniert, obwohl sie Lemmys Rauhigkeit ganz und gar nicht reproduzieren kann und das auch nicht will. Da auch der Sound recht ordentlich ausfällt, feiert das Publikum das Quintett verdientermaßen ab, aber eine Zugabe ist trotzdem nicht drin, da schon mitten in den Schlußjubel hinein die Umbaupausenmusik angestellt wird. Die unterhält die Besucher übrigens auch prächtig: War man schon vor Gigbeginn von Uriah Heeps "Sweet Lorraine" begrüßt worden, so gibt es jetzt Maiden, Priest, Van Halen & Co., also das völlige Gegenprogramm zur bisweilen anzutreffenden Strategie, möglichst weit vom Liveprogramm anzusiedelnde Nummern aufzufahren.
AC/DCs "It's A Long Way To The Top" kommt anstelle eines Intros vom Band, dann steigen Saxon mit dem Opener und Titeltrack ihres aktuellen Studioalbums "Battering Ram" ein. Selbiges stellt später mit "The Devil's Footprint" und "Queen Of Hearts" noch zwei weitere Beiträge zur Setlist (interessanterweise sind das damit die ersten drei Nummern der Platte), die ansonsten dem Problem jeder altgedienten Band unterliegt: Was spielen, was weglassen? Biff Byford und seine Mannen lösen das Problem für sich, indem sie an jedem Abend die Setlist etwas variieren: So müssen wir in Leipzig beispielsweise auf "Power & The Glory" und "Broken Heroes" verzichten, die bei anderen Dates in den Tagen zuvor und danach erklingen, bekommen aber dafür "Dallas 1 pm" und das exzellente Epos "The Eagle Has Landed" serviert, was im Publikum auf großes Wohlwollen stößt. Mit "Never Surrender" kommt außerdem eine Rarität vom "Wheels Of Steel"-Album zum Vorschein, und "And The Bands Played On" widmet Biff Lemmy und all den anderen jüngst verstorbenen Musikerkollegen. Bis auch Saxon auf dem Bandfriedhof landen, wird aber hoffentlich noch eine lange Zeit vergehen - das Quintett präsentiert sich mit einer Riesenportion ansteckender Spielfreude, auch Biff ist mit seinen 65 Lenzen noch exzellent bei Stimme, und auch wenn bis auf den gewohnt quirligen Nibbs Carter am Baß eher wenig Bewegung auf der Bühne herrscht, so erwartet man solche hier auch nicht, zumal gerade Paul Quinn seit jeher eher zur scheuen, aber spieltechnisch natürlich trotzdem von der ersten bis zur letzten Minute überzeugenden Fraktion zählt. (Daß er optisch ein wenig an Magnum-Kollege Tony Clarkin erinnert, mag Zufall sein - aber auch der bewegt sich ja kaum auf der Bühne.) Heißt praktisch: Hier brennt absolut nichts an, alle Beteiligten sind fit und haben Spaß an der Sache, auch die jüngeren Songs fügen sich problemlos in die Setlist ein, und Biff beweist zudem Fannähe: In der Mitte des Sets wird ihm eine Kutte auf die Bühne geworfen - und er streift diese auch tatsächlich über, noch über seinen Armeemantel, in den er gehüllt ist, und behält diese Kombination trotz seiner witzigen Bemerkung "It's a little bit warm" bis in den letzten Zugabenblock auch tatsächlich an, dann signiert er die Kutte und gibt sie dem Besitzer zurück. Auch ansonsten hat der Fronter viel Spaß, reißt Witze (auch auf die Gefahr hin, daß er Antworten aus dem Publikum bekommt und sich dann vor Lachen kaum noch einkriegt) und führt souverän durch die Show, deren regulärer Teil mit "Wheels Of Steel" endet. Zwei Zugabenblöcke kommen noch, wie bei Saxon häufig mit demokratischer Publikumseinbindung, ob man lieber "Denim And Leather" oder "Crusader" hören wolle (Leipzig entscheidet sich für letzteres), nachdem mit "Solid Ball Of Rock" und dem eher selten gespielten "Strong Arm Of The Law" neben wie erwähnt "Wheels Of Steel" noch zwei andere Titeltracks von Klassikeralben im Hauptset gestanden hatten. "20,000 Ft", "747 (Strangers In The Night)" und "Princess Of The Night" komplettieren den Zugabenteil und runden ein mit relativ klarem, allerdings etwas zu lautem Klangbild ausgestattetes Traditionsmetalkonzert ab, das wieder einmal unterstreicht, daß Saxon noch lange nicht zum alten Eisen gehören - und der Rezensent, der sie das letzte Mal noch im vorigen Jahrtausend live gesehen hat (auch in Leipzig, aber im Anker), hofft, daß er sich noch das eine oder andere weitere Mal an ihnen erfreuen kann.
Eine kleine Bemerkung noch zum Zeitmanagement: Das ist im Hellraiser ja bisweilen etwas abenteuerlich - an diesem Abend aber stimmt alles minutengenau. Wer die auf der Homepage zu lesende Anstoßzeit 19 Uhr (bei einem Zwei-Band-Package!) für einen Scherz gehalten und sich erst deutlich später auf den Weg gemacht hat, verpaßt die pünktlich 19 Uhr loslegende Campbell-Truppe, die Umbaupause ist nicht überlang, und Saxon spielen schätzungsweise 100 Minuten, so daß der Rezensent Punkt 22 Uhr wieder in seinem Auto sitzt - auch der Rest der arbeitenden Bevölkerung in gesetzterem Alter, der trotz Anwesenheit auch etlicher Jungspunde das Gros des Fanpotentials stellt, weiß an einem Sonntagabend ein nicht zu spätes Nachhausekommen sicherlich zu schätzen.



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