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Invocation and Friends, Tesseract   30.04.2010   Leipzig, Moritzbastei
von rls

Zur 99. Auflage der beliebten Leipziger Konzertreihe "Heavy Metal - nix im Scheddel?" war ein besonderes Event geplant, nämlich der Feiergig zum 10. Geburtstag der ortsansässigen Formation Invocation. Die gilt als Sammelbecken lokaler Musiker, auch wenn die kursierende Zahl von 150 Exmitgliedern vermutlich eine gewisse Übertreibung darstellt, denn das würde einen Besetzungswechsel alle vier Wochen bedeuten. Aber etliche der Exmitglieder und auch sonstige Freunde hatten sich zur Geburtstagsfeier eingefunden, die mit Tesseract begann. Die Briten dürfte vorher noch kaum jemand gekannt haben, aber sie erspielten sich an diesem Abend eine ganze Menge neuer Anhänger, obwohl sie mit ihrem Sound doch ein Stück weit von dem des Headliners entfernt lagen. Klar könnte man sie in die gängige Postrockschublade stopfen, aber sie selbst klassifizieren sich als Prog Metal und haben damit vermutlich auch eher recht, denn Einflüsse beispielsweise der neuen Fates Warning waren im Gesamtsound unverkennbar, und der Sänger intonierte seine Vocals fast durchgängig clean und in höheren Bereichen - das gelegentliche kontrastierende deathmetallische Gebrüll überließ er seinem Bassisten. Temposeitig bewegte sich das Quintett überwiegend in unteren bis mittleren Gefilden, allerdings mit progtypischer Vielseitigkeit und unüberhörbarem Spaß am nicht nur gelegentlichen Einbau absonderlich wirkender rhythmischer Strukturen. Das machte das Hören und Mitvollziehen der Songs natürlich zu einer nicht leichten Aufgabe, zumal das Frontmikro einen Tick zu leise eingestellt war und man sich auch bei den Gitarren etwas mehr Klangtransparenz gewünscht hätte. Aber dem Publikum gefiel offensichtlich, was es da hörte, egal ob das nun ein eher geradlinig-zupackender Song oder aber ein verschachteltes Monster wie etwa der überlange dritte (Namen sind Schall und Rauch), der mit einem charakteristischen Akustikgitarrenthema einen der deutlichsten roten Fäden des siebensongigen Sets aufwies, war. Zwar übertraf die Anzahl der Headbanger auf der Bühne deutlich die vor der Bühne, aber dennoch ernteten Tesseract für einen kaum bekannten Newcomer einen erstaunlich kräftigen Applaus, wenngleich niemand auf die Idee kam, eine Zugabe einzufordern.
Hernach betrat die aktuelle Stammbesetzung von Invocation die Bühne, um dem Publikum ein Menü technischen Death Metals vorzusetzen. Der griff nicht selten auf äußerst hohe Geschwindigkeiten zurück - ein klassischer Kandidat für Soundbrei also, doch in diesem Kontext verdiente sich der Soundmensch ein Lob, indem er nach einer Experimentierzeit im Opener für den Rest des Sets ein überraschend klares Klangbild in die sowieso schon nicht so ganz leicht zu beschallende Moritzbastei-Tonne zauberte, in dem lediglich die Leadgitarren weitgehend untergingen. Das freilich erzeugte das Problem, die Individualität der Songs noch ein Stück weiter zu senken, als das im technischen Death Metal genrebedingt ohnehin der Fall ist. So hörte man den technisch beeindruckend fitten Musikern eine Zeitlang gerne zu, erkannte auch durchaus einige interessante Individualitätsausbrüche wie das doomige Zentralbreak von "Beyond The Gates", begann sich aber im weiteren Verlaufe des Sets irgendwie etwas zu langweilen, bis kurz vor Schluß das mit einigen Traditionsmetaleinflüssen spielende "Awakening" die gewisse Monotonie ansatzweise auf- und demzufolge auch den stärksten Applaus des Sets auslöste. Gemäß dem Ruf als Personalrotationsband hatten sich Invocation mal wieder einen neuen Sänger gegönnt, nämlich Chris Pscheidt, den die lokale Szene u.a. noch von Ghoul her kennt - in gesanglicher Hinsicht machte er seine Sache durchaus gut (klassische Death Metal-Vocals mit gelegentlich eingestreuten höheren Schreien), bangte in den Instrumentalparts auch recht fleißig, nur an der Sicherheit der Publikumskommunikation muß er noch feilen. Zwar spendeten die Anwesenden durchaus freundlichen Applaus, aber für eine Geburtstagsparty hielt sich die Stimmung doch erstaunlich in Grenzen, und Zugabeforderungen erhob auch hier niemand.
Nach einer weiteren Umbaupause folgte schließlich noch ein Coverset, den einige aktuelle Invocation-Mitglieder mit permanent wechselnden Gästen (sowohl Ex-Mitglieder als auch "Fremde") bestritten. Moderator Volly Tanner lud dabei zum heiteren Ratespiel, indem er zwar einige Informationen zur jeweils gecoverten Band verkündete (leider mit der Zeit etwas zur Redundanz neigend), aber das Erraten von Band und Song dem Publikum überließ. Foreigner waren gemäß seiner Ansage nicht dabei - dabei wäre gerade das eine reizvolle Sache gewesen, "Juke Box Hero" mal als technischen Death Metal zu interpretieren. Statt dessen blieben Invocation mit minimalen Abweichungen im eigenen Genre von Behemoth bis Death, schafften es aber in keinem, wirklich keinem Fall, so etwas wie Unterhaltungswert herüberzubringen oder gar eine eigene Note zu markieren. So wirkte das, was als lustige Party gedacht war, irgendwie mehr als bemüht, und offensichtlich sank nicht nur das Stimmungsbarometer des Rezensenten mit jedem Song weiter, sondern auch das des Publikums. Wenn ein Morbid Angel-Klassiker, den nun wirklich jeder Anwesende gekannt haben dürfte, weniger Applaus erntet als ein beliebiger der Songs von Tesseract, die so gut wie niemand kannte, dann muß etwas Substantielles schiefgegangen sein. So verspürte der Rezensent keine Neigung, sich dieses Trauerspiel bis zum Schluß anzusehen. Als Erkenntnisse des Konzertes bleiben zwei, nämlich die Entdeckung Tesseracts als äußerst hoffnungsvoller Combo und die Wiederauffrischung des Maßstabes, wie klasse die diversen richtig guten Konzerte der jüngeren Vergangenheit doch wirklich waren.



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