www.Crossover-agm.de
Rienzi, der letzte der Tribunen   16.11.2007   Leipzig, Opernhaus
von rls

So richtig als Wagnerstadt apostrophiert ist Leipzig im öffentlich-kulturellen Bewußtsein der deutschen Lande ja nicht. In erster Linie denkt man bei Wagner natürlich an Bayreuth, in zweiter Linie auch noch an Dresden, aber daß Richard W. in Leipzig geboren wurde und allhier einen nicht unwesentlichen Teil seiner musikalischen Prägung erfuhr, entschwindet allzuschnell aus dem Gesichtskreis, zumal auch nichts an in Leipzig entstandenem musikalischem Schaffen erhalten ist, das musikhistoriographisch mehr als einen Raritätenstatus besäße. Nichtsdestotrotz war und ist man sich in Leipzig selbst des großen Sohnes der Stadt durchaus bewußt, was eine eigenartige Konstellation hervorgebracht hat: Kaum wird in Leipzig am Nordrand des Augustusplatzes ein Musiktheater neu- oder wiedereröffnet, schon steht nur kurze Zeit später zwangsläufig Wagners erste Erfolgsoper "Rienzi" (uraufgeführt übrigens 1842 in Dresden und dort so immens erfolgreich, daß man Wagner auf Lebenszeit als Kapellmeister verpflichtete, welchen Posten er allerdings wegen seiner Beteiligung an der 1849er Revolution wieder verlor) auf dem Spielplan. Man sehe: 1868 öffnet das Neue Theater am Augustusplatz seine Pforten - am 19. September 1869 erlebt "Rienzi" dort seine Leipziger Erstaufführung. 1960 ist das neue Opernhaus an der Stelle des kriegszerstörten Neuen Theaters fertig - der erste "Rienzi" geht am 25. Februar 1962 über die Bühne. Selbiges Opernhaus wird anno 2007 hauptsächlich innen generalsaniert - diesmal gibt es "Rienzi" gar schon als erstes "richtiges" Stück nach der Wiedereröffnung. Der Run auf die Tickets für letztgenanntes Event ist so groß, daß die Generalprobe drei Tage zuvor zur öffentlichen Voraufführung deklariert wird. Hier zeigt sich bei aller Freude über die neue Innenausstattung des Hauses (von denen man das Gros erst auf den zweiten Blick oder, wo es um neue Technik geht, gar nicht zu Gesicht bekommt) auch ein struktureller Nachteil: Der Abstand zwischen den Sitzreihen ist um 15 cm vergrößert worden, was den Rezensenten mit seinen 1,88 m Körpergröße natürlich freut, allerdings den Nachteil hat, daß in den Raum nun 150 Sitze weniger passen - bei einer gemessen an der alten Kapazität theoretisch ausverkaufbaren Veranstaltung bedeutet das also einen Einnahmeverlust im vierstelligen Eurobereich pro Vorstellung.
Sei's drum - Negativschlagzeilen hat die Leipziger Oper anno 2007 mit der, ähem, strukturell unglücklichen Trennung von Intendant Henri Maier genug gemacht, denen bauarbeitenbedingt kein Äquivalent in Form von denkwürdigen großen Aufführungen entgegengesetzt werden konnte (wenngleich natürlich auch in dieser Zeit in den Ausweichspielstätten auf so hoch wie möglich angesiedeltem Niveau zu arbeiten versucht wurde - und dem Verdi-Requiem im Gewandhaus im Mai 2007 etwa fehlte nicht viel zur Denkwürdigkeit). Das soll nun wieder anders werden, und "Rienzi" ist als erster Schritt auf diesem Wege angedacht. Auf den "Einkauf" teurer Stars verzichtet man dabei (Anna Netrebko ist zwar da, aber nur als nicht singende Besucherin), und diese Strategie soll im musikalischen Bereich weitgehend aufgehen. Daß das "Denkwürdig"-Prädikat dennoch auch diesmal nicht ganz erreicht wird, liegt an einer Kombination verschiedener Faktoren, auf die im Laufe der Rezension noch eingegangen werden soll.
Widmen wir uns erstmal dem Orchester. Bekanntlich versieht das Gewandhausorchester den Operndienst in Leipzig, und die Gewandhäusler beweisen ein weiteres Mal, daß sie nicht nur im großen sinfonischen Bereich überzeugen können, sondern auch einen guten Job als "Begleiter" hinbekommen. Dabei sind sie am Anfang spürbar nervös, und die Bläserfraktion versägt einige Einsätze im Einleitungsteil der Ouvertüre, auch der für die Oper deduktive lange Trompetenton kommt nicht immer mit der traumwandlerischen Sicherheit, die gerade an einer derart exponierten Stelle notwendig wäre, zugegebenermaßen von einem Menschen, der ja nun mal ein solcher und keine Maschine ist, aber äußerst schwierig hinzubekommen ist. Generell legt sich die Nervosität im Orchester aber schnell, und von da an tun die Musiker unter dem neuen Musikdirektor Axel Kober auf gutem bis sehr gutem Niveau ihre Pflicht, spielen sich nicht weiter in den Vordergrund als nötig und vergessen nie, daß sie hier nicht in einem Sinfoniekonzert sitzen (man registriert zudem interessante akustische Unterschiede zwischen der Positionierung in einem Orchestergraben wie hier und dem Platz auf der Bühne, den das Orchester im Sinfoniekonzert einnimmt - und man ist in der Ouvertüre ein weiteres Mal überrascht, wie stark doch die akustische Durchsetzungskraft einer Triangel ist, selbst wenn um sie herum noch ein ganzes Orchester ordentlich Krach macht). Noch etwas zu wünschen übrig läßt lange Zeit bis in den 3. Akt hinein die Abstimmung mit dem Fernorchester, aber gegen Ende hin klappt auch das problemlos.

Irene und Adriano
Wie sieht es bei den Sängern aus? Die Nebenrollen verrichten allesamt solide Arbeit, ohne große Bäume auszureißen. Das ist laut kundigen Menschen besonders bei Pavel Kudinov aka Steffano Colonna schade, der in den Elementen, die bereits vorab zu erleben gewesen waren, eine ausgezeichnete Leistung vollbracht haben soll, am Premierenabend allerdings besonders volumentechnisch nach unten Wünsche offenläßt, was für einen Baß nun nicht gerade das Optimum darstellt. Das senkt auch sein akustisches Durchsetzungsvermögen, das bei fast allen Sängern auf beachtlich hohem Niveau angesiedelt ist (trotzdem und trotz der deutschen Sprache ist die Einblendung von Übertiteln zweifellos eine sinnvolle Idee). Besonders dominant singt Stefan Vinke aka Rienzi, was ja auch seiner Rolle entspricht - nur ersetzt er in den ersten Akten nicht selten Feintuning durch Stimmgewalt. Aber er steigert sich im Verlaufe der Aufführung deutlich, und das berühmte Gebet des Rienzi im letzten Akt (gern "als Singlestück ausgekoppelt") bekommt er auf schön emotionale Art und Weise hin, wofür er sich einen Sonderapplaus verdient. Marika Schönberg aka Irene und Elena Zhidkova in der "Hosenrolle" des Adriano Colonna halten das hohe Niveau über weite Strecken, wenngleich als Schwachpunkt ausgerechnet ihre Liebesszene im 1. Akt zu konstatieren ist, die mehr ein wohl nicht so geplantes Gefühl der Disharmonie hinterläßt. Adriano macht das allerdings mit einer sehr guten Verzweiflungsarie im dritten Akt wieder wett, wenngleich in puncto Sinistritätsgehalt noch ein paar kleine Prozentpünktchen mehr dringewesen wären. Dennoch bekommen die drei Hauptfiguren insgesamt verdientermaßen den stärksten Applaus ab (wenngleich der keinesfalls "tumultuarisch" ausfällt, wie ein geschätzter Kollege geschrieben hat) - in nicht weitem Abstand übrigens gefolgt vom Chor, der im wesentlichen das römische Volk zu spielen hat, die Massenszenen erfreulich natürlich darbietet und gegen Ende des 1. Aktes sehr gute choralartige Sangesarbeit vollbringt.

Irene  Der Chor
Knackpunkt dieses "Rienzi" ist allerdings die Kombination aus Inszenierung und Ausstattung, und die beiden dafür verantwortlichen Menschen Nicolas Joel und Andreas Reinhardt ernten zum Schluß eine Mixtur aus etwas Applaus und nicht zu überhörenden Buhrufen. Die Frage, was von beiden sie denn nun verdient haben, erfährt eine genauso ambivalente Beantwortung. Fest steht, daß die meisten Leipziger offensichtlich etwas anderes erwartet haben. Hört man den Namen "Wagner", erwartet man Bombast an allen Fronten - eine äußerst schlichte Ausstattung, wie sie dieser Abend zeigt, läuft der Erwartungshaltung völlig zuwider. Dabei ist der Ansatz durchaus interessant (und das keinesfalls nur für einen Menschen wie den Rezensenten, der sich der gemischten Kunstform Oper nicht von der Theater-, sondern von der Musikseite aus nähert und den es auch nicht gestört hätte, wenn man die Oper konzertant gespielt hätte). Der 1. Akt bedarf in der Tat eigentlich nicht wesentlich mehr als des an die hintere Mauer projizierten Stadtplanes Roms als Kulisse, und die Verlassenheit der Irene ist auf dem einige Zeilen weiter oben links zu sehenden Foto so präsent und fast mit Händen zu greifen, daß alle zusätzlichen Dekorationselemente neben der Stuhlreihe im leeren Raum hier nur verwässernd gewirkt hätten. Die Bühne ist nach dem Umbau etwas größer als vorher, und dieser zusätzliche Raum wird hier nicht zum Zustellen genutzt, sondern um nach hinten hin mit unkomplizierten, aber wirkungsvollen Effekten punkten zu können. Das optische Verschwinden der ab dem 2. Akt komplett in Schwarz gewandeten Irene im unbeleuchteten hinteren Off der Bühne erfreut das Auge des Besuchers jedenfalls ebenso wie die triumphale Inszenierung der Auftritte Rienzis und der so einfache wie logische Einfall, beim Erscheinen des Kardinals im vierten Akt, als er den Kirchenbann über Rienzi ausspricht, mit Rauch und roter Beleuchtung praktisch die Hölle nachzustellen. Sicher, kompliziert und welterklärend ist das alles nicht - aber es paßt erstmal. Nun gibt es da aber noch einiges, was wirklich nicht paßt, und drei Problemfälle stechen besonders heraus, die einen nur mit dem Kopf schütteln lassen. Zum ersten: Der gemauerte Stadtplan als solcher ist noch kein Problemfall, auch wenn er nicht aus der Mitte des 14. Jahrhunderts stammt. Zum Problemfall wird er allerdings, wenn die Inszenierung ihren relativ zeitbezugslosen Charakter (der sich sowohl in der Kleidungskombination als auch in der völlig zeitlosen Fokussierung der Feststellung, daß man sich als Herrscher eben doch nicht auf das Volk verlassen kann - übrigens eine äußerst interessante Fragestellung im Kontext mit der Inszenierung von 1962, also mitten in der DDR-Zeit -, manifestiert) verläßt und mit den großen roten Jahreszahl-Symbolen, die von oben einschweben, historische Authenzität vorgaukelt. Zum zweiten: Die gesamte Inszenierung ist ausgesprochen stark auf einer Ästhetik des Schwarz-Weißen aufgebaut und spielt mit den zahllosen möglichen Grau-Nuancierungen äußerst geschickt - neben dem kurzzeitig angeknipsten Höllenfeuer gibt es genau einen farbigen Mittelpunkt der Inszenierung, und das ist der leuchtend rote Umhang des großen Tribunen Rienzi. Soweit, so stimmig - wer immer aber auf die Idee gekommen ist, die Seitenflächen des rotierenden Bühnenmittelteils, die immer dann sichtbar werden, wenn die Rotationsfläche angehoben oder gekippt wird, in Pink (!!) zu halten, darf sich ans Revers heften, mit diesem fürchterlichen Fauxpas die komplette Farbästhetik ins Lächerliche gezogen bzw. zerstört zu haben. Zum dritten schließlich: Den Rezensenten stört die recht basische Herangehensweise an Inszenierung und Ausstattung wie erwähnt generell nicht, aber es gibt dann doch einen Teil, der ihm nicht gefällt, nämlich das Finale. Mal ganz davon abgesehen, daß keine musikalische Steigerung mehr möglich ist, weil das obere Ende der Dynamikskala schon weiter vorn erreicht worden ist, versinkt zum Schluß der Handlung immerhin das Kapitol in Rom in Schutt und Asche, was hier dargestellt wird, indem auf einem Modell des Kapitols von maximal 1 m Höhe ein kleines Feuerchen entzündet wird. Symbolcharakter hin oder her - das wirkt nicht als Symbol, sondern als lächerlich. Keiner erwartet, daß man jetzt entscheidend von der basischen Linie abweicht und plötzlich eine wilde Materialschlacht vom Zaume bricht - aber es hätte einfache Mittel und Wege gegeben, die Katastrophe auch als solche darzustellen, und sei es eine Zertrümmerung der mehrfach erwähnten Stadtplanwand, was ja dann sogar wieder historisch korrekt gewesen wäre, denn Rom bestand zur Mitte des 14. Jahrhunderts tatsächlich weitgehend aus Ruinen, aus denen es nur mühevoll wieder auferstand. So aber endet dieser "Rienzi" irgendwie im inszenatorischen Nichts, was wohl mit ein Grund für die ambivalenten Reaktionen des Publikums ist, denn an das gerade Vergangene erinnert man sich logischerweise viel stärker als an das, was in den ersten Akten aufgefahren worden ist. Wie gesagt: Der basische Ansatz ist alles andere als uninteressant, nur paßt an diesem Abend das Publikum nicht so richtig dazu, und er schleppt die erwähnten Schwächen und Inkonsequenzen mit sich herum. Das ändert aber nichts an einer generell positiven Einschätzung des Gesamten, wenngleich man sich für die nächsten Produktionen durchaus noch Steigerungsmöglichkeiten offenläßt.

Fotos: Andreas Birkigt



www.Crossover-agm.de
© by CrossOver