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Lohengrin   18.12.2009   Leipzig, Oper
von rls

Lohenhäuser/Tannengrin, Teil 1: Keine Experimente diesmal: Die Oper Leipzig holt Peter Konwitschnys Hamburger Inszenierung von Richard Wagners Oper "Lohengrin" nach Leipzig. Nun ist das natürlich so eine Sache mit Übertragungen an andere Orte: Was den Hamburger Pfeffersäcken (O-Ton des barocken Theologen Erdmann Neumeister) gefällt (das tut die Inszenierung offensichtlich, denn sie hält sich dort seit vielen Jahren im Spielplan), muß für die Leipziger noch lange nicht goutierbar sein. Ganz identisch mit Hamburg ist die Leipziger Fassung auch nicht, denn das Programmheft spricht von einer szenischen Neueinstudierung; der Rezensent hat die Hamburger Fassung allerdings nicht gesehen und kann daher nichts über eventuelle Veränderungen aussagen.
Die Grundkonzeption allerdings dürfte identisch geblieben sein: Konwitschny verlagert die Handlung aus dem Antwerpen des frühen 10. Jahrhunderts in ein etwa ein Jahrtausend jüngeres deutsches Klassenzimmer, das allgemein mit dem Attribut "wilhelminisch" belegt wird. Die Ritter und Edelleute von Brabant gebärden sich ähnlich undiszipliniert wie eine x-beliebige Schulklasse mäßigen Bildungsniveaus, was Konwitschny noch mittels verschiedener komödiantischer Elemente herausarbeitet. Nicht einmal König Heinrich I. (mit Krone, aber ansonsten im gleichen Kostüm wie die Schüler) ist vor ihren Streichen sicher und wird phasenweise kaum, manchmal aber auch sehr ernstgenommen. Auffällig sind die wechselnde Pulkbildung innerhalb der Schülerschaft und eine extreme Wankelmütigkeit - hier hat Konwitschny sehr genau beobachtet, als er diese Parallele zwischen den Brabantern und den Schülern fand, und ein Rückblick in Wagners Schaffen zeigt eine interessante Parallele zu Rienzi, der auch feststellen mußte, daß man sich auf die Volksmasse ob ihrer Wankelmütigkeit ganz und gar nicht verlassen kann. Die Hauptkonkurrentinnen Elsa von Brabant und Ortrud von Telramund sind interessanterweise Banknachbarinnen der letzten Reihe - damit weicht Konwitschny die sich aufdrängende Deutung der beiden von Wagner negativ gezeichneten Figuren Ortrud und ihres Gatten Friedrich von Telramund (der auf einer Nachbarbank in der letzten Reihe sitzt) als klassische Hinterbänkler auf, denn Elsa fällt anfangs eher in die Gattung Mauerblümchen, bevor sie es schafft, Lohengrin aus ihrer Traum- in die reale Welt zu befördern. Der Eindruck, mit ihr und dem unnennbaren Ritter (Wagner als Talmudist?) seien quasi Pech und Schwefel zusammengekommen und nunmehr untrennbar miteinander verbunden, wird im dritten Aufzug freilich relativiert: Lohengrin hatte im zweiten Aufzug vor der Hochzeit den taktischen Fehler begangen zu erklären, daß er seinen Namen nur seiner Frau offenbaren dürfe (nobody is perfect), und diese zwingt ihn mit ihrer Neugier dann tatsächlich zur Preisgabe seines Namens, womit aber automatisch seine Kräfte als Hüter des heiligen Grals und Streiter für Gerechtigkeit in der Welt (die nur wirksam sind, wenn er anonym bleibt) schwinden und sein Transportmittel, der Schwan, zurückkehrt, um ihn wieder in die irreale idealisierte Welt zurückzubringen. So tragen letztlich beide Verantwortung für das Scheitern - das Happy End, das Wagner noch angeklebt hat (Elsas von Ortrud in einen Schwan verzauberter Bruder Gottfried, dessen Verschwinden das ganze Grundproblem der Oper darstellt, wird vom abreisenden Lohengrin noch erlöst und an seine verwaiste Stelle als Heerführer gesetzt), hätte nicht zwingend sein müssen, wenn man die Oper als genau so depressiv begreift wie mancher Schreiber der Texte im Programmheft. Und überhaupt steht eigentlich alles in Frage, was der optische Chefdenker Helmut Brade mit einem ganz simplen Mittel transportiert: Schon auf dem Titelblatt des Programmheftes findet man einen Mix aus Schwanenfigur und Fragezeichen, und das Fragezeichen spielt auch in diversen der angezeichneten Tafelbilder eine Rolle und wird im Verlaufe der Oper mit Kreide an verschiedene Ausstattungsgegenstände des Klassenzimmers und selbst aufs Kostüm des Königs geschrieben. Antworten auf die Frage gibt es eigentlich nicht, selbst die Frage an sich bleibt eigentlich unklar - "Per Anhalter durch die Galaxis" läßt freundlich grüßen. Und man entdeckt auch noch andere Querverweise auf jüngere Geschehnisse: Daß alle Schüler bewaffnet sind, läßt einen an Alice Coopers "Lost In America" denken und hat heute größere gesellschaftspolitische Relevanz, als man sich gerne eingestehen möchte. Manche humoristische Szene wiederum ist ganz offensichtlich von Monty Python inspiriert worden - das Gottesgericht im ersten Aufzug etwa trägt deutliche Züge der Steinigung in "Das Leben des Brian".
Damit wären wir allerdings beim Hauptproblem der Inszenierung, nämlich dem komödiantischen Faktor. 2008 ist bereits Michael von zur Mühlen am Versuch gescheitert, "Der fliegende Holländer" als Horrorkomödie auf die Leipziger Bühne zu bringen. Konwitschnys "Lohengrin" nun ist natürlich kein Horror, aber auch kein Drama, keine Komödie, er ist eigentlich gar nichts. Die komödiantischen Elemente ziehen die dramatischen Massenszenen nur bis ins Lächerliche, vermögen sie aber nicht bis zum Status einer konsequenten Parodie zu tragen (wie das Monty Python im überwiegenden Teil ihres Schaffens gelungen war). Und die Kombination aus dem unflätigen Gehabe der Ritter/Schüler und den bewundernden, anklagenden oder sonstwie dramatischen Texten, die der Chor zu diesem Gehabe zu singen hat, ist in diesem Sinne leider weder Fisch noch Fleisch, will alles und erreicht eben gerade dadurch nichts. Leider beschränkt Konwitschny die humoristischen Einwürfe auch nicht auf die Massenszenen (dort hätte man wegen des Schülerbezuges ja noch eine Verbindung konstruieren können), sondern wendet sie auch in einigen der Einzelpersonenszenen an, etwa in der Liebesszene Elsas und Lohengrins im dritten Aufzug, wo die kleinen mimischen und gestischen Einwürfe Lohengrins während der Bewunderungsarie Elsas das ganze Geschehen ins Lächerliche ziehen, da sie Lohengrin nicht menschlich (wie das wahrscheinlich gedacht war), sondern zur Witzfigur machen. Das ist schade, und irgendwie muß dem Regisseur auch selber gedämmert haben, daß da irgendwas nicht funktioniert. Jedenfalls dosiert er den Schülerhumor in den Aufzügen 2 und 3 sparsamer und damit wirkungsvoller als im ersten, und einige Einfälle haben gar Klassikerpotential. Zwei Beispiele aus dem dritten Aufzug: Als Friedrich von Telramund in der Hochzeitsnacht ins Gemach Elsas und Lohengrins eindringt, um letztgenannten ins Jenseits zu befördern, holt letzterer unterm Bett ein riesiges Schwert hervor und erschlägt Friedrich damit (Moral: Sei selbst in der Hochzeitsnacht bewaffnet). Als Lohengrin ankündigt, zum Gral zurückkehren zu müssen, trägt ihm Elsa treudoof die Schuhe hinterher bzw. entgegen - die Anspielung auf den klassischen Satz Walter Ulbrichts, das reine Glück bestehe in der DDR nicht mehr darin, daß einem beim Nachhausekommen die Filzlatschen entgegengebracht werden, ist unverkennbar. Was man mit gezieltem Humor auch in einer solchen (depressiven) Oper für Wirkungen zeitigen kann, verdeutlichen gerade diese beiden Szenen. Aber über weite Strecken funktioniert das Konzept eben leider nicht: Wenn man einem Drama (mit welchen Mitteln auch immer) die Dramatik entzieht und sie, von den Mitteln selbst abgesehen, durch nichts ersetzt, bleibt am Ende eben nichts ...
Bedeutend optimistischer stimmt der Blick aufs musikalische Geschehen. Am Pult des Gewandhausorchesters steht der neue Generalmusikdirektor der Oper, Ulf Schirmer, und mit dem hat Leipzig offensichtlich einen exzellenten Fang gemacht, wie schon die Ouvertüre deutlich macht, die in der Inszenierung sphärischer Wirkungen als Rahmen, wie sie sich Wagner selber gewünscht hat, ebensowenig Wünsche übrig läßt wie in den finsteren Bombastpassagen im Mittelteil. Auch ansonsten gibt es beim Orchester so gut wie nichts zu bemängeln - daß in den entfesselten Blechpassagen die Sänger wenig akustische Chancen haben, ist ja eher ein konzeptionelles Problem und hier durch die Besetzung der Hauptrollen schon etwas gemildert: James Moellenhoff als König Heinrich und Stefan Vinke als Lohengrin präsentieren sich als extrem stimmgewaltig, wobei Vinke in seiner Erscheinungsszene, als er den Schwan wieder nach Hause schickt, in den dort geforderten zurückhaltenden Passagen noch leicht unsicher, fast gehemmt und hölzern wirkt, sich durch die zahlreichen Powerpassagen aber offensichtlich "freisingt" und in der Liebesszene des dritten Aufzuges dann auch Gefühl beweist. Nur in manchen Höhen (die Wagner häufig auf das Wort "reine" legt) ist es mit der Treffsicherheit schwierig, was auch bei Gabriele Schnaut als Ortrud auffällt, besonders im Racheschwur im zweiten Aufzug. Ansonsten kann sie sich aber ebenso eine starke Leistung gutschreiben lassen wie Gun-Brit Barkmin als Elsa (exzellent gespielt und gesungen, auch von Vinke: die zunehmende Verkrampftheit, die ihr und Lohengrins gegenseitiges Aufschaukeln in der Liebesszene vergegenwärtigt und dankenswerterweise nicht durch Pseudohumor gestört wird). Viel verdienten Applaus heimst auch Hans-Joachim Ketelsen als Friedrich von Telramund ein, während Jürgen Kurth als Heerrufer eher unauffällig agiert. Der Chor wiederum zeigt ein Phänomen: Die harten Auslaute mancher Chornummern im ersten Aufzug, in denen die Brabanter noch einen eher zerstrittenen Eindruck hinterlassen, werden über eine gewisse Distanz im Millisekundenbereich verteilt - wenn das geplant gewesen sein sollte, um die Zerstrittenheit zu verdeutlichen, spricht es für absolute Präzisionsarbeit von Sören Eckhoff bei der Einstudierung.
So weit, so gut. Aber eins muß doch noch angeführt werden: der Schwan bzw. Gottfried: Den spielt Lukas Vinke, offensichtlich Stefan Vinkes Sohn oder ein Anverwandter im Schulanfängeralter, und er macht seine Sache gut. Zu sagen oder singen hat er nichts - bei der Ankunft Lohengrins aus dem Bühnenboden bewegt er seine Arme in Flugmanier, bei der Abfahrt taucht er gar nicht erst aus dem Boden auf, wird aber kurze Zeit später als Gottfried wieder nach oben geschickt. Den setzt Lohengrin wie erwähnt an die Stelle als Heerführer, und Konwitschny stattet ihn (man erinnere sich: Wir sind gemäß des Klassenzimmers im wilhelminischen Zeitalter, also vor dem Ersten Weltkrieg) mit Stahlhelm und Gewehr aus. Das verwirrt das Publikum offensichtlich völlig (obwohl man mit einem bißchen Nachdenken problemlos darauf kommen müßte, warum das so ist - beim Rezensenten hat's aber zugegebenermaßen auch ein wenig gedauert), und so setzt der Applaus spärlich und mit Verzögerung ein, wird dann aber umso enthusiastischer: Das Publikum im ausverkauften Opernhaus feiert Sänger und Orchester, in die Bravorufe für die Inszenierungsabteilung aber mischen sich auch ein paar Buhs. Ist also das, was die Hamburger lieben, auch für die Leipziger gut? Musikalisch ein klares Ja, inszenatorisch ein verschwommenes Jein. Wer sich selbst überzeugen möchte, findet die Termine auf www.oper-leipzig.de



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