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Russkaja   28.10.2011   Leipzig, Werk 2
von rls

Als der Rezensent fast pünktlich 21 Uhr die Halle D im Werk 2 betritt, wird er mit Pausenmusik von Bon Jovi begrüßt. Seltsame Wahl für ein Russkaja-Konzert? Mitnichten, wie sich schnell herausstellt, denn im Player liegt eine Scheibe, auf der eine Polkaband Rock- und Metalklassiker in Polkaversionen umwandelt, und das funktioniert trotz eines gewissen Hanges zum Dekonstruktivismus über weite Strecken erstaunlich gut und ist an Partytauglichkeit den Originalen von "Highway To Hell" über "Living On A Prayer" bis hin zu einer Handvoll zu einem Medley zusammengefaßter Maiden-Songs von "Wasted Years" über "The Number Of The Beast" bis zu "Fear Of The Dark" allermindestens ebenbürtig, so daß man im Geiste schon mal das Tanzbein schwingen kann.
Bis zur Umwandlung des geistigen in körperliches Tanzbeinschwingen vergehen dann beim Russkaja-Gig schätzungsweise 10 Minuten. Die gehen drauf für das relativ lange Intro (u.a. mit Versatzstücken von "Wjetschernyi Swon"), in das schrittweise alle sieben Bandmitglieder eingreifen, und den Opener "Hammerdrive", bei dem sich der Nichtbandkenner erstmal massiv wundert, wo er hier gelandet ist. Angekündigt als "Mix aus Polka, Ska, Alternative und Rock", bekommt man hier nämlich einen Midtempohammer vorgesetzt, der nicht zuletzt aufgrund des pathetischen Gesanges und des ebensolchen Gebarens von Frontmann Giorgi, aber auch rein musikalisch betrachtet eher auf einen Powerwolf-Gig gepaßt hätte. Das irritiert offensichtlich den einen oder anderen Anwesenden, aber der comichaften Inszenierung kann man sich auch als Beobachter nicht entziehen, und spätestens mit dem Folgesong "Ras Dwa Tri" ist dann in der Tat die Marschrichtung für die nächsten reichlich anderthalb Stunden vorgegeben. Und die führt dann auch zu Tanzwut in den vorderen zwei Dritteln der in dem Fall mal positiverweise nicht bis zum Bersten gefüllten Halle, zumal Russkaja (in deren Livesound aus den oben genannten vier Stilistika der Alternative fehlt, während die anderen drei gleichberechtigt in einen Wettstreit treten) das Tempo weitgehend oben halten, sinnvollerweise aber hier und da Ruhepole einbauen, um die Belastung der Tanzenden etwas zu verteilen. "Psycho Traktor" erfindet zudem eine neue Abwandlung des Circle Pits (gehe selber zu einem Gig der Band, wer's genau wissen will - man muß ja im Review nicht alles verraten :-)), einige der Bandmitglieder tragen Uniformen, die an die von Rock'n'Rolf im Booklet von "Victory" erinnern, die Geigerin sieht genau so aus, wie man sich eine junge russische Geigerin vorstellt, von den beiden Bläsern spielt der eine gerne auch mal ein recht seltenes Instrument, das aus der Entfernung wie eine Baßtrompete aussieht (der andere hat eine normale Trompete), und eine Passage wird mit den Worten angekündigt, sie stamme von Tschaikowski (das tut sie tatsächlich, nämlich aus dem "Slawonischen Marsch"), wonach der rocksozialisierte Hörer zu überlegen beginnt, wo er dieses Thema im rockenden Kontext schon mal gehört hat. Des Rätsels Lösung: als Intro von Accepts "Metal Heart" (erklärt sich hieraus vielleicht die immense Popularität von Udo Dirkschneider im Reich des russischen Bären?). Giorgi, der seit fast 20 Jahren in Wien lebt und den mancher von der Band Stahlhammer kennen könnte (auch die anderen Bandmitglieder sind keineswegs durchgängig russischer Herkunft), pendelt in seinen witzigen, aber nie anbiedernden Ansagen und auch in den Lyrics zwischen Deutsch, Russisch und Englisch, und Gitarrist und Drummer bringen das Kunststück fertig, daß das Publikum während ihres gemeinsamen Solos seine Tanzaktivitäten nicht einstellt. Die Laune ist also prima, und diese Feierstimmung ohne Einbruch am Kochen zu halten, ohne das Publikum ermüden zu lassen, muß man als Band auch erstmal hinbekommen. Drei Zugaben erklatscht man sich noch, dann ist endgültig Schluß mit wirbelnden Geigeneinwürfen, Bläserattacken, knochentrockenem, aber variablem Groove, herzerfrischender Musiziergeschwindigkeit und typisch osteuropäischer Melodik, wenngleich Russkaja ohrenscheinlich ohne oder zumindest weitgehend ohne Coverversionen auskommen (prüfe untenstehende Setlist nach, wer Experte für russische Folklore ist). Beste Unterhaltung!

Setlist:
Intro
Hammerdrive
Ras Dwa Tri
Guljai Duscha
Psycho Traktor
Nikogda
Hep Hep
Change
Da Mama
Wolna
Medley
Bojko-Bojko
Swoboda
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Sputnik
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