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Magnificent Music Festival   09.-10.09.2016   Jena, Kulturbahnhof
von jmt und rls

Die Berliner Bookingagentur Magnificent Music feierte 10jähriges Bestehen, der Jenaer Kulturverein Cosmic Dawn ungefähr knapp 5jähriges - ein passender Anlass, um die in guter Zusammenarbeit gewachsenen Bande für die Ausrichtung eines gemeinsamen Geburtstagsfestivals zu nutzen, eines Doppelfestivals: 2x4 Bands wechselten sich an 2 Abenden in 2 Spielstätten (Roadrunner's Paradise Club in Berlin und Kulturbahnhof in Jena) ab.
Und so zog es mich an jenem hochsommerlichen Freitagabend zum Jenaer Kulturbahnhof. Schon allerlei Jungvolk saß auf der Treppe davor, rauchte und trank Bier. "Sahara - arabic food" sorgte aus einem Imbisswagen heraus den Abend hindurch für Verköstigung. "Keep calm and eat Falafel."
Das Domizil des Cosmic Dawn im Erdgeschoss des Gebäudes ist eine liebevoll gestaltete dämmrige Höhle, die maximal 250 Menschen Platz bietet und im Lauf des Abends auch gut voll wurde. An der Wand ein Verkaufstisch, darauf hippiesk gestaltete Plattenhüllen: Offenbar erwartete mich eine Zeitreise in die späten Sechziger. Zur akustischen Einstimmung gab es schöne alte Blues- und Soulmusik von der Konserve.
Silverleaf aus Kopenhagen begannen fast pünktlich um 19:39 Uhr. Psychedelic Rock bezeichnet ihre Musik bestens: Schlagzeug mit sehr viel Beckeneinsatz, wabernder, manchmal fast orgelhafter Gitarrenklang, Blues, schleppender Groove, durchsetzt von Breaks und Hemiolen. Gitarrist Morgan trug die Andeutung eines Lemmy-Gedächtnis-Bartes und den exakt dazu passenden Gesichtsausdruck. Sängerin und Bassistin Lene - manch Jenaer Konzertgänger hat sie und Morgan vielleicht noch von ihrer Vorgängerband Fuzz Manta in Erinnerung - sang mit einer sehr rockenden, bluesigen, klangvollen Stimme - ich wünschte mir mehr solche Stimmen in der heutigen Rockmusik. Schade nur: Wo waren all die Headbanger geblieben? Viel zu viele im Publikum hielten sich leider den ganzen Abend an ihrem Bier fest. Bin ich zu alt, um das zu verstehen?
Umbau und Soundcheck gingen stets zügig vonstatten, so konnte es ohne Verzögerung nach Zeitplan weitergehen. Alle folgenden Bands einte ein Merkmal: Haare!
Bite The Bullet (ebenfalls aus Kopenhagen) versprechen auf ihrer Homepage "pure authentic Rock'n'Roll meant to be played loud!!", und das hielten sie auch - musste mich zur Erholung meiner Ohren erstmal etwas nach hinten in den "Windschatten" verziehen (und in einem späteren Gespräch einmal mehr feststellen, dass gerade bezüglich Lautstärke die Meinungen doch sehr auseinandergehen). Die Musik erfasste mich nicht unmittelbar, dabei war sie gar nicht mal langweilig, aber auch nicht herausragend. Solide gespielte Gebrauchsmusik (Gitarre, Bass, Schlagzeug, üblicher Rock'n'Roll-Schreigesang), hatte schon Drive, hätte man gut dazu abhotten können, tat aber fast keiner. Wenigstens die Musiker waren offensichtlich mit Spaß bei der Sache, der Sänger/Schreier kam ordentlich ins Schwitzen, zog schon nach dem ersten Lied sein Hemd aus.
Dann wurde es wieder psychedelisch: The Flying Eyes aus Baltimore/Maryland hatte ich vor Jahren schon einmal im Black Night erlebt - unglaublich verraucht war es da, hab' ich als wesentliche Erinnerung behalten. Hier nun konnte ich atmen und hören und sehen: Elias Schultzman (Lockenkopf mit Bartkoteletten) drosch fröhlich auf Trommeln und viele Becken ein; Adam Bufano (lockenumspieltes Novalisgesicht) wob dichte Gitarrenklangwolken, auch ~-gewitterwolken, auch ~~-wände, in einem Intro brachte er auch eine Singende Säge zum Klingen; Mat Hewitt (lange, dünne, langhaarige und bärtige George-Harrison-Gestalt) spielte Bass, Will Kelly spielte Gitarre und sang - die Rolle des Gesangs wird doch allgemein sehr überbewertet, diese Musik käme für mich gut ohne aus, sie groovte, spielte zuweilen mit komplexen Metren, manchmal gab es auch eine nette melodische Gesangslinie, die aber auch instrumental gut geklungen hätte - wozu braucht solche Musik gesungenen Text? Man konnte in Klang baden, sich von besonders harten Wellen an den Strand wirbeln lassen, eine reichliche Stunde und eine Zugabe lang.
KADAVAR aus Berlin: Haare! Bärte! Zurück zur Trio-Besetzung: Ein hünenhafter Bass-Bär (Simon "Dragon" Bouteloup), ein Tier am Schlagzeug (Christoph "Tiger" Bartels), von dem man nichts als wirbelnde Haare sah, ein unglaublich haariger und unglaublich bärtiger Sänger-Gitarrist (Lupus Lindemann). Die Musik war nicht neu, sondern im Gegenteil schön alt - überlegend, woher sie mir bekannt vorkam, fiel mir unter anderen Janis Joplin ein, aber ohne die markante Stimme von Janis Joplin. Vielleicht hätte ihre Begleitband so ähnlich geklungen, wenn der Gitarrist gesungen hätte. Nun wurde doch auch im Publikum etwas rumgezappelt, aber nirgends flogen die Haare so wild wie auf der Bühne.
Es ging auf Mitternacht, mich beschlich eine gewisse Müdigkeit, das mag man mir altem Mann und Familienvater nachsehen - aber die jungen Hüpfer um mich herum?! Mindestens zwei schliefen während des Konzertes im Stehen ein! Schon auch beeindruckend, sowas hatte ich bis dahin nur vom alten Somalier auf dem Holzmarkt gesehen.
Auch bei dieser Musik hätte ich auf den Gesang, obwohl mit ordentlicher Stimme vorgetragen, gut verzichten können. Außer im letzten (oder vorletzten?) Stück "Come Back Live": Da sang Lupus so schön mit seiner Gitarre im Duett, dass der täuschende Eindruck einer gesungenen Zweistimmigkeit entstand.
Halb eins war auch das letzte Konzert des Abends zu Ende. Nun legte ein DJ-Duo Platten auf. Tatsächlich richtige Schallplatten. Schöne Hippie-Musik, Rock'n'Roll alten Stils, paar Kuriositäten. Und jetzt wurde getanzt! Auf einmal! Der Tonmann Thomas F. (dessen den Abend über geleistete Arbeit ich an dieser Stelle ausdrücklich loben möchte) erklärte mir den Sachverhalt so: Vorher hätten die Leute aufmerksam zugehört und zugesehen, die Eindrücke hätten sich gesetzt, und nun könnten sie das Gelernte praktisch anwenden. Den witzigsten, spritzigsten Tanzstil beobachtete ich aber bei einem jungen Herren, der auch während des Konzertes schon viel Bewegung hatte: beim Schlagzeuger der Flying Eyes. Das ist auch schön an solch kleinen Konzerten/Festivals: dieses Miteinander. Keine Stars da oben und Fans hier unten, sondern einfach musikbegeisterte Menschen, die sich gemeinsam einen schönen Abend machen. (jmt)

Brother Grimm eröffnet den zweiten Tag mit etwa einer halben Stunde Verspätung - wie der Künstlername schon andeutet, handelt es sich tatsächlich um einen Einzelkämpfer, den zu kategorisieren gar keine so leichte Aufgabe darstellt. Vielleicht "Psychedelischer Ambient-Liedermacher"? Jedenfalls schaltet der Soundmensch das aus Endlosschleifen-Orgelgewaber bestehende Intro ein, während der Künstler erstmal noch nach draußen geht, um ein Rauchopfer darzubringen. Als er wiederkommt, geht er auf die Bühne und ergänzt den Orgelambient mit Megaphonvocals, bevor der Song a cappella endet. Ab Song 2 kommt dann eine Gitarre zum Einsatz, von der regelmäßig Elemente per Loopstation abgenommen und dann übereinandergeschichtet werden, was in Verbindung mit perkussiven Strukturen teilweise recht ansehnliche Lärmwände ergibt, kurioserweise auch als Intro der einzigen Ballade des Sets, die nach diesem Intro auf einem Barhocker sitzend zur Akustikgitarre vorgetragen wird und dem Habitus eines klassischen Liedermachers am ehesten entspricht. Der Rest des Sets besteht aus immer wieder neuen Variationen von Stimme, Gitarre und Perkussion, die sich überwiegend sehr langsam entwickeln und ihren psychedelischen Gestus einerseits daraus, andererseits aber auch aus der Stimmung der Gitarre beziehen. Das Ganze läßt sich mit dem Terminus "speziell" umschreiben - für eine halbe oder eine Dreiviertelstunde entfaltet das durchaus Reiz, aber über lange Strecken könnte es auch ermüdend wirken. Der Bruder Grimm wirkt anfangs relativ unnahbar, entwickelt sich später aber zur Plaudertasche mit Neigung zu trockenem Humor: "Heute vor 25 Jahren ist 'Nevermind' erschienen." Pause. Keiner im Publikum reagiert. "Das waren Nirvana, so 'ne Undergroundband." Auf seine Songs erhält der Künstler deutlich mehr Reaktionen, und nach einer strukturell unklaren Situation klettert er sogar nochmal für eine Zugabe auf die Bretter.
The White Dukes kommen aus Berlin (aus Berlin!) und outen sich als Pflanzenfreunde, sowohl per Ansage als auch im siebenten Song, der "In Love With Mary Jane" getauft wurde. Spätestens dann wundert man sich nicht mehr über die leicht entrückte Art des Sängers/Gitarristen, der in den Ansagen einen fast gelangweilten (oder, wenn man's positiv formulieren will, sehr entspannten) Eindruck hinterläßt, während es ja durchaus auch hätte sein können, daß der nölig-distanzierte Gesang stilimmanent gewählt wurde: Das Trio spielt Siebziger-Rock mit gewisser Grunge-Schlagseite, bisweilen kompakt ("Natural Born Troublemaker"), aber immer dann besonders interessant, wenn's ausufernd zugeht, etwa in "Devil's Kitchen" mit seinem urlangen, zwischenzeitlich geschickt in ruhigere Gefilde schaltenden Hauptsolo oder gleich darauf in "Monday Child", wo ein langes Instrumentalintro Spannung aufbaut und der epische Songaufbau gleichfalls überzeugen kann. Klang anfangs auch die Gitarre im Gesamtmix etwas zu distanziert, so behebt der Soundmensch dieses Problem bald und erzeugt ein exzellentes Klangbild: klar, energietransportierend, aber in annehmbarer Lautstärke. Auch so manches Tanzbein im Publikum beginnt bereits zu schwingen, bevor The White Dukes, bei denen übrigens der Enkel des großen Dirigenten Herbert Kegel trommelt, ihren Set mit "Take It Slow" beenden, trotz des Titels übrigens nicht im Doomtempo.
Wucan haben die Karriereleiter in den letzten Jahren systematisch nach oben erklommen und profitieren dabei einerseits natürlich davon, daß der Zeitgeist in den letzten Jahren diverse ähnliche Bands nach oben gespült hat (derzeit ist vor allem an die Blues Pills zu denken), arbeiten aber andererseits hart für ihren Erfolg und sind originell genug, um allen eventuellen Plagiatsvorwürfen wirkungsvoll zu begegnen. Welche Band dieses Genres (oder welche Rockband überhaupt) benutzt schon ein Theremin auf der Bühne? Klar, allein schon aufgrund des Querflöteneinsatzes denkt man das eine oder andere Mal an Jethro Tull - aber spätestens beim nächsten Gesangseinsatz fällt einem wieder ein, daß hier ja eine Frau singt, und sie macht das auf ziemlich expressive Art und Weise, die Töne häufig anschleifend oder nach hinten wegkippen lassend, aber das eben als Stilmittel benutzend und nicht, weil sie keine Luft mehr bekommt. Mit ihrem geringelten Oberteil und den kniehohen Stiefeln scheint die hübsche Sängerin auch optisch ein wenig aus der Zeit gefallen zu sein - in den Ansagen entpuppt sie sich allerdings als komplett geerdete, nette und zugängliche Person, die sogar einen Songwunsch aus dem Publikum erfüllt, obwohl die betreffende Nummer ewig nicht mehr geprobt worden ist. Im Direktvergleich mit den Blues Pills sind Wucan allein schon durch die erwähnte Instrumentierung deutlich vielschichtiger (dank einer abermals ausgezeichneten Leistung des Soundmenschen kann man so gut wie alles, was da zum Einsatz kommt, auch problemlos durchhören), und sie packen insgesamt weniger Blues in ihren Siebziger-Rock, sondern füttern diesen statt dessen mit etwas Achtziger-Hardrock. Tiefe bekommen sie anfangs hauptsächlich in die langsamen Passagen, aber auch der Speed gewinnt im Verlaufe des Sets an Ausdruckskraft. Nicht mal von einem Ausfall des Baß-Amps lassen sich Wucan stoppen - sie bringen den Song halt als Trio zu Ende. Mit "Franis Vikarma" werfen sie einen Blick auf ihre Debüt-EP und spielen ansonsten reichlich Material ihres Debütalbums "Sow The Wind". Erwartungsgemäß beendet dessen viertelstündiger Closer "Wandersmann" auch den Set - hier gibt's dann die einzigen kleinen Soundprobleme: Man versteht die in diesem Fall deutschen Texte kaum und die eingestreute Rezitation gar nicht, und in den hochintensiven Passagen im hinteren Drittel ist's dann doch einen Deut zu laut. Trotzdem arbeiten die Tanzbeine im Publikum sehr fleißig, und nur dem mittlerweile arg weit überschrittenen Zeitplan ist es geschuldet, daß die umjubelten Dresdner keine Zugabe mehr spielen können. Schade - blickt man auf die Setlisten diverser anderer jüngerer Gigs, ist uns vermutlich der Metallica-, äh Diamond-Head-Klassiker "Am I Evil?" durch die Lappen gegangen. Macht aber nix - so hat man gleich einen Grund, diese Band bei Gelegenheit abermals zu begutachten.
Siena Root fügen dem Feieranlaß des 10jährigen Jubiläums der Bookingagentur noch ein bandinternes hinzu: 20 Jahre sind der Basser und der Drummer, die als einzige von der Urbesetzung noch übriggeblieben sind, nun schon gemeinsam musikalisch aktiv. So wichtig diese beiden aber für den Bandsound sind, die größten Akzente setzen andere: der Keyboarder, der seine Hammondorgelklänge liebt, aber sich keineswegs auf diese limitiert, und der Gitarrist, der anfangs eher zurückhaltend agiert, im Verlaufe des Sets aber immer weiter aus sich herausgeht und mit teilweise endlosen, aber nie langweiligen Soli den nicht nur einmal an Deep Purple erinnernden Siebziger-Rock der Schweden prägt. Überhaupt sind es diese urlangen Nummern, die den stärksten Eindruck hinterlassen - eine interessante Parallele zu den erwähnten Briten, die ihre wahre Stärke auch erst dann zeigten, wenn sie die regulären Songstrukturen aufbrachen und zu zaubern begannen. Das ist an diesem Samstagabend bei Siena Root ähnlich: Zwar sind auch die ersten Songs wie "Dreams Of Tomorrow" oder "Between The Lines" alles andere als schlecht, und das Publikum schwingt schon hier fleißig das Tanzbein, aber der Genius beginnt erst ab "In The Kitchen" zu schweben, dem ersten Song, wo die besagte Strukturerweiterung zum Tragen kommt. Ein bißchen leid tun kann einem der Sänger, der drei Viertel des Sets nichts zu tun hat - aber das Problem hatte Ian Gillan auch schon, und der junge Schwede ist klug genug, seinen zaubernden Instrumentalisten nicht im Wege zu stehen. Deren Künste kann man dank eines abermals exzellenten Soundgewands auch jederzeit problemlos nachvollziehen - ein großes Lob an Thomas F. und den Rest der Technikfraktion für den ganzen Abend! Siena Root packen sogar einen neuen, noch unkonservierten Song aus, der klarmacht, daß mit stilistischen Bocksprüngen nicht zu rechnen sein dürfte, bevor sie zum Setende ganz weit in die Vergangenheit zurückschauen: "Words", dessen Text bei ihnen nicht mit "don't come easy" weitergeht, stammt vom 2004er Debütalbum "A New Day Dawning", und als sei das noch nicht genug, schiebt das Quintett, nachdem der Basser in einer Ansage den eingangs erwähnten 20-Jahre-Jubiläums-Fakt kundgetan und reichlich Applaus dafür geerntet hat, auch noch den Opener besagten Debütalbums, "Coming Home", nach - beide natürlich wieder in spielfreudigen ausladenden Endlosversionen. Nach solch Sternstunde läßt das Publikum trotz bereits über das Ende der Geisterstunde vorgerückten Uhrzeigers die Band natürlich nicht ohne Zugabe gehen und bekommt als Abschluß eines gelungenen Abends wie Festivals noch "Rasayana" vorgesetzt. www.magnificentmusic.de hält den Interessenten auf dem laufenden, wann mal wieder eine der Bands in der Nähe ist, und www.cosmic-dawn.de informiert über weitere Termine im Jenaer Kulturbahnhof und hält außerdem eine Fotogalerie zum Festival bereit. (rls)



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