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Standing On A Rock IV   27.09.2008   Mölbis, Pfarrgarten
von rls

Nach einem Jahr räumlicher Abstinenz wegen temporärem Umzug nach Frohburg kehrte das Standing On A Rock-Festival wieder an seinen angestammten Platz, den Pfarrgarten in Mölbis, zurück. Die vierte Auflage fuhr wiederum fünf Bands sehr unterschiedlicher Stilistiken auf und setzte diverse mehr oder weniger liebgewonnene Traditionen fort, andere wiederum nicht. Mit Billingsänderungen hat die Mannschaft um Chefdenker Andreas Bergmann ja schon Erfahrungen, und auch dieses Jahr mußte zweimal umgeplant werden, was dann dazu führte, daß bei der Viertauflage erstaunlicherweise keine tschechische Band auf den Brettern stand und auch die immer gern gehörte Skaband durch verwandte Stilistika ersetzt werden mußte.
Für den Rahmen des Festivals sorgte Henning Olschowsky, der bei zwei Formationen auf der Bühne stand, nämlich dem Opener Die Schwarzen Löcher und dem Closer, der ohne einen gesonderten Bandnamen auskommen mußte und lediglich unter Musikprojekt Wurzen firmierte. Der Jugendpfarrer des Noch-Nachbarkirchenbezirks (Vereinigungspläne machen ähnlich der politischen Kreisgebietsreform auch im Kirchenbereich immer wieder die Runde) fungierte zunächst als Sänger und Gitarrist Der Schwarzen Löcher, die sich durch eine extraordinäre Besetzung auszeichnen: Alle Bandmitglieder sind hauptamtliche Pfarrer. Das Trio eigendefinierte seine Musik als "Bluesrock oder so ..." und lag damit prinzipiell nicht falsch, denn sie vergaß einesteils nicht, daß die Wurzeln der Rockmusik einstmals im Blues lagen, limitierten sich allerdings auch nicht auf die üblichen Standards. Die Setlist bestand aus einzelnen Covers, diversen durchaus intelligenten Adaptionen von Gesangbuchstandards von "Geh aus mein Herz und suche Freud" bis hin zu "Wir glauben all an einen Gott" sowie kompletten Eigenkompositionen, allerdings zumeist auch mit explizit biblischem Hintergrund, wie man es von einer Pfarrerband und einem Programmtitel wie "Rock The Bible" ja auch erwarten würde. Erstaunlicherweise entpuppte sich "Und Adam erkannte sein Weib Eva" allerdings als Slowblues, was doch einen etwas doppelsinnigen Charakter zu offenbaren schien. Henning übernahm mit einer klassischen, allerdings nicht zu rauhen Bluesstimme den Großteil der Leadvocals, tatkräftig unterstützt allerdings durch seine Mitstreiter, die interessante andere Stimmfärbungen einstreuten. Nicht jeder Song überzeugte zu hundert Prozent, allerdings hatten einige auch noch einen Werkstattstatus, und da wird sich der eine oder andere Holperer im Arrangement sicherlich noch abschleifen. Für Henning war es eine ganz spezielle Rückkehr zu seinen Wurzeln - immerhin hat er vor 20 Jahren auch schon mit Feuerhaken und der Merlin Blues Band im Kirchenbezirk Borna auf diversen Veranstaltungen, so auch dem seinerzeitigen Standing On A Rock-Vorläufer, gespielt, und demzufolge durfte auch ein bereits damals gespielter Song nicht in der Setlist fehlen. Gute Wertarbeit, vom Publikum anständig beklatscht.
The Haureins aus Bautzen hätten eigentlich für den Ska-Faktor im Billing sorgen sollen, mußten eine knappe Woche vor dem Gig aber wegen eines Unfalls des Gitarristen absagen. So kamen Hematom aus dem unweiten Colditz zu der Gelegenheit eines kurzfristigen Gigs und brachten eine andere, zumindest verwandte Farbe ins Spiel: Punkrock. Für diesen gab es im Schaffen der Band nur drei Tempi, nämlich schnell, ganz schnell und übelst schnell, wobei es das Trio aber schaffte, zumindest über die Länge eines Gigs noch keine Langeweile aufkommen zu lassen, selbst wenn Drummer Henry quasi über die ganze Spielzeit hinweg mindestens auf einer Komponente seines Drumkits ein nicht unter Sechzehnteln liegendes Tempo spielte. Auch Melodien der eher einfacheren und mitmachkompatiblen Natur fehlen nicht, einige ausgedehnte Breaks sorgten für zumindest etwas Vielfalt, und auch bei den Leadvocals bemühte man sich um Variationsbreite, indem neben dem dafür hauptverantwortlichen Gitarristen Tom auch Bassist Rodi die eine oder andere Passage übernahm und sich dieser Aufgabe mit einer äußerst rauhen Stimme entledigte, die ihn auch für eine Thrashband qualifizieren würde. Das Trio, nicht zu verwechseln mit den deutlich extremer musizierenden deutschen Landsleuten Hämatom, coverte "Politessen" (von wem eigentlich?), schaltete zumindest in einem Song mal auf die Halbakustische herunter, baute im letzten Song des regulären Teils sogar ein Baßsolo ein, spielte natürlich auch seinen "Mini-Hit" "Zaunpfahl" und hatte offensichtlich ein Faible für kurze bis kürzeste Songtitel. Leider verstand man die deutschen und nicht eben eindimensional wirkenden Texte nur partiell, aber generell war der Sound schon noch im grünen Bereich. Nicht jeder Ton saß da, wo er offensichtlich hinsollte, aber die nicht nur tempodominierte ehrliche Frische und die erfreuliche Selbstironie holten einiges wieder raus und ließ den Daumen auch für Hematom nach oben gereckt.
Durch die Absage der Tschechen Maranatha rutschten Course Death ins Billing, und nach dem sehr intensiven Gig blieb nur das Urteil übrig, daß ohne diese Truppe echt was gefehlt hätte - und das nicht nur aus Sicht der Headbanger im Publikum. Die hatten ohnehin Schwerstarbeit zu verrichten, spickten Course Death ihren Hybriden aus Death Metal und Metalcore doch mit jeder Menge Tempowechseln, die man erst dann strukturell entschlüsseln konnte, wenn man sich etwas in das Material hineingehört hatte, was ob der Tatsache, daß man lieber ein bißchen weniger Drums und dafür ein bißchen mehr Gitarren im Gesamtmix gehabt hätte, nicht zu den ganz einfachen Aufgaben zählte. Daß gleich zwei Mitglieder in Merch von The Black Dahlia Murder aufliefen, ergab musikalisch durchaus Sinn, denn diese Band hat definitiv die eine oder andere Spur im Material des Quintetts aus Zschorlau hinterlassen. Der Sänger wechselte zwischen Gebrüll und Gekreisch, unterstützt durch den nur kreischenden Rhythmusgitarristen - Cleanvocals blieben konsequent außen vor, und aufgrund der Schwierigkeit der Gitarrendurchhörbarkeit war der Melodiegehalt praktisch unmöglich einzuschätzen, wobei gegen Setende die diesbezügliche Transparenz etwas besser wurde. Selbstironie war auch Course Death nicht fremd, ihr Anliegen aber trotz unmöglich zu verstehender Vocals durchaus ein ernstes, wie einige der Ansagen deutlich machten. Ließen die ersten Songs noch eine eher mäßige Durchschnittstempolastigkeit vermuten, so packten die Erzgebirgsbewohner bald auch speedlastigeres Material aus, und trotz der hohen Durchschnittslänge der Songs hatten sie dazwischen auch einen Einminüter gepackt. Die Bühnenshow fiel auch mit nur einem Langhaarigen in der Band (der Leadgitarrist, der optisch auch in jede finnische Band passen würde) sehr intensiv aus, und ein kleines bluesiges Solo ging durchaus als musikalische Überraschung durch, denn einen echten Wiedererkennungswert konnte man den Kompositionen im heutigen Metalcoredschungel noch nicht bescheinigen. Das verringerte den Hörspaß allerdings keineswegs, und mit dem "Jesus Christ" gewidmeten "Person II" (oder so ähnlich) hatte das Quintett sogar einen relativ eingängigen Song am Start, der von der Stellung im Gesamtschaffen her ein ganz klein wenig an "Black Tears" von Edge Of Sanity erinnerte. "Like Animals" dagegen, ironisch als Song für die alten Leute im Publikum angesagt, begann zwar mit einem ausladenden Doompart, geriet aber bald in die gewohnten Gefilde, nur mit dem Unterschied, daß hier vielleicht nur zehn Tempowechsel im Song versteckt wurden und nicht 20 wie sonst bei Course Death üblich. Millimetergenaue Präzisionsarbeit und ein durchaus denkwürdiger Gig für die harte Fraktion im Publikum, die sich auch nicht ohne eine Zugabe zufriedengab.
Unbagged - ein noch relativ neuer Name im Zirkel der christlichen Rockmusik, aber die Musiker sind dann doch keine Unbekannten, spielten einige von ihnen doch schon unter dem Namen Accuser's Enemy zusammen. Freilich hätte es rein aus musikstilistischen Gründen nicht zwingend eines neuen Bandnamens bedurft, denn auch Unbagged balancierten auf dem Grat zwischen moderner Rockmusik einerseits und dem einen oder anderen Einfluß aus der traditionellen Ecke andererseits, wobei erstgenannte eindeutig die Oberhand hatte und Unbagged zudem bewiesen, daß man Grunge tatsächlich ganz ohne punkige Schrammelattitüde spielen kann. Auch geradlinigere Rocker wie "Haste" enthielten im Regelfall mindestens einen halbakustischen oder zumindest epischer angehauchten Part, während das Quartett andererseits mit "Insane" eine sehr vielschichtige Halbballade auffuhr, die zwischenzeitlich allerdings mit geschickt plazierten Speedattacken aufgelockert wurde. Eine reine Ballade befand sich ebenfalls im Set, deren akustische Parts (besonders das Outro) einen wunderbaren, fast kammermusikalisch orientierten Anstrich besaßen. Der Setcloser "My Voice", ein älteres Stück aus dem Bandschaffen, präsentierte sich noch etwas zu vorhersehbar (bis auf den unerwarteten Speedausbruch gegen Soloende), wohingegen als Zugabe mit "On The Road (With Jesus)" ein Song erscholl, der gerade mal vierzehn Tage zuvor geschrieben worden war und seine Endausfeilung noch vor sich hat. Hin und wieder hatte man auch in anderen Songs noch den Eindruck, ein wenig Feinschliff sei noch vonnöten, etwa in "Carry Me To Sunlight", wo das permanente traditionelle Gitarrenlead und die eher moderne Rhythmusgitarre nicht so richtig zu einer Symbiose finden wollten - aber genügend emotional anrührende oder einfach zum Mitwippen bzw. -rocken animierende Passagen machten solche kleinen Problemfälle mehr als wett. Vom Sound her hätte man lediglich dem Gesang des Bassisten etwas mehr Volumen und die Rhythmusgitarre des anderen Sängers etwas stärker herausgearbeitet gewünscht, ansonsten stimmte die Balance zweifellos. Der Rhythmusgitarrist verfügte übrigens über eine interessante, leicht nasale, aber eben nicht grungige Stimme, während der Bassist zwar fast wie Saphena-Rob aussah, aber völlig anders sang, clean, recht hoch und an irgendwen erinnernd, dessen Name dem Rezensenten gerade nicht einfällt. Ein guter Gig der Koblenzer, wenngleich sicherlich noch kein Meilenstein - aber sie haben das Zeug zu mehr.
"EVA rockt" hatte im Mai 2008 ein organisatorisch umstrittenes Jugendfestival rund um die Frauenkirche in Dresden geheißen - ob es eine bewußte Anspielung des Musikprojektes Wurzen (dessen Fokus übrigens eher im Grimmaer als im Wurzener Raum anzusiedeln wäre) war, sein 2008er Musical "EVA zickt oder Deine Mutter" zu nennen, muß zwar offenbleiben, darf aber durchaus vermutet werden. Die Mölbiser Aufführung markierte die letzte der Saison für dieses Musical (man erarbeitet im Regelfall jedes Jahr ein neues), das sich als interessantes musikalisches Konglomerat erwies, neben eigenkomponierten Nummern auch das eine oder andere Cover von Bands wie Den Ärzten oder - huch - Den Schwarzen Löchern enthaltend. Henning Olschowsky, der die Fäden in der Hand hielt, saß hier zur Abwechslung mal am Schlagzeug und spielte auch noch Geige (gibt es ein Musikinstrument auf dieser Welt, das dieser Mann nicht beherrscht?), eine vierköpfige Begleitband sorgte für die restlichen instrumentalen Parts (ein Bassist, zwei Gitarristen und ein gelegentliche Farbtupfer setzender Flötist - und die Passagen, in denen er aktiv war, klangen eindeutig nicht nach Jethro Tull!), wobei das Vorhandensein zweier Gitarristen möglicherweise einen höheren Rockfaktor assoziiert, als letztlich zu diagnostizieren war. Apropos Diagnose: Die Kopfmikrofone der Schauspieler spielten während der ganzen Aufführungsdauer verrückt und sorgten für stark wechselnde Textverständlichkeit während der Sprechpassagen; auch die Tonabnahme des Chores gelang nicht richtig, und eine Positionsänderung des Chores für den großen Schlußchor sorgte dafür, daß die ca. 20 Leute dann gar nicht mehr verstärkt zu hören waren, was von der Intensität her natürlich völlig anders gedacht gewesen war. Das Stück handelt grob umrissen von einer schwierigen Mutter-Tochter-Beziehung, in der die Mutter lernen muß, ihre Tochter loszulassen, und beide am Ende beinahe die Rollen tauschen, da die Tochter der reinen Protestphase entwachsen ist, die Mutter mittlerweile aber gelernt hat, sich auf ganz andere, fast jugendlich wirkende Art dem Leben zu öffnen. Das Mutter-Tochter-Duo stand schauspielerisch selbstredend im Mittelpunkt der Handlung und rechtfertigte diesen Fokus auch mit gutem, in manchen Szenen fast beängstigend intensivem Spiel, wohingegen die Nebenfiguren ebensolche blieben und daher kaum real zu bewerten waren. Interessant übrigens, daß es ausgerechnet die Pseudo-Hiphopper waren, die der Tochter die Jugendsubkulturaffinität erfolgreich austrieben - ein Schelm, wer Arges dabei denkt :-) Die Publikumsreihen hatten sich mittlerweile etwas gelichtet (es war arg spät und auch arg kalt geworden), aber die zumeist jugendlichen Akteure (garniert mit ein paar wenigen "Berufsjugendlichen") ernteten trotzdem verdienten Applaus in beachtlicher Menge. So endete ein vielschichtiges Festival, das die Lebendigkeit der christlich sozialisierten Jugendkultur in ganz verschiedenen Sparten aufs neue unter Beweis stellte, wenngleich das Gelände durchaus noch mehr Besucher hätte fassen können.



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