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Götterdämmerung   30.04.2016   Leipzig, Oper
von rls

So, das war es nun. Alle Protagonisten sind tot, Walhalla vergeht ebenso im Feuersturm wie der irdische Teil der Zivilisation, und nur die Rheintöchter spielen wie eh und je - oder wie damals, als noch niemand auf die Idee gekommen war, ihnen das Rheingold zu entwenden. Jetzt ist dieses Rheingold in Gestalt des Ringes des Nibelungen jedenfalls wieder dort, wo es hingehört, und der letzte Schurke in Gestalt von Hagen treibt im Schlußbild den letzten Nagel ins Gebälk und geht mitsamt dem Ring unter, so wie sein mittlerweile zu großer Popularität gekommener Bruder im Geiste Gollum, wobei dessen Ringvernichtung allerdings kein Ragnarök, keine Götterdämmerung zur Folge hat, selbst wenn der kathartische Effekt beider Geschehnisse durchaus vergleichbar ist.
In der "Götterdämmerung" als Finale des Mammutwerkes "Der Ring des Nibelungen" zieht Richard Wagner erwartungsgemäß noch einmal alle Register - musikalisch wie dramaturgisch, wobei über die Entwicklungen in der Schaffenspause zwischen "Siegfried" und "Götterdämmerung" ein exzellenter Beitrag von Christian Geltinger im Programmheft für die Leipziger Inszenierung Auskunft gibt. Die hat am Vorabend des 1. Mai eigenständig Premiere und wird 2016 dann noch zweimal gespielt - dann jeweils als Bestandteil des kompletten Leipziger Ringes, der aktuell deutschlandweit allein auf weiter Flur steht.
So wie Wagner in der Dekade zwischen seinen letzten beiden "Ring"-Teilen gewisse Dinge an der Grundkonzeption geändert hat, so hat auch Regisseurin Rosamund Gilmore die Gelegenheit genutzt, die "Götterdämmerung" (trotz "geregelten" Turnus' von ziemlich genau einem Jahr) ein Stück weit von den bisherigen drei Teilen abzuheben. Auffälligstes Signal hierfür ist die Tatsache, daß die drei ersten Teile allesamt nahezu ohne konkrete Zeitbezüge auskamen. Das ist in der "Götterdämmerung" nun anders, denn hier prallt der nach wie vor zeitlose Naturbursche Siegfried auf die Zivilisation oder das, was die Menschheit für solche zu halten gedenkt. Bei genauem Nachdenken hätte man schon in den seriellen Bauteilen des Brünnhilde-Felsens Anklänge an die modernen Zeiten und den Urkonflikt zwischen diesen und den althergebrachten Zeiten (im Zeitalter von Pegida aktueller denn je) erkennen können, aber erst jetzt verwandelt sich der Felsen (nachdem die Nornen im Vorspiel noch klassisch zeitlos ihr Schicksalsseil spinnen, das dann reißt wie das der Whymper-Seilschaft 1865 am Matterhorn) in ein modernes Appartement mit Balkon, und schon dort paßt zwar Brünnhilde mit Nachthemd noch halbwegs hin, Naturbursche Siegfried aber definitiv nicht mehr. Der eigentliche kulturelle Zusammenprall ereignet sich dann aber mit den Gibichungen, die in einem modernen Glaspalast (mit enormer Höhenwirkung der Säulenhalle!) wohnen, diesen aber offensichtlich alles andere als verdient haben (sollten die ungeputzten Fenster Zufall gewesen sein? Sicher nicht). Auch Gutrune, die von ihren intriganten Familienmitgliedern mit in den Untergang gerissen wird, paßt dort nicht hin und fühlt sich ganz offensichtlich die ganze Zeit nicht wohl in ihrer Haut, während Gilmore Gunther als modern-verweichlichten Schwächling zeichnet, der keinerlei Verantwortung übernimmt und selbst als Salonlöwe nicht taugt, und Hagen dem Typ des Hedgefonds-Managers entspricht, dem jedes Mittel zur Wahrung des eigenen pekuniären Vorteils recht erscheint. Zwar sind auch das aus heutiger Betrachtungsweise zeitlose Typistiken, aber dem Bild, daß 97% der Inszenierung auch vor 100 Jahren so auf die Bühne hätten gebracht werden können, entspricht diese "Götterdämmerung" im Gegensatz zu den drei vorherigen "Ring"-Teilen nicht mehr. Das fällt, wenn man die Teile im Abstand von je einem Jahr sieht, natürlich nicht ganz so ins Gewicht, könnte sich aber durchaus als kleine Hypothek für eine zyklische Aufführung erweisen, so daß die Reaktionen gespannt abzuwarten bleiben (der erste der Zyklen endet justament, wenn dieses Update online geht). Interessanterweise nehmen die Mythischen Elemente bis zum Ende des zweiten Aktes eine sehr untergeordnete Rolle ein, leisten allenfalls Hilfsdienste, die aber auch verzichtbar gewesen wären. Erst im dritten Akt gewinnen sie wieder an Bedeutung, wenn sie Odins Raben in ihrer folklorisierten Form als Totenvögel visualisieren - und dann ist das Ende auch schon nahe: Hagen tötet Siegfried (der auf einem zuvor erlegten Hirsch abtransportiert wird), das Salonklavier wird zum Sarggestell und Scheiterhaufen zugleich, Brünnhilde leitet mit ihrem Suizid den Weltuntergang ein, die Rheintöchter holen sich den Ring zurück, und dann überrascht Gilmore mit dem Schluß: Es kommt nicht etwa zum Kampf Hagens mit den Rheintöchtern um den Ring, sondern die Rheintöchter verschwinden mit dem Ring im Rhein, und der schon angeschlagene Hagen tappt einfach hinterher und ist dann im Bühnenhintergrund genauso weg. Dafür verdient sich in dieser Szene Beleuchter Michael Röger ein Sonderlob für seine intensive Illumination des Scheiterhaufen-Klaviers - was für ein Unterschied zum lächerlichen Flämmchen, das neun Jahre zuvor in "Rienzi" für den Untergang zwar nicht der ganzen Welt, aber zumindest Roms stehen sollte!
Liest man nach der Aufführung noch die Pressebegleitmaterialien über die Sänger, staunt man die berühmten Bauklötze: Bis auf Rúni Brattaberg, der den Hagen schon mal in seiner Zeit am Mannheimer Theater gesungen hat, besteht der Rest des Gesangspersonals ausschließlich aus Rollendebütanten. Das muß man sich erstmal trauen - aber die Leipziger wagen und gewinnen, denn da offenbaren sich gleich etliche Trümpfe und jede Menge zumindest Grundsolides. Der einzige, der eher einen schwachen Eindruck hinterläßt, ist Tuomas Pursio als Gunther, aber vielleicht war das auch dramaturgische Absicht, denn wie erwähnt ist Gunther rollenseitig als Schlappschwanz gekennzeichnet, der natürlich auch nicht heldenhaft singen darf. Die drei Rheintöchter brauchen zwar eine Weile, bis ihr Triogesang sitzt, aber sie schaffen es dann doch noch, zu einer Einheit zu finden. Am anderen Ende der Skala stehen neben Brattaberg (nicht gewaltig, aber verschlagen-fies singend) Thomas Mohr als Siegfried mit einer starken Leistung sowie die zu Recht am stärksten gefeierte Christiane Libor als Brünnhilde, die die extrem fordernde Partie so gut meistert, daß sie auch ganz zum Schluß noch richtig viel Energie geben kann, wenn es denn sein muß. Als kleine Einschränkung ist zu bemerken, daß der Rezensent nur von seinem Platz aus urteilen kann, und dort hatte er diesmal vermutlich relativ spezielle Klangverhältnisse: Platz 8 in Reihe 2 befindet sich in ziemlicher räumlicher Nähe zum Tiefblech und den Pauken, und so kommt von denen sicherlich eine etwas größere Dosis an seinem Ohr an als auf anderen Plätzen - ergo relativieren sich vielleicht auch einige der Momente, wo sich selbst Libor keinen akustischen Platz mehr verschaffen kann, wobei Ulf Schirmer am Pult des Gewandhausorchesters aber auch so die Dynamikobergrenze ziemlich weit in die Höhe schraubt. Freilich verdient sich gerade das Tiefblech ein Sonderlob für seine lautmalerischen Talente von warm-romantischer Entrücktheit bis zu fiesestem Krach, während die Hörner vor allem im dritten Akt einige Unfälle produzieren. Dafür besticht eine andere Idee: Die Signale für die Doppelhochzeit Siegfried/Gutrune und Gunther/Brünnhilde, mit denen die Gibichunger-Verwandtschaft angelockt wird, spielen drei der Orchesterposaunisten auf der Bühne - und zwar auf extra dafür angefertigten Stierhörnern! (So ein Ding erinnert ein wenig an ein Alphorn, ist aber gerade, hat keinen gesonderten Schalltrichter und ruht vorderseitig auf den Schultern jeweils eines Trägers, da der jeweilige Spieler das Riesending sonst vorn auf dem Boden abstellen müßte, also die Bühnenbretter anbliese und nicht das Publikum.) Besagte Verwandtschaft wird vom Opernchor dargestellt, erscheint in Uniform und pistolenbewaffnet - noch eine Abweichung von der Zeitlosigkeit, allerdings eine exzellent choreographierte Massenszene, die an Bedrohlichkeit (solche Hochzeitsgäste wünscht man seinem ärgsten Feind nicht, obwohl sie zumindest eine quasi-militärische Disziplin an den Tag legen und nicht etwa wie Michael von zur Mühlens Holländer-Zombies die ganze Feier sprengen) wenig zu wünschen übrig läßt. Und daß Ulf Schirmer am Dirigentenpult ein prima Händchen für die Gestaltung düsterer Klangfarben besitzt, das weiß man nicht erst seit gestern, und beispielsweise der Übergang vom Vorspiel in den ersten Akt geht als weiterer Beweis für diese These durch. Übrigens verschleppt der Dirigent die Musik durchaus nicht - 5 Stunden und 45 Minuten Spielzeit (brutto) gibt das Programmheft an, aber um 21.45 Uhr betritt der Rezensent schon wieder den roten Premierenteppich auf der Freitreppe vor dem Opernhaus, obwohl er als einer der letzten Zuschauer den Saal verlassen hat, nachdem der Applaus zwar relativ intensiv ausgefallen war, aber doch auch schnell abebbte (das hat man bei den vorausgegangenen Ring-Teilen schon enthusiastischer gehört, und die systemimmanenten Regie-Buher sind auch diesmal wieder da). Auf dem Augustusplatz beginnt es auf einmal laut zu krachen - aber es ist keine Schießerei, sondern "nur" ein Feuerwerk vor dem Ringcafé, dessen Knalleffekte von der dahinterliegenden Bebauung voluminös in Richtung City reflektiert werden und dem soeben auf der Bühne stattgefundenen Weltuntergang damit noch eine ganz andersartige Dimension verleihen.
Nun ist er also komplett, der Leipziger "Ring". Und zumindest nach Begutachtung der 2013 bis 2016 vorgestellten Einzelteile fällt das Urteil eindeutig aus: Er kann sich sehen und (vor allem!) hören lassen. Wer versuchen will, noch Tickets zu ergattern, findet die Termine auf www.oper-leipzig.de

Die Nornen  Siegfried und Brünnhilde

Alberich und Hagen  Die Gibichungen-Gäste

Gunther und Brünnhilde  Die Rheintöchter und Siegfried

Siegfried, Brünnhilde und Gutrune  Brünnhilde

Das Ende

Alle Fotos: Oper Leipzig/Tom Schulze



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