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Stratovarius, Amaranthe, Seven Kingdoms 21.03.2013 Erfurt, Stadtgarten
von rls
Stratovarius und Amaranthe auf Doppel-Headliner-Tour? Amaranthe?? Wer war das gleich noch??? Mancher altgediente Metaller dürfte sich die Augen gerieben haben ob dieser Konstellation - aber sie stellt sich unterm Strich doch irgendwie als günstig heraus. Schließlich mußten sich Stratovarius in den letzten Jahren erst wieder mühsam aus einem Karrieretal nach oben arbeiten, während Amaranthe einen Blitzstart hingelegt haben und zudem einiges junges Publikum ziehen, das die alten Recken Stratovarius vielleicht nicht so richtig auf dem Schirm hat, das aber haben sollte. Der vielleicht zu einem reichlichen Drittel gefüllte Stadtgarten, was ca. 400 Besuchern entspricht, wenn die Gesamtkapazität von 1100 Stehplätzen die Traversen nicht mit einrechnet (falls sie das doch tut, sind es allerdings deutlich unter 400) setzt sich denn auch schön gemischt aus Anhängern beider Bands zusammen.
Ein Special Guest ist angekündigt, aber der wird leider mal wieder verheizt: Der Rezensent betritt exakt eine Minute vor der angekündigten Anstoßzeit 20.00 Uhr den Saal und bekommt justament das Ende des vorletzten Songs von Seven Kingdoms mit - die Floridaner mußten bereits 19.35 Uhr auf die Bretter, die die Welt bedeuten, stellt sich heraus. Das ist schade, denn zumindest ihr selbstbetiteltes Zweitlingsalbum enthält gutklassigen Power Metal, den man gerne einer intensiveren Liveprüfung unterzogen hätte (das neue Album "The Fire Is Mine" und auch das Debüt "Brothers Of The Night" kennt der Rezensent bisher nicht). Diesem Vorhaben steht allerdings auch noch das grottige Soundgewand entgegen, das in den Tiefen aus einem einzigen undurchdringlichen Klangbrei besteht, aus dem sich erhaben die Leadvocals, die Leadgitarren und Teile der Drums herausheben. Der speedige Closer "Into The Darkness", der vom besagten Zweitling stammt, macht denn auch schnell deutlich, daß das Quintett über zwei exzellente spielfreudige Leadgitarristen verfügt und daß auch die kleine Sängerin im powervoll-angerauhten Bereich durchaus eine Große ihres Faches ist und nur ganz oben stimmlich leicht wackelt. Dann ist der Set leider schon wieder zu Ende, obwohl einige Enthusiasten im Publikum noch Zugabewünsche äußern. Daß die Floridaner auch selber beinharte Metalfans sind, die sich einen Ast freuen, größere Touren wie nach dem Zweitling als Support für Blind Guardian in den USA oder jetzt eben mit Stratovarius bestreiten zu können, zeigt auch die Tatsache, daß die komplette Band später hinter ihrem Merchandisestand am linken Hallenrand auftaucht und zumindest während des Stratovarius-Gigs dort pausenlos mindestens ein Bandmitglied sein Haupthaar kreisen läßt.
Amaranthe veröffentlichen erst am Folgetag ihr zweites Album "The Nexus", aber das neue Material scheint zumindest partiell durchaus schon bekannt zu sein - jedenfalls zeigt sich kein entscheidender Reaktionsunterschied auf die neuen und die alten Kompositionen. Man mag über ihren Disco-Power-Metal denken, was man will - livehaftigen Unterhaltungswert absprechen kann man ihm nicht, zumindest dann, wenn die Setlist dramaturgisch sinnvoll zusammengestellt ist. Daran scheitert die schwedisch-dänische Kollaboration allerdings zunächst, indem sie besonders im Mittelteil zu viele tendenziell ähnlich strukturierte Kompositionen aneinanderreiht. Freilich wird das Sextett wie schon Seven Kingdoms maßgeblich durch die Soundverhältnisse ausgebremst: Die ersten vier Songs sind durch sehr matschige Tiefen gehandicapt, was mit "My Transition" an fünfter Setposition zumindest drumseitig plötzlich besser wird, während Rhythmusgitarre und Baß weiterhin kaum auszumachen sind. Die Disco-Synthies blubbern im Hintergrund, vom Band kommend, vor sich hin und decken die Saiteninstrumente oft noch weiter zu, sofern nicht eh alles in einem großen Klangbrei verschwimmt. Dafür stimmt zumindest in den ersten vier Songs die Balance der drei (!) Leadgesangsmikrofone, was ab Song 5 parallel zur Drumklärung dann aber schrittweise zum Problemfall wird - der Tontechniker ist mit der Aufgabe, jeweils alle Mikrofone rechtzeitig zu den Einsätzen der jeweiligen Sänger laut zu stellen, hörbar überfordert. Die Sangesfraktion setzt sich übrigens aus zwei Herren und einer Dame zusammen, wobei sich die Herren noch in rauh und klar unterteilen. Das ergibt, wenn denn die Balance mal stimmt, schöne Dialog- oder gar Triologwirkungen, vor allem die beiden Klarstimmen schneiden sich oftmals harmonisch gekonnt ins Ohr, und die unverschämt gut aussehende Elize sammelt mit ihrer hochemotionalen Darbietung in den balladesken Parts der Bandhymne "Amaranthine" noch Extrapunkte. Eines darf trotzdem nicht passieren: Da hat man drei Sänger - und keiner fühlt sich bemüßigt, die Lücke zwischen dem Opener "Invincible" und dem Folgesong "Leave Everything Behind" mit einer Ansage zu schließen. Dieses Phänomen tritt später noch mehrmals auf. Klar, durch die eingespielten Synthies kann die Band nicht so spontan sein, wie sie vielleicht möchte, aber das Problem kann man durchaus stringenter lösen. Und bei nächster Gelegenheit sollte man sich dann auch Gedanken über die Setlistdramaturgie machen, denn erst ab dem speedigen "Afterlife" an Position 11, vorbereitet schon durch den bereits erwähnten Vorgänger "Amaranthine", kommt richtig Dramatik in den Set, und kurioserweise wird ab diesem Song auch der Sound wieder ein wenig besser (wenngleich nach wie vor nicht richtig gut!). Nach einem kurzen Drumsolo, "Rain" und "Call Out My Name" ist der Hauptset dann aber auch schon wieder zu Ende, ihm folgen noch die Zugaben "Automatic" und "Hunger". Speziell an "Call Out My Name" aber läßt sich festmachen, daß Amaranthe immer dann besonders gut sind, wenn sie konsequent eine Schiene durchziehen - hier entsteht nämlich ein Tanzbodenfeger, der nur durch die komischen Breaks an den beiden Strophenanfängen deutlich an Wirkung verliert. Das ist der Nachteil der jungen Metallergeneration: Sie will bisweilen zu viel und erreicht dadurch weniger. Die allgemein positive Stimmung trüben solche Details an diesem Abend allerdings kaum.
Setlist Amaranthe:
Invincible
Leave Everything Behind
One Million Lightyears
Serenidity
My Transition
Infinity
Burn With Me
Mechanical Illusion
The Nexus
Amaranthine
Afterlife
Drumsolo
Rain
Call Out My Name
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Automatic
Hunger
Das erste und bisher auch einzige Stratovarius-Liveerlebnis des Rezensenten liegt fast sechzehneinhalb Jahre zurück - die Supporttour für Rage im Oktober 1996 fand weiland an einem markanten bandinternen Wendepunkt statt: Es war die zweite Tour für Sänger Timo Kotipelto und Bassist Jari Kainulainen und die erste für die Neuzugänge Jens Johansson und Jörg Michael. Im damals, von "Against The Wind" abgesehen, ausschließlich mit Material des exquisiten "Episode"-Albums bestrittenen Set wehte eine Art frischer Wind, und alle Beteiligten entwickelten einen starken Zug zum Tor, wie man im Fußball sagen würde. Und ebenjenes Gefühl hat man auch, wenn man die 2013er Formation hört. Gut, so ganz "taufrisch" sind Gitarrist Mathias Kupiainen und Bassist Lauri Porra mittlerweile auch nicht mehr, aber mit Rolf Pilve sitzt seit 2012 wieder ein Jungspund am Schlagzeug, und der entwickelt von hinten her eine Menge Energie, selbst wenn diese sich auf dem neuen Album "Nemesis" hier und da in progressiven Schlenkern zu verlieren droht. Live jedenfalls hinterläßt er einen hervorragenden Eindruck, soweit man sein Schaffen denn bewerten kann. Auch Stratovarius leiden nämlich unter recht üblen Soundverhältnissen, die sich erst im Verlauf des Sets etwas bessern, zumal der Rezensent nach verschiedenen Standplatzwechseln dann endlich den wahrscheinlich akustisch idealen Platz in der Halle gefunden hat, nämlich an den Säulen gleich hinter dem Halleneingang, teils schon unter der hinteren Hallenempore. Von idealen Verhältnissen bleibt das Klangbild aber auch dann meilenweit entfernt. Den Opener "Abandon" allerdings kann man nur erahnen, und das folgende "Speed Of Light" erkennt man auch im wesentlichen nur, weil das markante Eröffnungsriff jedem Anspruchsmetaller in Fleisch und Blut übergegangen sein müßte. "Nemesis" stellt neben dem Opener letztlich noch fünf weitere Beiträge des Sets, wobei man gerade bei denen auf ein klares Klangbild angewiesen wäre, um die zahlreichen harmonischen Wendungen mitvollziehen zu können. Mit Addition von "Under Flaming Skies" kommt die Post-Tolkki-Ära letztlich songzahlmäßig auf die knappe Mehrheit im Set, während spielzeitseitig die Tolkki-Ära siegt, was im wesentlichen an der Ausgrabung von "Destiny" liegt, nachdem Stratovarius auf Jörg Michaels Abschiedstour das andere große Epos, nämlich "Visions", reaktiviert hatten. Überhaupt haben die Finnen die Gelegenheit des Drummerwechsels genutzt, einige Perlen aus der Vergangenheit neu einzustudieren: An diesem Abend in Erfurt ist der Rezensent erfreut, daß "Eternity" gespielt wird (und daß dessen schräger Doppel-Drumrhythmuswechsel problemlos klappt), obwohl gerade "Destiny" für ihn den emotionalen Höhepunkt des ganzen Sets markiert, den selbst die zauberhafte Ballade "Forever" im Zugabenteil nicht mehr toppen kann. Kotipelto schleppt allerdings eine fiebrige Erkältung mit sich herum, wie er nach "Destiny" bekennt, und man hat es an den leicht gequälten Höhen gerade in diesem Song bereits bemerkt, daß er an diesem Abend nicht in Topform ist, wenngleich er 95% der jüngeren Konkurrenz auch mit dieser Leistung noch in die Tasche steckt. Johansson wiederum bekommt man mit seinem originellen zweigeteilten Keyboard erst in der hinteren Sethälfte richtig zu hören, wobei er in der ersten Sethälfte auch mehr dadurch auffällt, daß er links neben sich an einem Laptop rumfuhrwerkt, der noch ein paar Zusatzsynthies abruft, aber offenbar nicht immer so funktioniert, wie er das soll. Interessanterweise kommt auch das komplette Intro von "Destiny" aus der Konserve, also auch der erste große bombastische Bandpart, aber das stört angesichts der späteren hochemotionalen Leistung in diesem Song kaum einen Hörer. "Black Diamond" und das mit einem begeistert mitvollzogenen Mitsingpart ausgestattete "Hunting High And Low" beenden den Hauptset bzw. den Zugabenblock, wobei die Gesamtlänge doch überraschend niedrig ausfällt, was einerseits dem Doppel-Headliner-Status, andererseits auch Kotipeltos Zustand geschuldet sein kann (die beiden Instrumentalsoli dauern übrigens auch jeweils unter einer Minute). Aber in dieser Form sollten uns Stratovarius noch lange erhalten bleiben, und so wird sich sicherlich wieder einmal die Gelegenheit ergeben, das Quintett mit einem ganz vollen Set, bei bester Gesundheit und mit klarem Soundgewand live zu erleben.
Setlist Stratovarius:
Abandon
Speed Of Light
Halcyon Days
Under Flaming Skies
Eternity
Dragons
Fantasy
Stand My Ground
Destiny
Keyboardsolo
Black Diamond
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Drumsolo
Unbreakable
Forever
Hunting High And Low
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