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Henrik Freischlader Band   08.12.2012   Leipzig, Moritzbastei
von rls

Mit deutschem Blues ist es ja so eine Sache - es besteht immer die Gefahr, daß er in einer Analogiebildung zu dem, was man bösartig als "Beamtenjazz" zu titulieren pflegt, mündet. Freilich ist es heutzutage auch in Amerika mit der bluesigen Authentizität nicht mehr weit her - von den heutigen US-Bluesern wird auch kaum noch einer jemals selbst auf einer endlosen Farm Baumwolle gepflückt haben. Insofern ist es prinzipiell erstmal egal, ob ein Blueser der heutigen Zeit nun aus New Orleans oder aus Neukirchen-Vluyn kommt - beide können das gewisse Feeling haben oder eben auch nicht haben. Henrik Freischlader nun gehört zur jungen Generation der Bluesmusiker aus Deutschland - und dankenswerterweise ist er einer derjenigen, die das Feeling haben. In der Herangehensweise seines zwischen Blues und Bluesrock mit diversen anderen stilistischen Einsprengseln changierenden Gesamtsounds läßt er sich gut mit Joe Bonamassa vergleichen, der ja maßgeblich dafür verantwortlich war, ein junges Konzertpublikum an den Blues heranzuführen, wovon natürlich auch Freischlader profitiert: Bei seinem Leipziger Debüt in der nicht ausverkauften, aber gut gefüllten Veranstaltungstonne der Moritzbastei sieht man im Publikum auch Menschen in Bonamassa-Shirts, und neben diversen Altbluesern und Normalo-Best-Agern ist auch etliches an Jungvolk anwesend. Freischlader macht es seinem Publikum dabei durchaus nicht einfach: Er hat ein neues Album namens "House In The Woods" draußen, und das nimmt weite Teile der Setlist ein, darunter gleich die ersten drei Positionen mit den recht kompakt rockenden "1999" und "Take The Blame" sowie dem etwas aufgelockerten "Nowhere To Go", bevor Freischlader zum ersten Mal auf frühere Alben und zugleich auf Fremdkompositionen zurückgreift, nämlich auf Peter Greens "I Loved Another Woman". Zwei der älteren Tracks bilden dabei die Herzstücke des Gigs, da sie mit minutenlangen Solopassagen ausgestattet werden, die zugleich Freischladers gekonnten Spagat zwischen Gitarrenheld und Blues-Minimalist verdeutlichen: Während er in "The Bridge" nämlich stapelweise technische Kabinettstückchen ins Solo einbaut, die Finger übers Griffbrett flitzen läßt, als griffe er in einen Ameisenhaufen, und eine neue Idee an die nächste reiht, arbeitet er in "Breakout" viel ökonomischer: Das ganze urlange Solo besteht aus einer Variationenfolge eines Grundthemas, und die Variationen sind oft so minimal, daß die Entwicklung quasi wie in Zeitlupe verläuft. Beide Herangehensweisen gefallen den Anwesenden so gut, daß Freischlader nicht nur für diese beiden Soli Szenenapplaus erhält. Weniger solotechnisch im Rampenlicht steht Hammondorganist Moritz Fuhrhop aka Mr. Mo, aber er prägt zumindest die ebenfalls vom neuen Album stammende Ballade "Two Young Lovers" und erledigt ansonsten einen ausgesprochen soliden Job als Begleitmusiker, was in analoger Weise auch auf Drummer Björn Krüger und Bassist Theofilos Fotiadis zutrifft. Die beiden letzteren sind in starkem bzw. geringem Maße auch für die Backing Vocals zuständig, wobei der Soundmensch diese ab "Nowhere To Go" auch tatsächlich hörbar machen kann. Apropos Sound: Es gibt immer noch Soundmenschen, die den gemeinen Bluesfan offenbar für schwerhörig oder gar taub halten - das Ganze ist zwar schön klar, aber deutlich zu laut und vor allem die extrem dominant abgemischte Snare richtig unangenehm. Zumindest das Problem von Freischladers völlig übersteuertem Mikrofon in "1999" kann behoben werden, aber auch im Verlaufe des Gigs treten immer mal wieder Technikausfälle auf, die von den Musikern freilich gekonnt überspielt werden. Auffällig ist übrigens auch deren Kopfbedeckungsmode: Freischlader trägt eine Schmidt-Mütze, Fuhrhop einen Hut, Fotiadis eine Wollmütze, und nur Krüger verzichtet auf eine Kopfbedeckung, wobei seine Frisur spätestens nach den wilden und körperunterstützt gespielten Breaks in "Breakout" allerdings ihre Paßform verloren hat. Und wenn wir gerade bei der Optik sind: Fotiadis gehört wie zwei Wochen zuvor Danny Cavanagh von Anathema zu den offenbar scheuen Musikern: Er tritt nur dann mal nach vorn an den Bühnenrand, wenn er das wegen des dort aufgebauten Backingmikros muß - ansonsten verkrümelt er sich in eine kaum ausgeleuchtete Ecke der Bühne. Die andere Parallele zum Gig zwei Wochen zuvor betrifft die Frontleute: Wenn man es nicht schon weiß, vermutet man in Opeth-Fronter Mikael Akerfeldt genausowenig solche Entertainer-Qualitäten wie in Freischlader, der mit dem Publikum scherzt und sich nicht mal durch an Peinlichkeit grenzende Wortmeldungen von dort aus der Fassung bringen läßt. Aber das Wichtigste bleibt natürlich die Musik selbst, und obwohl nicht alle Stücke das gleiche hohe Niveau halten können (so wirkt der Titeltrack des neuen Albums, "House In The Woods", der den regulären Set abschließt, irgendwie unentschlossen), überzeugt das Quartett doch über weiteste Strecken und liefert einen zweistündigen Blues-/Bluesrock-Gig beinahe erster Klasse ab, der im Zugabenblock noch mit dem Beatles-Cover "Come Together" ausstaffiert wird, das in der bluesrockigen Adaption mit Hammondsoli hervorragend funktioniert. Da Freischlader sehr ausgedehnt auf Tour ist, bietet sich nicht selten die Gelegenheit, sich selbst von den Livequalitäten des Wuppertalers zu überzeugen - und das lohnt sich.



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