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10 Jahre Kammerphilharmonie Leipzig   27.10.2011   Leipzig, Gewandhaus
von rls

Die Programme der Kammerphilharmonie Leipzig zeichnen sich dadurch aus, daß sie Gängiges mit Unerwartetem verbinden. Klar, daß das Jubiläumskonzert zum 10jährigen Bestehen dieses Orchesters auch ein solches Programm bekommen muß - und einen Zielgruppenspagat kann man damit auch noch versuchen, wenngleich er in letzter Konsequenz natürlich nie ganz gelingen kann: Es wird immer Jazz- oder Rockfans geben, die klassische Musik zum Gähnen finden, und es wird unter den Klassikanhängern immer welche geben, die Crossover-Projekte in Richtung Jazz oder Rock als das größte Sakrileg seit Äonen ansehen.
Damit sind zugleich die Eckpunkte des Festkonzertprogramms benannt, und das geht mit einem "Symphonic Pop Medley" los. Im Gegensatz zum "Symphonic Pink Floyd"-Konzert fast zwei Jahre zuvor an gleicher Stelle, wo der Philharmonische Jugendchor Leipzig auch schon gesangsseitig beteiligt war und gleichfalls Michael Köhler am Pult eines damals Leipziger Philharmonie genannten Orchesters gestanden hatte, besteht das Medley nicht aus sechs Songs, sondern nur aus einem Drittel derselben. "Us And Them" kann seine positive Einschätzung von 2009 diesmal allerdings nicht wieder einfahren, denn diesmal können diverse der damaligen Tugenden nicht entwickelt werden. Zwar gelingt das flüssige klavierunterstützte Intro ähnlich gut wie die geplante Unruheerzeugung in den Streichern danach, aber der Chor ist kleiner als damals und bekommt die Echowirkungen lange nicht so gut hin - wenn die Abstufung mal gelingt, tritt wiederum das nächste Problem zutage, daß man die letzten Silben des Echos gegen das Orchester schlicht und einfach nicht mehr wahrnehmen kann, und gegen ein Tuttiorchester haben die Sänger von vornherein keine Chance. Nimmt man noch die teilweise recht schrägen Hörner und den Fakt, daß das Cellosolo nie eine Einheit zum Violinteppich oder dem Pianofluß findet, so schön es für sich betrachtet auch ist, so kann man sich eines etwas zwiespältigen Eindrucks nicht erwehren. Der verschwindet in "Another Brick In The Wall Part 2" auch nicht - das langweilte schon 2009 etwas, und die Ideenfülle ist auch 2011 nicht reicher geworden, obwohl einige gute Momente nicht zu verkennen sind, etwa die geschickt verschliffenen fünf Tonschritte im Intro bei den Violinen. Der Chor singt hier nur Vokalisen, der Energietransport der hier in Streichorchesterbesetzung agierenden Instrumentalisten bleibt mäßig, und auch der geschärfte Schluß kann die Kastanien nicht mehr aus dem Feuer holen. Danach beginnt eine längere Umbaupause, die die Atmosphäre erstmal völlig kappt und irgendwie den Wunsch aufkommen läßt, man hätte auf diesen einleitenden und nicht überzeugenden Programmpunkt ganz verzichtet - andererseits ist der Gedanke, im Jubiläumskonzert auch den organisatorisch zur Kammerphilharmonie gehörenden Chor mit einzubinden, natürlich auch wieder verständlich.
Das nächste Stück ist der "Jubilee Song" von Ralf Schrabbe; die Gewandhaus-Homepage hatte als Autor Richie Beirach angegeben, aber der Jazzpianist ist "nur" einer der drei Solisten, wenn auch der stilprägendste; Bassist Detlev Beier leistet solide Rhythmusgruppenarbeit, wo sie gefordert wird, tritt aber ansonsten nicht weiter in den Vordergrund, während Drummer Dominique "Gaga" Ehlert hier und da doch zentrale Rollen spielt. Wir haben also die Besetzung Jazztrio plus Orchester vor uns, und Schrabbe läßt sich zunächst viel Zeit mit der Ideenentwicklung: Einem feierlichen Orchesterintro folgt Duoarbeit von Beirach und Beier, bevor das Orchester wieder hinzutritt. Ohne Partiturkenntnis muß offenbleiben, ob die große Unordnung vor dem ersten Ehlert-Einsatz so beabsichtigt war, und wem bisher alles zu langatmig vorkam, der registriert erfreut, daß mit Ehlert etwas mehr Zug zum Tor ins Spiel kommt, obwohl er lange nur mit Besen arbeitet. Konzertmeister Holger Engelhardt wird mehrmals für Soloeinlagen herangezogen, die zwar gut gespielt sind, aber stilistisch stets wie Fremdkörper wirken. Der nach einem breaklastigen und das Tempo anziehenden Teil folgende Speedjazz überzeugt insgesamt am meisten, und Ehlert darf sogar ein Solo spielen, was er mit fast an einen Roboter erinnernden Bewegungen tut, während Beirach ihm den Rücken zuwendet und trotzdem seinen richtigen Einsatz findet (Köhler läßt die Jazzer hier einfach spielen und gönnt sich ein Päuschen). Von diesem blinden Verständnis sind Orchester und Band leider ein Stück entfernt, und mehrmals hat man den Eindruck, als ob Beirach förmlich auf das Orchester warten müßte. Nicht vom Hocker reißt einen auch der allgemein trockene und wenig feierliche Schlußteil, so daß man sich irgendwie des Eindrucks nicht erwehren kann, hier sei zusammengewachsen, was nicht zusammengehört - mit der spritzigen Herangehensweise eines David Timm keine Woche zuvor an gleicher Stelle kann der "Jubilee Song" nur in seinen allerbesten Momenten konkurrieren, und die sind nach einmaligem Hören eher als rar gesät zu diagnostizieren. Was in Beirach wirklich steckt, beweist er in der Zugabe, einer Improvisation über "Happy Birthday", die er kreuz und quer durch den Quintenzirkel jagt, bevor wiederum der Schlußteil den Daumen wieder nach unten zeigen läßt: Orchester und Chor setzen einen hölzern-trockenen Durchlauf von "Happy Birthday" dran, der so gar nicht zum eben gehörten Beirach-Feuerwerk passen will.
In den zehn Jahren seiner Existenz hat die Kammerphilharmonie besonders zu den Werken Dmitri Schostakowitschs eine enge Affinität aufgebaut, und schon 2008 bildete dessen 1. Sinfonie im ersten Konzert, das der Rezensent von dem Ensemble erlebte, den strahlenden Höhepunkt. Bei so einem Hintergrund verwundert es natürlich nicht, daß auf das Programm des Jubiläumskonzertes eine Schostakowitsch-Sinfonie gesetzt wurde, und die logische Wahl fiel auf die 10. (in fünf Jahren kann man das nochmal machen, danach müßte man auf Mozart oder gar Haydn umschwenken :-)). Der erwähnte David Timm hatte 2008 zum 40. Jahrestag der Sprengung der Universitätskirche eine grandiose Interpretation dieses Werkes in der Thomaskirche geliefert, und - das sei vorweggenommen - dieses hohe Niveau können die Kammerphilharmoniker an diesem Abend halten, wenngleich das bisweilen etwas unruhige Publikum die Erzeugung von bedrohlichen oder gar eskapistischen Stimmungen nicht gerade zu einer einfachen Aufgabe macht. Aber schon das Streicherintro des ersten Satzes erreicht ansehnliche Schwärzegrade, die Schichtungen hin zum ersten der wenigen Ausbrüche modelliert Köhler geschickt heraus, und einige Wackler kompensieren die Hörner mit einigen traumhaften Passagen nach dem Abklingen des Ausbruches. Viel Spannung liegt im Flötensolo, das Kontrafagott erzeugt Ultrafinsternis, und das nächste Tutti wütet gekonnt vor sich hin. Nicht alle der nun folgenden Lavierungen überzeugen restlos, aber immer wieder blitzt die Klasse der Beteiligten auf, die Erzeugung einer teils gar ungesunden Spannung (die auf den Originalkontext losgeht - die Sinfonie ist ein Spiegelbild der Beziehungen zwischen dem Komponisten und Stalin) gelingt doch relativ oft, und die schleifenden Flöten im Satzausklang müssen besonders erwähnt werden. Das Scherzo an zweiter Satzposition läßt die Energie fließen wie Stalin seinerzeit das Blut der Intelligenzija, und die Köpfe rollen förmlich durchs Gewandhaus, während sich die Energie im dritten Satz zunächst in die Subliminalität zurückzieht - aber die russische Seele lebt eben immer noch. Wieder haben die Hörner solistisch schwierige Aufgaben zu lösen, wieder kompensieren sie einige Wackler mit etlichen traumhaften Wirkungen, aber den größten Treffer erzielt der große Gong, und zwar dadurch, daß er an der Grenze zur Unhörbarkeit gespielt wird und damit wieder diese Ungewißheit, diese Bedrohung, diese Beklemmung widerspiegelt, die Schostakowitsch, wie in seinen Werken häufig zu finden, mit einem Zirkusmarsch auflöst. Dafür ist der Satzschluß an Sinistrität kaum zu überbieten, besonders die Flöten mit ihrer absonderlichen Intonation des D-SCH-Monogrammthemas tragen viel zur starken Wirkung bei. Noch einmal liegt viel Spannung im langsamen Intro des vierten Satzes, aber der große Kampf bricht gerade in die aufkeimende Unruhe hinein, und Köhler erweist sich einmal mehr als geschickter Modelleur der Schichtungen bis hin zum großen, förmlich aus dem ganzen Block herausgemeißelten D-SCH. Das unkundige Publikum, das schon zuvor zwischen den Sätzen zu applaudieren begonnen hatte, vermutet das Ende und beginnt erneut zu klatschen, als der Triumphpart in sich zusammenfällt - aber nein, da kommt ja noch was, nämlich der Endkampf, und dessen Resultat läßt in puncto Energietransport dann tatsächlich etwas zu wünschen übrig. Aber über dieses Problem kann man angesichts der sonstigen Klasseleistung in dieser Sinfonie leicht hinwegsehen, und man wünscht sich von solchen Momenten in den nächsten Jahren gern noch mehr. Wann und wo, das verrät www.philharmonie-leipzig.de



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