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Yes   28.05.2014   Leipzig, Haus Auensee
von rls

Die Theorie klang gut: Die Prog-Großmeister Yes hatten sich aufgemacht, um der Welt eine ganz besondere Konzertform zu bieten - sie wollten drei ihrer klassischen 70er-Alben am Stück spielen. Das gab es in ähnlicher Form bisher nicht, auch wenn das Aufführen ganzer Alben am Stück in den letzten Jahren sehr in Mode gekommen ist und auch schon mal zu Erscheinungen führte, daß das am Stück aufgeführte Album gar keines der eigenen Band ist - man erinnere sich an Dream Theater, die als Konzertzugabe bisweilen Metallicas "Master Of Puppets"-Album als Ganzes spielten. In den 70ern hatte ein normales Einzelalbum eine Länge von maximal 45 Minuten, so daß die Aufführung dreier solcher Alben am Stück auch spielzeit- und damit konditionstechnisch noch keine Unmöglichkeit darstellt, selbst wenn es sich wie bei Yes um technisch alles andere als anspruchslose Musik handelt und die betreffenden Musiker aus dem Alter, da sie mit jugendlicher Frische, Energie und Unbekümmertheit gesegnet waren, auch schon das eine oder andere Jährchen heraus sind. Das Konzept jedenfalls hatte sich auf dem amerikanischen Kontinent bereits bewährt und wurde somit auch auf Europa übertragen; drei Termine in Deutschland standen auf dem Programm (an drei aufeinanderfolgenden Tagen übrigens), von denen derjenige in Leipzig der dritte war; danach sollte es in andere europäische Länder weitergehen.
Soweit also die Theorie - 1500 gespannte Besucher warten an einem temporär trockenen Abend inmitten von zwei regnerischen Tagen gespannt, wie die Praxis aussehen wird. Der Rezensent ist einige Minuten zu spät dran, aber der eigentlich geplante Konzertbeginn 20 Uhr verschiebt sich um fast eine halbe Stunde, was für das Haus Auensee recht untypisch ist. Trotzdem macht sich noch niemand irgendwelche Gedanken, als kurz vor 20.30 Uhr nach dem Strawinsky-Intro "The Firebird Suite", das auch schon in früheren Jahrzehnten zu diesem Zweck benutzt worden war und an diesem Abend noch mit einer Bildercollage aus alten Bandfotos sowie den Coverartworks der drei auf dem Programm stehenden Alben ergänzt wird, das Quintett auf die Bühne kommt. Spannende Frage ist zunächst, ob "The Yes Album" (1971), "Close To The Edge" (1972) und "Going For The One" (1977) nicht nur innerhalb der drei Alben in der vorgegebenen Reihenfolge gespielt werden (das war bereits vorab angekündigt worden), sondern auch chronologisch. Die Bühnenhintergrundgrafik macht nach dem Ende des Intros klar: Nein - es geht mit dem "Close To The Edge"-Album los, wird eingeblendet, und so erkennt man dessen Titeltrack bereits lange, bevor man ihn anhand der Musik erkannt hätte: "The Solid Time Of Change", dessen erster Teil, ist auch in der Studiofassung mit einer enormen Komplexität ausgestattet, der der Soundmensch einige Minuten lang nicht Herr wird, so daß eine eher ungewollte Kakophonie aus den Boxen dringt, aus der sich erst allmählich erkennbare Klangstrukturen mit Zusammengehörigkeitseffekt der einzelnen Instrumentalisten herausschälen. Dieses Problem beginnt sich mit fortschreitender Spielzeit allerdings zu marginalisieren, und es entsteht ein Klangbild derjenigen klaren Präzision, die für die Livewiedergabe solch teils hochkomplexer Musik wie der von Yes auch dringend notwendig ist. Interessant ist auch, in welcher Besetzung Yes spielen: Gründungsmitglied Chris Squire (b, v) und der vor "The Yes Album" eingestiegene Steve Howe (g, v) haben alle drei auf dem Plan stehenden Alben auch in der Studiofassung eingespielt, Drummer Alan White zumindest noch "Going For The One". Dazu kommt als Keyboarder Geoff Downes, der den Posten der Wakeman-Familie einnimmt (was er schon in den Endsiebzigern einmal getan hatte, bevor er wieder ausstieg, um zunächst mit Ex-Yes-Sänger Trevor Horn das "Video Killed The Radio Star"-One Hit Wonder The Buggles und anschließend mit Howe die immens erfolgreichen Asia zu gründen) und an diesem Abend insgesamt acht (!) Keyboards um sich herum stehen hat, kurioserweise aber so, daß er oftmals mit dem Rücken zum Publikum agieren muß (aber vielleicht so besser mit White interagieren kann - er ist ja auch noch nicht so lange wieder in der Band und hat wie erwähnt keines der Studioalben mit eingespielt); ergo haben vier der fünf Bandmitglieder teils bereits längere Zeit Yes-Erfahrung. Hinzu kommt ein Frischling: Nachdem Gründungssänger Jon Anderson gesundheitlich längere Zeit ausfiel, holten die anderen Yes-Mitglieder zunächst Benoit David von einer Yes-Coverband (und von Mystery) und, nachdem auch dieser gesundheitlich passen mußte, Jon Davison von Glass Hammer. Ein schlechtes Omen? Jedenfalls fügt sich Davison trotz seiner Hippie-Optik, die gar nicht zum edel-gesetzten Schwarz der vier anderen Herren passen will, gut ins Quintett ein, spielt fleißig Schellentrommel und singt die anspruchsvollen Passagen in durchaus anderson-kompatibler Weise, unterstützt durch die Zweit- und Drittstimmen von Howe und Squire. Nur in der Mitte von "Close To The Edge" fällt hier und da auf, daß Davison bestimmte längere Töne stark kürzt, indem er das Mikrofon von seinem Mund wegbewegt, was man als ein musikalisches Stilmittel zu interpretieren geneigt ist. Daß es das nicht ist, wird nach "Close To The Edge" klar: Howe bittet die Fans um Verständnis, daß man den Gig für fünf Minuten unterbrechen müsse, und nach Ablauf dieser fünf Minuten kommt die Band zurück und verkündet, daß man nicht weiterspielen könne, weil sich Davisons Stimme verabschiedet habe. Es geht also nicht mit "And You And I" weiter, sondern mit "Würm", dem instrumentalen hinteren Teil von "Starship Trooper" (das in den "The Yes Album"-Block gehört hätte), und danach ist Schluß. Einigen der Anhänger, die der englischen Sprache nicht so mächtig sind, sind verwirrt, aber kurz danach kommt Heinz Rudolf Kunze auf die Bühne, Yes-Fan seit 1969 und an diesem Abend zufällig als Zuschauer anwesend (er ist bei der gleichen Konzertagentur unter Vertrag wie Yes), und übernimmt den Job, den Fans die Lage auch nochmal auf Deutsch zu erklären. Nachdem anfangs noch die Rede von einem Nachholtermin ist, wird eine Woche später offiziell bekanntgegeben, daß kein Nachholkonzert angesetzt wird und die Tickets an den Einkaufsstellen zurückgegeben werden können.
Was bleibt? Natürlich sind viele Anhänger enttäuscht, gerade diejenigen, die einen längeren Anfahrtsweg hinter sich haben (man erinnere sich: Es stehen nur drei Deutschlandkonzerte an, und die anderen beiden liegen an einem Montag und einem Dienstag, während dem Leipzig-Mittwoch der Himmelfahrts-Donnerstag folgt, der der arbeitenden Bevölkerung den Konzertbesuch logistisch zu vereinfachen hilft), aber gerade ein Yes-Konzert steht und fällt mit dem markanten und technisch sauschwierigen Leadgesang. Keiner kann ein Interesse daran haben, daß Davison, wenn er mit angegriffener Stimme singt, möglicherweise ernstere und längerfristige Probleme bekommt, und es ehrt die Band, daß sie trotzdem versucht hat, das Konzert zu spielen, in der Hoffnung, daß Davisons Stimme durchhält. Interessanterweise scheint die sich allerdings schnell erholt zu haben, denn die Folgekonzerte (fünf in sieben Tagen!) sind allesamt durchgeführt worden, was die Enttäuschung der Anhängerschaft bezüglich einer Nichtneuansetzung durchaus nachvollziehbar werden läßt - so ausgebucht ist das Haus Auensee nun auch wieder nicht, daß es zum limitierenden Faktor werden müßte (einzig das Wave-Gotik-Treffen könnte da im Wege stehen, da es just nach dem Ende der anderen Euro-Dates ansteht), und die US-Tour der Band geht erst im Juli los. Aber sei es, wie es sei: Die 27 Minuten Musik waren durchaus interessant, und nicht nur der Rezensent (der die Band an diesem Abend zum ersten Mal live erlebt hat) würde sich freuen, auf der nächsten Tour eine weitere Chance zu bekommen, Yes live zu hören.



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