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Bela B. Y Los Helmstedt, Les Hommes Sauvages   08.12.2009   Leipzig, Haus Auensee
von rls und kk

Ende 2007: Die Ärzte in Leipzig - wegen der immensen Kartennachfrage müssen gleich zwei Termine in der Arena angesetzt werden. Ende 2008: Farin Urlaub mit seinem Racing Team in Leipzig - hier genügt ein Arena-Abend, und die Lokalität ist zudem nicht ausverkauft, aber doch sehr anständig gefüllt. Ende 2009: Bela B. in Leipzig - man wählt das deutlich kleinere Haus Auensee, und auch das ist offensichtlich nicht ganz ausverkauft. Geht es bergab? Mit der Zuschauerzahl sicher, wobei man diesen Indikator nicht ganz so ernst nehmen sollte (bei Den Ärzten als Ganzes muß ja auf alle Fälle noch der Kultfaktor eingerechnet werden, den die Solobands so nicht haben, so nicht haben können). Mit der Qualität? Da ist das anwesende CrossOver-Duo durchaus unterschiedlicher Meinung.
Aber der Reihe nach: Hat man die 3,50 Euro Parkgebühr entrichtet (im Leipzig-Vorstadt-Kontext schon etwas überdimensioniert) und gegen 5 Euro Anti-Nazi-Projekt-Beitrag die Pressetickets in Empfang genommen, kann man sich noch gemütlich einen Platz in der Hallenmitte vor dem Mischpult suchen, und dann geht es überpünktlich bis vorfristig auch schon los. Als Support agieren, von Bela höchstselbst angesagt, Les Hommes Sauvages, trotz französischen Namens in Berlin zentriert und zudem mit personellen Querverbindungen zu Los Helmstedt. Das Quintett hinterläßt in den ersten zwei Songs einen völlig langweilig-unbedeutenden Eindruck, dann findet der Soundmensch plötzlich die richtigen Knöpfe, um in annehmbarer Lautstärke aus einer Geräuschwand einen differenzierten Sound zu zaubern - und schon wird der Gig richtig gut. So richtig einordnen kann man die Kapelle stilistisch nicht - hat man irgendeine Parallele gefunden, gibt es prompt einen Schwenk, ohne daß dadurch aber ein sonderlich zerrissener Eindruck entstehen würde. Irgendwo zwischen elektrifiziertem Chanson, Blues, Sechzigerrock der Kategorie The Who und gelegentlichen Siebziger-Hardrock-Anflügen kommen die Wilden Menschen zum Ziel, die sich ihrem Bandnamen zum Trotz als äußerst zivilisierte Gesellen gebärden; hier und da würde man sich gar einen emotionalen Ausbruch oder ein wenig mehr Aktionismus auf der Bühne wünschen. Allerdings hat auch die reale Situation ihren Reiz, etwa der stocksteif wirkende Bassist, der in einem lustigen Widerspruch zum lebendigen Drummer, zum eleganten Sänger/Gitarristen und zur leicht unnahbar-kühlen Sängerin (nur echt mit Sonnenbrille) steht; der Keyboarder gibt die "neutralste" Figur auf der Bühne ab. Von den Songs her überzeugen die deutschsprachigen Bluesrocksongs in der Setmitte am stärksten, wobei man sich bisweilen durchaus anstrengen muß, um die Sprache manches Songs zu identifizieren, denn der differenzierte Sound erstreckt sich auf die Instrumentalarbeit, nicht aber auf die durchgängig zu weit im akustischen Hintergrund angesiedelten Vocals. Das Publikum nimmt das schwarzgekleidete Quintett durchaus positiv auf, aber Zugaben fordert trotzdem niemand ein.
Die Umbaupause wird mit einem wüsten Konservenmusikmix bestritten, der bis zu Schoten wie "Zigeunerjunge" reicht und in dem plötzlich auch ein von Bela B. vokalisierter Song erklingt. Im eigenen Konzert als Umbaupausenmucke die eigene Musik spielen - das ist (sofern der Soundmensch hier nicht in Eigenregie gehandelt haben sollte) entweder spezielle Coolness oder absolute Selbstüberschätzung mit Realitätsverlust. Der Gig selbst läßt je nach Betrachtungsweise die gleichen Deutungsmöglichkeiten zu. Damit geht das Wort an Kollege Karsten (bis hierher: rls)
Als Graf höchstpersönlich lässt Bela B. eine ganze Weile auf sich warten. Nach mehreren "Human Boss"-Rufen, zu finden im Intro der aktuellen Platte, betritt er jedoch die Bühne und eröffnet albumgleich mit "Rockula". Begleitet wird er erneut von seiner Band Los Helmstedt. Am Keyboard: seine reizende Duettpartnerin mit erotisierendem Gesang, als zweite Stimme und Chorersatz. Zusammen mit den restlichen Bandmitgliedern steht also wie schon vor reichlichen drei Jahren ein gut eingespieltes Ensemble auf der Bühne. Im September 2006 hatte Bela B. auf der Parkbühne im Clara-Zetkin-Park bewiesen, dass er einen Abend auch mit nur einem Album gut füllen kann, wenngleich nicht in Länge eines Ärzte-Konzerts. Leider dominiert heute eher das neue Album "Code B", das sich nicht mit dem Erstling "Bingo" messen kann. Dessen Highlights bekommt man aber mit "Der Vampir mit dem Colt", "Lee Hazlewood & Das Erste Lied Des Tages", "Tag im Schutzumschlag" und "Gitarre runter" um die Ohren. Dazwischen stechen positiv zwei Cover hervor, zum einen Glenn Freys "The Heat Is On" und zum anderen Cheap Tricks "I Want You To Want Me", die dem Abend einen Mehrwert verleihen. Vom zweiten Album überzeugen nur wenige Songs: "Ninjababypowpow" oder "Bobotanz". Letzterer erklingt in einer der drei Zugaben und wird ausführlich vom englischsprachigen Drummer vorgestellt. (Dabei schweift er - unmerklich - ab und fragt das Publikum, zu welcher Musik es denn am besten Sex haben könnte - Bela B.s natürlich. Mit der dezenten Frage "Are you gonna do some Bumsmachen tonight?" begibt er sich dann langsam zum Schlagzeugspiel des Bobotanzes.) Von diesen humorösen Momenten hätte man sich mehr gewünscht. Sonst dominiert nämlich leider die romantisch-wehleidige Ader Belas, die zwar vermutlich bei den weiblichen gefühlten drei Vierteln des Publikums gut ankommt, aber die männliche Minderheit, insofern sie sich nicht als Hälfte eines anwesenden Pärchens herausstellt, eher anödet. Nach dem Entrichten von fünf Euro für "Laut gegen Nazis" fragt man sich außerdem, warum an dem Abend nicht der Song "Deutsche kauft nicht bei Nazis" erklingt. Eine solche Vergegenwärtigung gehört auch zur positiven PR von Anti-Nazi-Organisationen. Die Enttäuschung über die mittelmäßige Songauswahl wird durch den Sound verschlimmert, der zuweilen unerträglich laut ist (bzw. mit Ohrenstöpseln ist es genau richtig). Von dem Abend übrig bleibt eine mittelmäßige Begeisterung. Abgesehen von den Makeln der Setlist, überzeugt Bela stimmlich wie in Sachen Entertainer-Qualitäten auf ganzer Linie. Der Abend funktioniert für den Zuhörer wie immer, wenn er sich auf das fünfzig Meter hohe Ego von Bela B. einlässt. Wer damit nicht klar kommt, sieht sich bei nächster Gelegenheit den wesentlich lustigeren Farin Urlaub mit seinem Racing Team an oder eben das Original: Die Ärzte. (kk)



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