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Der Reimteufel, Skarabazz, Plasmic Ocean, Endless Fire   30.11.2010   Leipzig, Moritzbastei
von rls

1999 verließ der Rezensent die HTWK Leipzig mit dem Diplom in der Tasche - die Gründung von "student!", laut Unterzeile "Die unabhängige Universitäts- und Hochschulzeitung für Leipziger Studenten" (siehe auch den neuen Zeitschriftenreviewblock), anno 2000 hat er also nicht mehr als primärer Teil der Zielgruppe miterlebt. Das "student!"-Team beschloß, daß man das Zehnjährige gebührend feiern müsse, und zwar an zwei aufeinanderfolgenden Abenden in der Moritzbastei, wobei der erste Abend einer Podiumsdiskussion über diverse aktuelle, hauptsächlich journalistische Themen gehörte und der zweite einem Konzert, das zielgruppentechnisch einen Brückenschlag versuchte, aber eben dadurch auch ein bißchen zwischen den Stühlen landete.
Endless Fire eröffneten den Gig mit der üblichen Verspätung von einer halben Stunde, aber auch nach dieser Frist hatte sich noch nicht mehr als ein übersichtliches Häuflein Publikum in der großen Tonne eingefunden. Die Nichtanwesenden verpaßten freilich wieder mal einen guten Gig der Hallenser, auch wenn der Sound nicht ganz als ausgewogen bezeichnet werden kann. Die aus Publikumssicht linke Gitarre war jedenfalls deutlich lauter eingestellt als die rechte, was im Falle des Solierens der letzteren zu kaum nachvollziehbaren Klangbildern führte. Kurios auch der Mikrofonsound - im Gesang schön klar, in den Ansagen kaum verständlich und zurückgedreht. Freilich machte das den leicht modern angehauchten Traditionshardrock des Quintetts nicht schlechter, und gerade "The Wish" gewann im Mittelteil durch die ungeplante baßlastige Soundausrichtung eine bisher ungekannte Qualität. Neben Stoff von der gerade frisch erschienenen ersten EP stand u.a. auch ein ganz neuer Song im Set, der allerdings noch leicht unfertig wirkte, nicht nur ob seiner relativen Kürze. Im Vergleich mit dem Gig zwei Monate zuvor in Mölbis war aufgrund der begrenzten Spielzeit (an die man den Sänger immer mal wieder erinnern mußte, damit er seine Ansagen nicht zu sehr ausdehnte) das Black Sabbath-Cover "War Pigs" gestrichen worden, und erstaunlicherweise fehlte auch das eingängige "Blood Masses", weiland noch mit einem großen Mitsingspiel ausgestattet. Den guten Unterhaltungswert des Auftrittes schmälerte das freilich nicht entscheidend, und das sahen auch die Anwesenden so, die fleißig applaudierten, allerdings auf Zugabeforderungen verzichteten.
"Haptic Trips", das 2007er Debüt von Plasmic Ocean, konnte durchaus den Stempel "progressiv" im Sinne von "fortschrittlich" verpaßt bekommen als auch ins Genre Progressive Rock bzw. Progressive Metal einsortiert werden. Den 2010er Nachfolger "Phobia" kennt der Rezensent bisher nicht, aber da das Gros des Sets von diesem stammte, darf zumindest die genannte Einsortierung aufrechterhalten werden - aber angesichts der dramatischen Weiterentwicklung des Genres, quer befruchtet aus dem Postrock, sind Plasmic Ocean mehr oder weniger statisch geblieben und hängen sich nicht an den Fortschrittszug an. Das müssen sie auch nicht, wie auch der Gig dieses Abends bewies, an dem der "anachronistische Prog" bestens funktionierte. Auffällig war die Setlistverteilung, standen die etwas geradlinigeren Stücke doch eher im Schlußteil, während die abgedrehteren Ideen in den ersten zwei Dritteln des Gigs zu finden waren, seien es die Megaphonvocals gleich im Opener, ein soundbedingt leider schwer durchhörbarer Flötenpart oder beispielsweise die aberwitzige Drumfigur in Song 3 kurz vor der Generalpause. Etliche der Songs wurden mit Samples verbunden, und der Sänger versuchte das Publikum durch sein Vorbild zum Headbangen in unmöglichsten Taktarten zu animieren. Stimmlich wußte er, von ein, zwei wackligen hohen Auslauten abgesehen, ebenfalls voll und ganz zu überzeugen, und so entwickelte sich schnell eine gute Feierlaune beim Publikum, wenngleich auch Plasmic Ocean noch vor eher übersichtlicher Kulisse antreten mußten.
Skarabazz hatten ebenfalls eine relativ eigentümliche Strategie des Setlistaufbaus entwickelt. Den Opener bestritten der Sänger/Gitarrist und die Bassistin mit einer Akustikballade noch allein, bevor sich ein Leadgitarrist und ein Schlagzeuger dazugesellten und man sich im Ska-Fach einzunisten begann, allerdings mit diversen Zutaten aus anderen Genres wie Soul oder Jazz, und die mitunter etwas bemüht intelligent dargebotenen Lyrics ließen bisweilen gar Erinnerungen an die Hamburger Schule aufkommen. Nun ist Ska ja ein Genre, in dem es auf die Tanzbarkeit ankommt, und da ließen es Skarabazz zunächst eher gemächlich angehen, hielten die Songs lange im Midtempo und schalteten erst gegen Setende gelegentlich einen Gang nach oben. Das führte zu der Lage, daß auch das Publikum erst langsam auftaute, aber dann zum Schluß eine relativ wilde Zappelorgie feierte und selbst der Rezensent, der sonst eher der ruhigen Beobachterfraktion angehört, das Tanzbein zu schwingen begann. Auf die ska-obligatorische Bläserfraktion verzichtete das Quartett übrigens weitgehend; der Sänger wechselte zwischendurch auch mal ans Keyboard und steuerte nervige Kazoo- oder diesmal akustisch vernehmbare Flötensoli ein. Den Leadgitarristen hörte man erst ab Ende des zweiten Songs, danach wurde seine strukturimmanente Bedeutung aber schnell sehr deutlich: Skarabazz setzten teils auf urlange Songs, und da mußte man schon alle Elemente durchhören können, um das als Trumpf und nicht als Bürde zu identifizieren. Das Quartett nahm sich selbst nicht allzu ernst ("Jetzt kommt Musik für PJ-Harvey-Fans, die gar nicht nach PJ Harvey klingt" - das war der Song mit der Flöte), und am Unterhaltungswert mußten mit zunehmender Spielzeit auch immer weniger bis gar keine Abstriche mehr gemacht werden. Das erneut urlange "Kleinstadtfreak" mit einem ausgedehnten "Nice and slowly"-Mitsingspielchen beendete den Set, aber das kopfzahlmäßig deutlich angewachsene Publikum (das trotzdem genug Platz zum Tanzen hatte) forderte vehement eine Zugabe ein und wurde mit "In der Fremde" belohnt.
Mittlerweile war die Zeit schon fortgeschritten, und da der Rezensent bekanntermaßen mit HipHop gar nichts anfangen kann, beschloß er, den Reimteufel ohne seine Anwesenheit teuflische Reime erdichten zu lassen, womit er nicht allein auf weiter Flur stand; ob die Zielgruppenanimation dahingehend geklappt hat, daß zu später Stunde noch massenweise HipHopper in die Moritzbastei strömten, oder ob die Landung zwischen den Stühlen erfolgte, kann er daher nicht beurteilen. Vielleicht hilft zur Ergründung ein Blick auf www.student-leipzig.de weiter. Wie auch immer: Alles Gute für die nächste Dekade!



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