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Standing On A Rock V   26.09.2009   Mölbis, Pfarrgarten
von rls

Halbrundes Jubiläum für das Standing On A Rock-Festival: Zum fünften Mal ruft Jugendwart Andreas Bergmann zum Sommerfestivalausklang, und zum fünften Mal wird der Chefdenker mit einem fast spätsommerlichen sonnigen Tag belohnt. Dafür aber gehen andere Sachen schief: Der PA-Transporter bleibt mit einer Panne liegen und versetzt das Organisationsteam somit in hektische Betriebsamkeit. Der Rezensent trifft 40 Minuten nach planmäßiger Anstoßzeit von 17 Uhr auf dem Gelände ein (keine der bisherigen vier Auflagen des Festivals hat pünktlich begonnen) - eine erkleckliche Zuschauerzahl ist da, einige der Bands auch, nur die Anlage halt noch nicht. Ergo heißt es warten ... Der metallisch sozialisierte Teil des Publikums findet die ultimative Lösung des Zeitvertreibs: Einer läßt aus seinem Handylautsprecher metallische Klänge ertönen, und man bangt sich derweil schon mal warm. Without A Jacket wiederum, die eigentlich 18 Uhr die Bühne schon wieder hätten verlassen sollen, nutzen die Zeit konstruktiv, sitzen backstage und üben Akustikversionen ihres Sets ein. Das ist eben der Vorteil: Rockmusik kann man notfalls unplugged spielen, bei Techno wird das schon schwieriger. (Obwohl Death Metal unplugged auch irgendwie grenzwertig sein dürfte ...) 18.30 Uhr trifft die Technik dann endlich ein und wird in Windeseile aufgebaut, aber auch Windeseile dauert ihre Zeit, und so steigen Without A Jacket letztlich erst 20.00 Uhr auf die Bretter, die die Welt bedeuten. Da man nach hinten heraus nicht ewig Zeit hat, kürzen alle Bands ihre Setlisten etwas ein, und für Without A Jacket bleibt unterm Strich eine halbe Stunde mit sechs Songs, welchselbige die Truppe aber kurzerhand nach vorn verlängert: Sängerin Lisa und die Gitarristen Marie und Andreas spielen während des PA-Aufbaus einige Songs unplugged vor der Bühne. Der eigentliche Set gerät zum Abschied von Marie, die die Band studienhalber verläßt, und setzt sich aus fünf Coversongs (der abschließende wird Marie gewidmet und heißt paradoxerweise "Stay") und dem eigenkreierten "Metal Instrumental" zusammen, das immer noch keinen richtigen Titel hat, aber neben der brachial-schleppenden Fassung von "Zombie" der Cranberries den Höhepunkt des Sets markiert und auch vom Publikum am stärksten abgefeiert wird. Zwar darf Lisa gern noch weiter an ihrer Stimme arbeiten, was Treffsicherheit angeht (nicht nur, aber speziell in den höheren Lagen), aber der Unterhaltungswert ist generell gegeben, auch wenn Drummer Ingmar diesmal ohne seine "festgewachsene" Sonnenbrille antritt.
Steeproad hatten weiland das erste Standing On A Rock-Festival eröffnet und in den seither vergangenen vier Jahren einen qualitativen Quantensprung vollzogen, der auch mit einer gewissen stilistischen Umorientierung einhergegangen war. Das Quintett hat fast alle Grungeelemente über Bord geworfen und spielt heute eine Mixtur aus Alternative und Prog, wobei für den Progfaktor der enorm komplex werkelnde Drummer maßgeblich verantwortlich ist. Wenn die Entwicklung so weitergeht, dürfte in ein paar Jahren eine Mixtur erreicht sein, die an manche Pain Of Salvation-Songs erinnert. Enorm an Sicherheit gewonnen hat auch Sänger Thomas, der sowohl stimmlich als auch vom Entertainmentfaktor her zu einem richtigen Frontmann gereift ist. Obwohl auch noch Songs der frühen Schaffensperiode im Set stehen (den Opener "Don't Waste Your Time" glaubt man beispielsweise noch zu erkennen), hinterläßt das Ganze einen recht homogenen Eindruck, bisweilen vielleicht sogar einen zu homogenen (will heißen, manche Songs ähneln sich fast ein wenig zu sehr). Das Ganze kommt in einem äußerst klaren und druckvollen Sound rüber, lediglich Thomas hat darunter zu leiden, daß er den ganzen Set über einen Echoeffekt auf dem Mikro hat, der einige skurrile Wirkungen hervorruft. Mit dem hymnischen "Blessed Be Thy Name" (ein äußerst beliebter Song in rezenten Lobpreiskreisen, den auch einige im Publikum treffsicher mitsingen) und dem Closer "Standing On The Rock", der quasi das Festivalmotto abgegeben hat und auch schon 2005 im Set gestanden hatte, schließt das Quintett aus Bad Lausick seinen Set ab und spielt aufgrund der Zugabenwünsche die zweite Hälfte des Abschlußcovers noch einmal. Erstaunlich positive Reaktionen erntet die Band auch von der Metalfraktion im Publikum, die zu den geradlinigeren Songs der Band fleißig die Matten kreisen läßt.
Di Grine Kuzine haben zumindest ein weibliches Wesen in der Band, treten aber in Schwarz gekleidet an und spielen eine spezielle Sorte osteuropäischen Folks mit Pop- und anderweitigen Elementen, schrecken also auch nicht vor Surfrhythmen und ähnlichen eher in anderen Landstrichen zu verortenden Einflüssen zurück. Apropos Rhythmen: Um sich ordnungs-, also taktgemäß zu diesen bewegen zu können, bedarf es schon eines gewissen Faibles für dem mitteleuropäischen Ohr eher absonderlich anmutende Taktarten, aber die weisen zumindest gute Teile des Publikums offensichtlich auf und entfalten Tanzaktivitäten vor der Bühne, während die Headbanger taktgemäßes Bangen nach einiger Zeit wieder aufgeben. Den schwersten Job auf der Bühne hat der Bassist, denn der spielt seine Parts auf einer Tuba und darf diese während des ganzen Sets mit sich herumtragen. Seine beiden Kollegen an den Blechblasinstrumenten (Klarinetten, Saxophone, Trompeten und Flügelhörner im munteren Wechsel) dominieren den Sound des Quintetts, allerdings wirkungsvoll farbig betupft von den Akkordeonklängen der Sängerin, die bisweilen vokale Unterstützung von allen Mitmusikern außer dem Bassisten - oder nennen wir ihn Tubisten - erhält. Einflußtechnisch ackert man sich von Rußland einmal über den Balkan nach Süden und wieder zurück, wobei der Tubist im Solo von "Tschut Tschut Ukraina" paradoxerweise eine Melodie adaptiert, die man auch aus "Bilder einer Ausstellung" von Modest Mussorgski als Tubamelodie kennt. Bekanntestes Stück im Set ist wohl "Popcorn" aka "Funky Popanky" in einer Version mit von der Band höchstselbst hinzugefügten spanischen (!) Lyrics, und ohne eine Zugabe kommen die Berliner, knappes Zeitmanagement hin oder her, auch nicht umhin. Allerdings haben sie auch den ersten Verletzten der Festivalgeschichte unter den Tanzwütigen zu beklagen.
Course Death waren die Überraschung des 2008er Festivals gewesen und durften sich daher 2009 über eine weitere Einladung freuen. Der Überraschungseffekt ist diesmal also weg, allerdings stellt sich auch noch ein anderes Problem, welche diesen Gig nicht an den von 2008 heranreichen läßt: Die Band hat sich weiterentwickelt, und das bedeutet in diesem Falle nichts Gutes. Man hat aus dem neueren Material die komplexen Hochgeschwindigkeitspassagen nahezu komplett eliminiert, und der Ersatz durch fast simpel zu nennende Bangerrhythmen funktioniert nur in einem Teil der Fälle, nämlich dort, wo er konsequent durchgezogen worden ist, z.B. in Song 4 (Namen sind Schall und Rauch - man versteht die gebrüllten Ansagen des Sängers so schlecht). Ein guter Teil des Restes landet so in mäßig verbreaktem und wenig individuellem Metalcore, der zwar immer noch nicht schlecht ist, aber wenn man bedenkt, was diese Truppe eigentlich kann, ist es doch ein wenig schade. Klassisches Paradoxon allerdings: 2008 ist die Truppe richtig gut, aber nur wenige Metaller sind im Publikum. 2009 sind haufenweise Metaller da und feiern die Band ab, als hätte sie gerade einen Gig der Güteklasse 2008 abgeliefert. Immerhin stimmt der Sound diesmal, und der Bassist weist den Sänger auf das theologische Grundkonzept hin, als dieser ein wenig zu sehr den Rockstar raushängen läßt. So richtig Spaß machen erst die Zugaben: Der erste Song ist durchschnittlich der schnellste und komplexeste des Sets, und das kurze "The Return" widmet das erzgebirgische Quartett dem Verletzten des Sets von Di Grine Kuzine, der mittlerweile mit einem Krankenwagen abtransportiert worden ist. Die gelegentlich von der Band geforderte und vom Publikum auch umgesetzte Wall Of Death-Unsitte dagegen bleibt im wesentlichen folgenlos.
Der Wunsch aus "The Return" geht prompt in Erfüllung: Noch bevor Porcelain ihren Gig beginnen, ist der Patient wieder zurück auf dem Festivalgelände, sich mit zwei Krücken und einem stabilisierten Fuß bewegend und daher den Rest der Nacht eher sitzend verbringend, was gute Teile des noch verbliebenen Publikums in analoger Weise handhaben. Porcelain, die für Lightguide eingesprungen sind (wäre doch auch gelacht, wenn das Standing On A Rock mal ohne Billingsänderungen auskommen würde), entpuppen sich als relativ stabil und wenig zerbrechlich, auch wenn es mittlerweile schon nach der Geisterstunde ist und der Sound der Band eher auf ein Baggerlochfestival bei Sonnenschein passen würde. Ihren klassischen Indie reichern die vier Herren aber immer wieder mit ebenso klassischen Hardrockelementen an, wie gleich der ausgedehnte zweistimmige Gitarrensolopart im Opener deutlich macht. Am Gesang sind alle vier beteiligt, wobei drei allerdings im wesentlichen die Backings übernehmen (schöne Struktur im Intro von "Perfect Memory"!). Ihre Professionalität stellen die Leipziger auch dadurch unter Beweis, indem die beiden Gitarristen und der Drummer, als der Bassist ein technisches Problem mit seinem Instrument lösen muß, mal eben einen hübschen Blues improvisieren. Trotz vorgerückter Stunde kommen auch Porcelain nicht um eine Zugabe herum. Die heißt "Failed" und enthält die wohl deutlichste Metalkante des Sets sowohl im Riffing als auch im Drumming. Guter Stoff, der auch von den Ansagen des Sängers lebt - lustig, aber nicht laberig.
zwischenFall waren auf den Flyern als "Late Night Special" angekündigt - aber daß die Nacht so spät werden würde, hätte wohl vorher auch niemand gedacht, denn erst weit nach 2 Uhr kann das Trio seinen Set starten, der nicht auf der Open Air-Bühne, sondern in der benachbarten Kirche stattfindet. Der Rezensent trifft dort erst ein, als die Technik nach den ersten Songs gerade mal wieder ihren Geist aufgibt, aber repariert werden kann. Im verbleibenden Setteil hört man den gewohnten Poesierock - aber Moment mal: Trio? Ja, es gibt wieder mal eine neue Besetzung, und zwar hat sich Multiinstrumentalist Martin Reichel (Auswahl: Keyboard, diverses Holzgebläse, Mundharmonika) den beiden Bandköpfen Marco Schlunk und Tobias Petzoldt zugesellt. Was schon auf dem aktuellen Album "Wir wollen reden." gut funktioniert hat, bewährt sich auch auf der Livebühne, obwohl, wie der Kenner mitbekommen haben wird, der Trommler neuerdings auf den Namen Yamaha hört und der musikalischen Spontanität somit Grenzen gesetzt sind. Die Setlist kombiniert neues Material wie den Titeltrack des genannten Albums mit Oldies wie dem Bandnamensgeber, wobei erstaunlicherweise im vom Rezensenten gesehenen Setteil der Mini-Klassiker "Anja Müller hat Geburtstag" fehlt und leider auch der beste Song des neuen Albums, der episch-schleppende Closer "Tagewerk", durch Abwesenheit glänzt (daß der zu Setbeginn erklungen sein sollte, erscheint angesichts seines Gestus, der ihn für eine späte Plazierung determiniert, arg unwahrscheinlich). Zwischen die Songs streut Tobias in bewährter Weise wortakrobatische Zwischentexte über Gott, IKEA und die Welt, die man immer wieder gern hört, selbst wenn dem häufigeren zwischenFall-Konzertbesucher der eine oder andere diffus bekannt vorkommt. Als Zugabe bekommt die applaudierende, allerdings uhrzeitbedingt nicht mehr sehr dicht gefüllte Kirche keinen Song, aber einen weiteren Text vorgesetzt, und um 3.10 Uhr fällt letztlich der Vorhang eines immer wieder schönen Festivals - nächstes Jahr wieder, und dann vielleicht mal ohne Probleme ...



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