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Soulfly, Incite, Balboa Inn   05.03.2009   Chemnitz, AJZ Talschock
von rls

Wird in Chemnitz ein eigentlich für den Südbahnhof angekündigtes Konzert kurzfristig ins AJZ Talschock verlegt, ohne daß ein offizieller Grund dafür angegeben wird, so handelt es sich meist um einen Fall schlecht bis sehr schlecht gelaufenen Vorverkaufs (in den Südbahnhof paßt eine Kohorte mehr Leute als ins AJZ). Sollte dem auch in diesem Falle so gewesen sein, so wäre die Entscheidung zumindest hinterfragungswürdig, wenngleich die Schlange am Eingang und deren Abfertigungsgeschwindigkeit auf eine durchaus stark frequentierte Abendkasse schließen ließ, die Veranstalter also auch vom letztlich doch größeren Andrang überrollt worden sein können. Jedenfalls stand man im AJZ zumindest in dem Bereich zwischen Bühne und Mischpult wie in der berühmten Sardinenbüchse, es wurde kuschlig warm, und wenn nicht die segensreiche Erfindung des Rauchverbotes gewesen wäre (wenngleich etliche Unverbesserliche hier immer noch glaubten, zivilen Ungehorsam leisten zu müssen), hätte man ob der Luftqualität Bedenken haben müssen. Der letzte Soulfly-Gig in Chemnitz soll laut Dabeigewesenen an gleicher Stelle stattgefunden und ähnlich zahlreich besucht gewesen sein, was dann wohl der Grund für das versuchsweise Ausweichen in den Südbahnhof war.
Balboa Inn als "special guests" ohne Namensnennung auf den Ankündigungen müssen offensichtlich pünktlich oder überpünktlich begonnen haben, denn der etwas verspätete Rezensent bekam nur noch ihre letzten zweieinhalb Songs mit. Die stellten sich prinzipiell als durchaus interessant heraus, boten modernen Metal, der nicht selten an eine gemäßigte Variante des Headliners erinnerte, und machten sich beim Publikum auch dadurch beliebt, daß sie es zu "Soulfly, Soulfly"-Sprechchören anstachelten. Passenderweise hatte der Sänger beim letzten Song auch noch eine mobile Trommel umhängen, mit der er den perkussiven Aspekt in der Komposition unterstützte. Originalitätsfaktor der deutschen Nordlichter war allerdings der Cellist, der quasi die Stelle eines zweiten Gitarristen einnahm, sein Instrument auch mal durch die Luft wirbelte, leider aber im Gesamtsound nicht sonderlich gut wegkam und somit die Musik der Band etwas "gewöhnlicher" erscheinen ließ, als sie in der Realität wohl ist. Das machte freilich nichts, denn unterhaltsam war der Gig (zumindest der vom Rezensenten gesehene Teil) allemal und wurde auch vom Publikum mit für einen namentlich nicht angekündigten und wohl den allermeisten Anwesenden unbekannten Supportact sehr dankbarem Applaus gewürdigt.
Incite erledigten ihren Soundcheck auf der Bühne selbst und ließen sich damit enorm viel Zeit. So harmlos die Jungs dabei aussahen (den Sänger hätte man fast mit Otto Waalkes verwechseln können), so wild gebärdeten sie sich dann auf der Bühne mit ihrer Neunziger-Thrash-Variante samt leichter Achtziger-Schlagseite. "Biopantura" dachte man gelegentlich, bessere Vergleiche wären allerdings Bands wie Skinlab, die seinerzeit ebenfalls eine damals moderne Thrash-Variante gespielt hatten, ohne sich aber ganz von ihren Wurzeln zu lösen. Trotz des ausführlichen Soundchecks litten Incite allerdings unter zu lauten Drums, welche von der Gitarrenarbeit etwas arg wenig übrigließen. Das war in den ersten Songs, wo sich der Gitarrist auf wenig aussagekräftiges Riffing beschränkte, nicht so sehr das Problem, in den letzten, wo er sich verstärkt der Leadarbeit zuwandte und dabei, soweit man das vernehmen konnte, eine durchaus gute Figur abgab, aber zweifellos schade. Gerade diesen Kompositionen merkte man auch an, daß sie wohl für zwei Gitarren konzipiert waren, ergo das Fehlen einer Rhythmusgitarre einen markanten Ausfall darstellte. Der solide spielende (und fleißig bangende) Bassist konnte diese Lücken nicht stopfen, und der Sänger ließ mit seinem recht herben und etwas zu eintönigen Gebrüll die gesamte Musik eine Stufe extremer erscheinen, als sie eigentlich war. Seine Lektion in puncto Publikumsanimation hatte er freilich gelernt und bereicherte den Wortschatz des Auditoriums speziell durch das mannigfach wiederholte Attribut "fucking". Das Publikum dankte mit ersten Bewegungsaktivitäten eines fucking pit, und man staunte, wo plötzlich der ganze Platz dafür herkam. Kein schlechter Gig der Amis (die übrigens aus Phoenix, Arizona kommen, wo ja auch Familie Cavalera seit längerem wohnt), allerdings auch nichts für die Ewigkeit.
Auch der Soulfly-Soundcheck (einer der Roadies sah doch tatsächlich aus wie der kleinere der Wildecker Herzbuben ...) zog sich enorm in die Länge, und die Umbaupause überstieg die Spieldauer des Black Sabbath-Klassikers "Heaven And Hell" (des vollen Albums wohlgemerkt, nicht des Songs!) ein gutes Stück. "Blood Fire War Hate", der brachiale Opener, versöhnte die Menge aber schnell und ließ ahnen, was sich in der Gesamtbetrachtung dann auch bestätigte: Soulfly hatten den gleichen Weg eingeschlagen wie Sepultura auf ihrer aktuellen Tour, verzichteten fast völlig auf die tribalen Elemente (abgesehen vom angespielten "Bumba", zu dem man etliche Trommeln auf die Bühne räumte und einer der Fans mittrommeln durfte) und spielten statt dessen einen über weite Strecken knüppelharten Thrash-Set, der freilich immer noch abwechslungsreich und differenziert genug ausfiel, um nicht als kantiger Monolith oder reine Lärmorgie zu wirken. Da war allein schon Marc Rizzos phantastisches Leadspiel vor - mit diesem Mann hat Max Cavalera einen kongenialen "Ersatz" für den nicht minder begabten Andreas Kisser an seine Seite gelotst. Was Marc in einem der Ruhepole des Sets, als er auf einer zwölfsaitigen Gitarre über einem klassisch-altrockigen, aber zurückhaltend ausgerollten Teppich aus Baß und Drums agierte, leistete, war nichts anderes als Weltklasse, aber auch in seinem sonstigen Spiel präsentierte er sich als virtuoser Gegenpart zum eher die rohe Energie verkörpernden Max an der Rhythmusgitarre. (Daß Marc ein wenig wie Adam Dutkiewicz von Killswitch Engage aussieht und auch in seiner Bühnengestik ein wenig an diesen erinnert, sei am Rande nicht verschwiegen - und auch nicht, daß Max es fertigbrachte, sich während des Sets öfter umzuziehen als Tarja Turunen ...) Max führte souverän durch den Set, seine typischen Vocals saßen dort, wo sie sitzen mußten, und viel Publikumsanimation hatte er nicht nötig, denn da kam auch so viel der übrigens in gutem und nicht überlautem Sound von der Bühne gepusteten Energie wieder zurück. Auch hier fragte man sich freilich, wo plötzlich der Platz für einen Circle Pit herkam ... Die harte Ausrichtung des Sets bekam spätestens im dritten Song auch der letzte mit, der es noch nicht begriffen hatte: Wer hätte an dieser Position mit "Refuse/Resist" (wenn auch nicht komplett ausgespielt und daher nicht in der Setlist verzeichnet) gerechnet? Danach dann gleich noch "Roots Bloody Roots" - halt, nein, doch nicht, die typische verschleppte Drumfigur hat Max gleich nochmal im ähnlich brechenden "The Prophecy" untergebracht, und das Sepultura-Markenzeichen "Roots Bloody Roots" sollte an diesem Abend unerklungen bleiben (auf einigen Gigs der Tour stand es allerdings im Set), wenngleich man diese Rhythmusfigur gegen Setende noch einmal wiederfand. Ansonsten gab's selbstredend einiges vom neuen und die knüppelharte Linie schon vorgebenden "Conquer"-Album, gemischt mit etwas "old shit", für den sich das Publikum natürlich entschied, als es von Max vor die Wahl zwischen "old shit" und "new shit" gestellt wurde. Garniert wurde der Set übrigens von ein paar musikalischen Zitaten, und der Rezensent ist sich keinesfalls sicher, ob er alle erkannt hat. Marcs Slayer-Shirt fand jedenfalls seinen Widerhall im locker eingestreuten Intro von "Raining Blood", und das Ende des Gigs versank förmlich in Zitaten - erst Black Sabbaths "Children Of The Grave", dann Metallicas "Creeping Death". Besagtes Ende des Gigs und zugleich die einzige Zugabe bildete der Debütklassiker "Eye For An Eye", nach den zwei Zitaten in Gitarrenfeedback endend, und das war noch nicht mal verklungen und die Rhythmusgruppe noch nicht mal von der Bühne verschwunden, als der Soundmensch schon die Konservenmusik einschaltete und der Lichtmensch das Saallicht anknipste. So endete der unterhaltsame, allerdings nicht gerade überlange Gig irgendwie ein wenig im emotionalen Nichts, was seinen generellen Wert allerdings nicht schmälert (obwohl beim Hinausgehen sich keinesfalls alle Anwesenden über die kompromißlos harte Linie glücklich zeigten - aber man kann es halt nicht jedem recht machen ...).

Setlist Soulfly:
INTRO-B.F.W.H.-SANKTUARY
INTRO-PROPHECY
INTRO-PRIMITIVE
ENEMY GHOST
TRIBE
MARS
CARVED INSIDE
DOOM
L.O.T.M.-MOLOTOV-DRUMS
WARMAGEDDON
INTRO-SIRENS
FALL OF THE SYCHOPHANTS
FRONTLINES
UNLEASH
DEFEAT U-BABYLON
JUMP-EYE FOR AN EYE



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