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Axel Rudi Pell, Lords Of Black   09.09.2016   Leipzig, Hellraiser
von rls

Mit geradezu deutscher Gründlichkeit zieht Axel Rudi Pell seinen Stiefel durch: Alle zwei Jahre erscheint ein neues Studioalbum, und diesen Rhythmus pflegen der Wattenscheider und seine Begleiter mittlerweile schon fast zwei Dekaden, seit dem Einstieg von Sänger Johnny Gioeli. Die Zwischenzeit wird mit intensiver Livearbeit ausgefüllt, und obwohl Leipzig für traditionellen Hardrock nicht unbedingt das beste Pflaster ist, steht der Hellraiser auch anno 2016 wieder auf dem Tourplan. Und die Planungsfraktion wird belohnt - die Halle ist sehr gut gefüllt, was freilich mitten in einer spätsommerlichen Hitzeperiode auch Probleme hervorruft: Derart geschwitzt hat der Rezensent in dem knappen Vierteljahrhundert, das er nun schon auf Konzerte geht, noch nie, und auch Gioeli wird nicht müde zu betonen, daß er die Standfestigkeit des Publikums zu schätzen weiß und nicht als selbstverständlich erachtet, daß man in eine schweißtreibende Halle geht, anstatt den Tag gemütlich am nächsten Baggersee ausklingen zu lassen.
Als Spanier müßten Lords Of Black die Hitze eigentlich gewöhnt sein, aber der Sänger ist Chilene, und ohne genaue Kenntnis seiner Herkunft kann man da keine näheren Vermutungen anstellen, denn dieses Land erstreckt sich bekanntlich von den ultraheißen Wüsten der Atacama bis nach Feuerland, also kurz vor Antarktika. Trotzdem wundert man sich nach dem Gig: Dieser Mann ist der neue Sänger von Rainbow? Entweder Ritchie Blackmore hat Tomaten auf den Ohren, oder Ronnie Romero kann wirklich viel mehr, als er an diesem Abend zeigt. In Form ist er jedenfalls nicht, muß um die Höhen wie um die Tontreffsicherheit kämpfen und zeigt zudem ein allenfalls eingeschränktes stimmliches Spektrum. Richtig schlecht ist er natürlich nicht, aber richtig gut eben auch nicht, und dieses Urteil trifft auch auf gute Teile des Songmaterials von Lords Of Black zu: Midtempolastiger Traditionsmetal an der Grenze zum Hardrock erklingt und erweist sich als solide, aber eben keinerlei Bäume ausreißend. Einzige Ausnahme: das zehnminütige Epos "Ghost Of You", das demonstriert, daß die Band zweifellos spannende Kompositionen schreiben kann, aber offensichtlich viel zu wenig Vertrauen in die eigenen Stärken besitzt, und das, obwohl Gitarrist Tony Hernando mit Saratoga schon jahrelange Erfahrung und mit jenen durchaus starke Alben abgeliefert hat. Allerdings erschwert auch das gewöhnungsbedürftige Soundgewand das Nachvollziehen der Kompositionen: In den beiden Setclosern, die das Tempo nach oben schrauben, ist der Baß noch weniger zu hören als zuvor und kann seine Aufgabe, Gitarre und Drums als Bindeglied zusammenzuhalten, erst recht nicht erfüllen, und die Keyboards, die vom Band kommen, stehen akustisch so weit im Hintergrund, daß man kaum entscheiden kann, ob sie dem Songmaterial Impulse verleihen können. Zwar bleibt die Gesamtlautstärke im angenehmen Bereich, aber was nützt das, wenn die Gesamtbalance nicht stimmt? So bleibt selbst ein Song wie die Bandhymne "Lords Of Black", die an vorletzter Stelle des Hauptsets erklingt, seltsam diffus in der Wirkung. Das Publikum applaudiert trotzdem ziemlich intensiv und feiert den Zehnminüter sogar richtig (und verdientermaßen!) ab, aber nach dem letzten Ton verebbt der Jubel schnell. Trotzdem kommt die Band nochmal zurück und spielt "We Rock" - eine gefährliche Wahl, denn hier wird der Unterschied zwischen Ronnie I. (James Dio) und Ronnie II. (Romero) erst richtig deutlich, und Ronnie II. verliert den Direktvergleich klar. Zufälligerweise hatte der Rezensent das "The Last In Line"-Album am nächsten Abend im Autoradio, und das bestärkte ihn in seinem Urteil ...
Nimmt man die Hitze als Maßstab, müßten Johnny Gioelis Stimmbänder ja genauso oder noch stärker mit Problemen zu kämpfen haben. Das Gegenteil aber tritt ein: Der Amerikaner muß zwar an einigen wenigen Stellen auch kämpfen, und so ganz der Jüngste ist er ja auch nicht mehr, aber seine Gesangsleistung weiß fast durch die Bank weg zu überzeugen, er schäkert mit dem Publikum, und außerdem rennt er auf der Bühne hin und her, als würde er eine NYHC-Kapelle fronten, in die Keyboarder Ferdy Doernberg und Bassist Volker Krawczak optisch ja sowieso passen würden. Daß es musikstilistisch keine Überraschungen geben würde, war ja von vornherein klar, und so wird der Abend zur zweistündigen Lehrvorstellung für klassischen Hardrock Marke Deep Purple, auch wenn es diesmal keine eingewobene Coverversion gibt (zumindest keine, die der Rezensent erkannt hätte - "Oceans Of Time" mit der auch entsprechend zeppelinesk instrumentierten Zeile "and she's buying her stairway to Leipzig" abzuschließen geht nur als Gimmick durch). Pell kann es sich auch erlauben, gleich nach dem flotten Opener "Fire" (einer von zwei Songs, die das neue Album "Game Of Sins" stellt - der andere ist der Titeltrack, dem man zutrauen würde, sich auch bei folgenden Touren in der Setlist festzukrallen) mit "Fool Fool" das Tempo nachhaltig herauszunehmen, und nicht mal zwei getragene Nummern wie "Oceans Of Time" und "The Clown Is Dead" unmittelbar nacheinander lassen die Stimmung im Publikum sinken, was für die Klasse der Songs wie der Band spricht. Die ist im Vergleich zum 2012er Gig an gleicher Stelle an einer Position verändert: Auf dem Drumhocker sitzt nicht mehr Mike Terrana, sondern Rainbow-Veteran Bobby Rondinelli, der trotz seines Veteranenstatus keineswegs Altherrenbeats spielt, auch wenn man es vielleicht ihm zuschreiben kann, daß Pell live 2016 einen Tick unmetallischer und dafür hardrockiger klingt als Pell 2012 - aber vielleicht liegt dieser Eindruck auch an der Setlist, die wie beschrieben ziemlich stark auf epische Nummern setzt und dafür beispielsweise auf "Tear Down The Walls" verzichtet. Drum- und Keyboardsolo sind diesmal an passenderen Stellen eingebunden als 2012, und als man sich schon fragt, ob Pell, der wieder mal soliert wie ein junger Gott, diesmal auf "Call Her Princess" verzichtet, kommt die Nummer als zweiter Teil des von "Edge Of The World" eingeleiteten Setcloser-Medleys doch noch. Schade ist nur, daß man sich viel Mühe geben muß, um all die vielen meisterlichen Einfälle wahrzunehmen: Das Klanggewand wird lauter, aber nicht wesentlich besser, obwohl man den Baß nun als besser integriert empfindet. Dafür bleibt allgemein ein schwammig-diffuser Eindruck in den Tiefen, und obwohl die Höhen etwas klarer abgemischt sind, geht doch das Gros der Keyboardklänge irgendwie unter. Die allgemein positive Stimmung in der Halle bleibt freilich trotzdem erhalten, die Band wird abgefeiert, wie man das bei traditionellen Hardrockbands in Leipzig eher selten erlebt, und bedankt sich mit zwei Zugaben, von denen die erste wieder in Medleyform daherkommt und das Doppel aus "The Masquerade Ball" und "Casbah" episch auswalzt, während "Rock The Nation" in bewährter Weise den kernigen Schlußpunkt setzt. Gerne wieder!

Setlist Axel Rudi Pell:
Fire
Fool Fool
Nasty Reputation
Strong As A Rock
Oceans Of Time
The Clown Is Dead
Burning Chains
Keyboard Solo
Game Of Sins
Drum Solo
Mystica
The Line
Edge Of The World / Call Her Princess
---
The Masquerade Ball / Casbah
Rock The Nation



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