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Saphena, Katatura, To Be Fatally Ill   19.11.2010   Chemnitz, Südbahnhof
von rls

Fünf Jahre haben sich Saphena mit ihrem Zweitling "Das Ende einer Wahrheit" Zeit gelassen - da ist eine Stunde Verspätung beim Beginn des Release-Gigs doch unter die Peanuts-Kategorie zu rechnen. Aber dann stehen To Be Fatally Ill endlich auf der Bühne bzw. zu nicht geringen Anteilen auch davor: Auf den Brettern ist nicht so sehr viel Platz, also springt der Rhythmusgitarrist immer mal durch die nicht belegten ersten Reihen des Publikumsareals, und der Sänger hält sich gar fast durchgängig dort auf, in seinem Aktionsradius nur gebremst durch die Länge des Mikrofonkabels. Allerdings vollführt er seine Bewegungen oft so, daß er dem Publikum den Rücken zukehrt, was nicht gerade als Aufforderung zur Interaktion gewertet werden darf. Aber die Band ist noch jung und spielt an diesem Abend ihren allerersten Gig - insofern wird der eine oder andere Anfängerfehler da sicherlich in baldiger Zukunft abgestellt werden. Unter "Anfängerpech" fällt dagegen, daß dem Leadgitarristen gleich zu Beginn von Song 2 eine Saite reißt - der Rhythmusgitarrist und der Drummer legen daraufhin allerdings schon so viel Professionalität an den Tag, daß sie während des Saitenwechsels eine kleine Jamsession einlegen, anstatt minutenlang auf die monoton flackernde Lichtanlage zu starren. Als die musikalische Idee der Jamsession sich totzulaufen beginnt, ist die Reparatur zum Glück beendet, und es kann im Set weitergehen. Daß sich der Bassist nicht an der Jamsession beteiligt, hat einen simplen Grund: Die Band besitzt gar keinen, und hier und da vermißt man im Gesamtklang auch tatsächlich einen, wenngleich er an anderen Stellen das sowieso partiell schon recht schwammig abgemischte Klangbild noch weiter verunklart hätte. Zu hören bekommt man acht Songs typischen und komplett innovationsfreien Metalcore, der häufig den songwriterischen Anfängerfehler begeht, in jeden Song alle möglichen Tempi und Stilelemente des gewählten Stils packen zu wollen und eben dadurch austauschbar zu werden. Sobald To Be Fatally Ill ihr Songwriting etwas fokussieren, kommen nämlich durchaus hörenswerte Stücke heraus, wie das überwiegend schnelle bis sehr schnelle, nur selten herunterschaltende "Maybe I'll Die Tomorrow" beweist. Daß das Kleeblatt aus Olbernhau auch spieltechnisch ausgesprochen fit ist, demonstrieren beispielsweise die locker aus dem Handgelenk geschüttelten Abstoppungen und Wiederbeschleunigungen im ersten Teil des Setclosers "Life Begins". So richtig überzeugt ist das Publikum allerdings nicht, man beschränkt sich auf das Spenden von Höflichkeitsapplaus.
Ein Scherzkeks hatte Katatura als "Progressive Metal" angekündigt, aber die Anzahl älterer Anwesender, die noch der Urdefinition dieses Stils als "Wir spielen Dream Theater und Fates Warning nach" anhängen, hält sich an diesem Abend eh in Grenzen. Das Quintett aus Chemnitz, Leipzig und Thalheim huldigt jedenfalls der wörtlichen Bedeutung von "progressiv" als "fortschrittlich" und spielt Musik, die man in dieser Form bisher kaum in anderen Kontexten gehört hat. Zu erschließen ist der Plan innerhalb der Songs, sofern es denn überhaupt einen geben sollte, nach nur einmaligem Hören jedenfalls kaum - da hilft auch der diesmal äußerst klare Sound nichts. So scheinbar tight die Musiker auch agieren, man wird nie den Eindruck los, jeder würde da etwas spielen, das vom Spiel der anderen grundverschieden ist, daß also die Ideen (von denen durchaus einige gute vorhanden sind) nebeneinanderstehen und nicht miteinander verknüpft werden. Nächstes Problem ist, daß die Ideen im Regelfall auch noch ellenlang ausgewalzt werden, was nicht zu einer Intensitätserhöhung oder gar Bewußtseinserweiterung, sondern schlicht und einfach zur Monotonie führt - eine Strategie, in die sich die variationsarmen Schreivocals problemlos einpassen. Das ist wie gesagt progressiv, da man es in ähnlicher Form von kaum einer anderen Band je gehört hat und zu seltsamen Umschreibungen wie "Disbelief gleichzeitig auf Valium und Speed" greifen muß, zumal auch der Grundbeat im unteren Bereich liegt, aber durch diverse andere Tempi seltsam konterkariert wird. Der offensichtliche Migrationshintergrund mindestens eines Elternteils des Rhythmusgitarristen (asiatisch) und des Drummers (Naher Osten oder Nordafrika) hinterläßt musikalisch dagegen keinerlei Spuren, und so bleibt der Bassist (der wie auch der Rhythmusgitarrist vor der Bühne plaziert ist) der musikalisch auffälligste Akteur. Eine Weile kann man sich mit der Suche nach den diversen guten Ideen im langweiligen Ganzen noch halbwegs bei Laune halten, aber als dann mitten im Set auch noch ein Drittel der Besucher plötzlich und fast gleichzeitig meint, auf Konzerten zu rauchen sei ein legitimes Mittel des zivilen Ungehorsams gegenüber staatlicher Repression und nicht etwa vorsätzliche Körperverletzung der Nichtraucher, ist der Ofen beim Rezensenten endgültig aus, wobei für letztgenannten Begleitumstand die Band natürlich nichts kann.
Nach dem letzten Ton und der Niederschrift einiger Notizen also schnell aus der Location geflüchtet, Sauerstoff eingeatmet und zum Ende des Saphena-Soundchecks zurückgekehrt, der lange dauert und mancherlei Problem offenbart. Die Raucher werden allerdings zu Beginn des Saphena-Gigs auch wieder aktiv, und so dauert es eine Weile, ehe der Rezensent neben der linken Saaleingangstür einen halbwegs rauchfreien, aber gleichzeitig Sicht und einigermaßen vernünftige Soundverhältnisse bietenden Platz gefunden hat. Saphena treten noch zu viert an, also mit nur einem Gitarristen (eine Wieder-Aufrüstung auf Quintettstärke ist allerdings geplant), und sie haben zudem einen neuen Bassisten dabei, der sich auch noch als fähiger Sänger entpuppt, so daß die Band mittlerweile selbst dreistimmige Gesangspassagen live umsetzen kann. Das Material der zweiten CD hat der Rezensent zuvor noch nicht auf Konserve gehört (und bewußt bis zur Niederschrift dieses Reviews auch noch nicht); es dominiert erwartungsgemäß den Set und erweist sich zwar als den Wurzeln zwischen Neunziger-Thrash und dem, was man landläufig Metalcore nennt, zweifellos treu, ist aber noch vielschichtiger und scheinbar auch einen Tacken melodieorientierter ausgefallen. Hier und da ("Schatten"!) würde man sich live dann doch eine zweite Gitarre wünschen, aber es gibt auch andere Passagen, in denen eine bisher so im Bandschaffen selten gehörte Transparenz durch eine weitere Gitarre eher verunklärt würde. Und solange man auch in den neuen Songs noch das eine oder andere Riff findet, zu dem man an einer bestimmten Stelle unwillkürlich "Roots, bloody roots" zu skandieren beginnt (beispielsweise in "Mehr als einen", wenn das Rezensentenhirn da jetzt nichts verwechselt), ist sowieso alles in bester Ordnung. Nicht in bester Ordnung ist der Sound, der Andis Gesang deutlich zu weit in den Hintergrund stellt (das war schon beim Soundcheck so und ändert sich kurioserweise beim Gig erst während des zweiten und letzten Zugabesongs), was die Feierlaune guter Teile des Publikums aber offenbar wenig stört. Der knapp einstündige Gig endet daher mit zwei Zugaben, von denen die epische zweite namens "Die Last meiner Welt" in Zukunft eher selten live erklingen soll - aber warum eigentlich? Künstliche Verknappungsstrategien jetzt auch im Metalcore? Es bleibt spannend ... www.myspace.com/saphena bietet sich für Hörtests an.
Setlist Saphena:
Das Ende deiner Allmacht
Sie
Golden
Mehr als einen
Deine Stimme
Ohnmacht
Ich sehe mich
Schatten
Bis zuletzt
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Der Gott
Die Last meiner Welt



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