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Sweet, Heaven In Hell   18.09.2015   Leipzig, Haus Auensee
von rls

Nanu, ist Ronnie James Dio auferstanden und hat Ozzy wieder vom Black-Sabbath-Mikrofon verdrängt, so daß das resultierende Bandkonstrukt wieder nach seinem 1980er Einstiegsalbum benannt wurde? Nein - hier agieren nicht Heaven & Hell, sondern Heaven In Hell, und das ist eine etwas andere Baustelle, stellt sich nach einem Blick auf die Bühne heraus: Dort steht schon seit einigen Minuten vor dem planmäßigen Start um 20 Uhr ein Duo und intoniert justament, als der Rezensent die Halle betritt, den Journey-Klassiker "Don't Stop Believin'", und zwar lediglich mit Stimme und Akustikgitarre, wobei der Sänger später gelegentlich noch ein wenig Percussion einwirft. Seiner Ansage gemäß spielen Heaven In Hell nicht zum ersten Mal als Sweet-Support, sind normalerweise aber als Quintett unterwegs und widmen sich "dem Besten der Achtziger", was zunächst Befürchtungen in Richtung eines radioprivatsenderkompatiblen Sets nährt. Kurioserweise erklingt nach ebenjener Ansage aber Led Zeppelins "Whole Lotta Love", und das stammt ja nun eindeutig aus den späten Sechzigern und stellt einen Prüfstein für jeden Sänger dar, besonders der Mittelteil und besonders in dieser Akustikbesetzung, wo sich der Sänger nicht mal eben "verstecken" kann. Und siehe da, der Sänger, den man optisch eher in eine Boygroup stecken würde, besteht die Herausforderung ohne große Probleme - aber das hatte man nach dem zuvor erklungenen "Living After Midnight", neben "Don't Stop Believin'" der einzige Achtziger-Song im vom Rezensenten gehörten Teil des Gigs, auch schon vermutet. Das Publikum kennt das Songmaterial natürlich, singt fleißig mit, macht auch die Mitsingspiele im abschließenden "All Right Now" nicht zum Fiasko und entläßt das Duo 20.20 Uhr mit sehr wohlwollendem Applaus in die Katakomben.
Ebenjenen entsteigen zehn Minuten später (die Umbaupause kann knapp gehalten werden, da ja nicht viel Equipment wegzuräumen ist) nach ausladendem und mit eingesampelten Originalklängen aus ihrem Siebziger-Schaffen angereichertem Intro Sweet - und zwar die Bandvariante mit Andy Scott, nicht die mit Steve Priest, die überwiegend auf dem amerikanischen Kontinent zu sehen ist, aber auch schon in Deutschland gastiert hat. Scott, der nach dem Aus der Originalbesetzung den Bandnamen am energischsten im Gespräch gehalten hat, wird von drei weiteren Könnern begleitet, von denen kurioserweise mit Drummer Bruce Bisland (schon seit 1991 an Scotts Seite) und Keyboarder/Gitarrist/Sänger Tony O'Hora gleich zwei an einer britischen Legende der nächsten Generation nach (The) Sweet, nämlich Praying Mantis, beteiligt waren, dort allerdings nicht der aktuell aktiven Besetzung angehören. Mit diesem Hintergrund (Bisland kommt außerdem von weiteren mehr oder weniger obskuren NWoBHM-Bands wie Weapon) erweisen sie sich als perfekt geeignet für die aktuell eher im klassischen Hardrock angesiedelten Sweet-Interpretationen der glamrockigen Originale, wobei auch das Originalquartett in den Mittsiebzigern mehr und mehr in den Hardrock überwechselte, ergo die aktuelle Besetzung eine natürliche Entwicklung nachzeichnet. Scott, der mit großen Schritten auf die 70 zugeht, hat die aktuelle Tour, deren zweiter Gig in Leipzig stattfindet, als Abschiedstour deklariert - er gedenkt immer noch gelgentlich Einzelgigs zu spielen, aber die Strapazen einer großen Tour möchte er nicht mehr auf sich nehmen. Wer angesichts solcher Aussagen einen alternden und gebrechlichen Rock-Opa erwartet, sieht sich allerdings getäuscht: Scott wirkt frisch und ist spiel- wie gesangstechnisch offensichtlich prima in Form - und die stabile und eingespielte Besetzung (auch wenn O'Hora eine Art Opt-in-opt-out-Dasein führt) erweist sich als Trumpf, auch wenn es einige Raritäten in den Set geschafft haben, etwa die neue Single "Defender" (natürlich kein Manowar-Cover, obwohl außen vor der Halle justament Plakate aufgehängt worden sind, die auf deren Erfurt-Gig im Januar 2016 hinweisen) oder "AC/DC" vom "Sweet F.A."-Album, das sich naturgemäß in Australien, wo die Band immer mal tourt, besonderer Beliebtheit erfreut, auch wenn es sich nicht etwa um eine Hommage an eine gewisse australische Band handelt (die steckte 1974 noch ganz tief im Underground), sondern der Titel an die slangmäßige Zweitbedeutung neben der elektrischen Hauptbedeutung angelehnt ist. Selbiger Block mit weniger bekannten Songs erklingt, nachdem Sweet zunächst mit "Action" oder dem verschmolzenen "Wig Wam Bam/Little Willy" klargestellt haben, daß sie natürlich auch ihre Greatest Hits nicht vernachlässigen wollen. Strukturell ungewöhnlich ist auch der Mittelteil, in dem Scott zunächst allein mit Sänger Peter Lincoln, später noch um O'Hora ergänzt, fünf Akustiknummern zum besten gibt, und zwar zunächst "Lady Starlight" und "Into The Night", danach allerdings die drei ganz frühen Hits "Co-Co", "Poppa Joe" und "Funny Funny" "in der einzigen Form, wie wir die heute sinnvoll spielen können", wie Scott humorig anmerkt. Aber mancher Hörer wird erstaunt sein: Ja, die hohen Backings gibt's gelegentlich auch heute noch zu hören, und zwar offenhörlich live und nicht vom Band (von selbigem kommen einige Keyboardpatterns, wenn O'Hora Gitarre spielen muß und daher nicht gleichzeitig die Tasten bedienen kann), wobei sich gerade O'Hora (der bei Praying Mantis ja auch Leadsänger war) stimmlich als extrem wertvoll fürs akustische Gesamtbild entpuppt. Die enorme Spielfreude der Band bricht sich speziell in "Love Is Like Oxygen" Bahn, dem als Mittelteil mal eben "Fanfare For The Common Man" (in den Zeiten, als The Sweet von Charterfolg zu Charterfolg jagten, durch Emerson Lake & Palmer popularisiert, aber eigentlich von Aaron Copland stammend und schon in den 40ern geschrieben) eingepflanzt wird. Nach dem Akustikblock kann man endlich auch Scotts Gitarrenleads durchgängig in angemessener Form hören (vorher gingen sie bisweilen akustisch im einen Tick zu dumpfen Gesamtklang unter), und so steht dem Hitfinale ("Hellraiser", "Fox On The Run" ...) nichts im Wege, das in Tateinheit mit den Zugaben "Block Buster" und "Ballroom Blitz" den sowieso schon hohen Stimmungspegel im Publikum nochmals anhebt, auch wenn einige Nörgler jüngeres Songmaterial der Scott-Truppe vermissen, andere mit den Raritäten wenig anzufangen wissen und der Rezensent gerne noch "Alexander Graham Bell" gehört hätte (welche hitorientierte Band von heute würde einen Song über den Erfinder der Telefonie machen??). Jedem recht machen kann man's nicht, und der Rezensent, der Sweet an diesem Abend zum ersten Mal live sieht, kann auch keine Vergleiche zu früheren Touren bzw. Gigs anstellen. Aber daß es hier 100 Minuten beste musikalische Unterhaltung auf professionellem hohem Niveau gibt, dürfte außer Frage stehen.



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