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Rock Zone L.E.   28.02.2009   Leipzig, Anker
von rls

Zur bereits liebgewonnenen Institution im Leipziger Terminkalender ist die Rock Zone L.E. geworden, wenngleich sie beim letzten Mal anno 2008 noch Metal Zone L.E. hieß - man hat also das musikstilistische Spektrum ein wenig ausgedehnt und diesmal zugleich noch ein durchgängiges Konzept entwickelt: Der Anker hat zwei Locations, eine kleine Studiobühne und den großen Saal, so daß jeweils auf einer Bühne gespielt und auf der anderen umgebaut wurde, sich ergo keine Umbaupausen ergaben und der Interessent sich mehr als fünf Stunden am Stück mit Livemusik beschallen lassen konnte, was freilich einige Kraftreserven erforderte. Zudem war auch noch ein strukturell allerdings etwas unklar kommunizierter Wettbewerb für sich gerade gründende Bands integriert, und vielleicht stehen diverse Ergebnisse ja auch bei einer der künftigen Rock Zone-Veranstaltungen auf der Bühne. Etwa 400 Besucher wollten sich den Gig nicht entgehen lassen.
Als Opener fungierten auf der kleinen Bühne Tom Twist, und der kleine Raum davor war schnell gefüllt, denn das Trio zockte eine mitreißende Rock'n'Roll-Variante aus der ganz klassischen Schule, nur echt mit diversen Surf- und Rockabilly-Zutaten und natürlich viel Gel in den Haaren des Sängers und Gitarristen. Dazu dann der Uran-, äh Kontrabaß des aus dem erzgebirgischen Schlema kommenden Bassisten und ein typisches Standschlagzeug - fertig war eine mitreißende halbe Stunde bei recht gutem Sound. "Karolin" hatte auf Wunsch der Großmutter des Frontmannes einen deutschen Text, auch die Hymne "Wir sind Mugger" bediente sich des heimischen Idioms, "Riders On The Storm" etwa aber des englischen, und "Barracuda" (das von Ricky King, nicht das von Heart!) kam ganz ohne Lyrik aus. Guter Stoff, der auch das Publikum hörbar begeisterte, so daß man eine Zugabe einforderte, welche der Fronter im Alleingang von sich gab, sich darin aber etwas zu platt sexistisch gebärdete - eine Klippe, die er zuvor im Hauptset noch elegant umschifft hatte.
Müller 108 eröffneten den Reigen auf der Hauptbühne, und hinter dem undurchsichtigen Bandnamen verbarg sich eine interessante Mixtur aus klassischen und modernen Hardrockelementen. Das Quintett setzte auf Vielseitigkeit, ohne in Beliebigkeit zu versinken, pendelte zwischen einigen ruhigen Verharrungen und fetten Rockparts (schönes Beispiel: "In This Life") und präsentierte sich auch gesanglich multipel: Der mittlere Gitarrist übernahm die meisten Vocals (meist clean, mal auch fies schreiend), der rechte Gitarrist (der auch die meisten Leads spielte) steuerte gelegentlich zweite Stimmen bei oder übernahm die Leadmelodie, wenn sein Kollege herzhaft schrie, der dritte, nur mit einer Schellentrommel bewaffnete Frontmann schien sozusagen auf Abruf bereitzustehen, übernahm dann aber im schnellen "Marching On" die hier etwas herberen Leadvocals. Verwirrte die Personalstelle des Letztgenannten etwas, so verschaffte die zweite Sethälfte Aufklärung, denn da tauschte dieser Mensch seinen Platz mit dem Drummer - Müller 108 haben also zwei Schlagzeuger in der Band, aber daraus könnten sie eigentlich noch viel mehr machen (das muß nicht gleich Ministry-Ausmaße annehmen, aber warum eigentlich auch nicht?). Daß sie aus dem Dunstkreis des Leipziger Schauspiels stammen, bemerkte man am deutlichsten an der Ballade "Come My Way, Death" auf einen Shakespeare-Text, aber Müller 108 funktionieren auch ohne diesen Hintergrund, wie dieser Gig unterstrich, für dessen Zugabe man auf klassisches Beatles-Schaffen zurückgriff.
Denico versuchten danach das Publikum vor der kleinen Bühne bei Laune zu halten, aber so richtig wollte ihnen das mit ihrem komischen alten indielastigen Rock, den etwa Tender Fury vor 20 Jahren schon mitreißender gespielt haben, nicht gelingen. Einzelelemente wie das entrückte Klavierintro oder der Reggae-Strophenrhythmus in Song 4 lockerten das Bild etwas auf, und auch der auffällig helle Gesamtsound war ungewöhnlich, aber so richtig herumgerissen werden konnte das Ruder dadurch nicht. Die Ansagen wiederum bestachen gleichermaßen durch Kürze und Witz, die abschließende Feedbackorgie allerdings grenzte trotz Gehörschutz an Gesundheitsgefährdung.
Woran es lag, daß auch die Lipstix auf der großen Bühne nicht sonderlich viel reißen konnte, blieb ungeklärt, denn der Punkrock der vier Mädels hätte dem überwiegend jungen Publikum durchaus gut reinlaufen können, und so unattraktiv sahen zumindest Teile des Quartetts, das übrigens in Einheitskleidung antrat, welche nur in puncto Gliedmaßenbedeckung eine Variationsbreite zuließ, nun auch wieder nicht aus. Die Sängerin mühte sich denn auch redlich, das Publikum zu animieren, bewies allerdings auch genügend Selbstironie, als ihr das nur partiell gelang ("Das hier vorne is keen Fotografengraben!"). Irgendwie hatte sie das Problem, daß ihr Mikrofon zu leise eingestellt war und man die Backings der Bassistin daher deutlich besser hörte, was vom Leadgesang auch lediglich den hysterischen Teil gut hörbar beließ, den "normal" gesungenen allerdings etwas ins Abseits stellte (man brauchte durchaus ein, zwei Songs, bis man feststellte, daß deutsch getextet wurde). Songwriterisch kombinierten die Lipstix klassisches Ufta-Ufta mit doch etwas anspruchsvoller ausgestalteten Passagen, hatten mit etwa "9:8:5:10" durchaus interessante Songs im Gepäck und gaben nach gewissen Unklarheiten dann doch noch eine Zugabe.
Lounge Act spielten auf der kleinen Bühne dann ein entrücktes Intro, das ihrem Bandnamen noch Genüge zu tun schien, aber mit dem ersten richtigen Song war's aus mit etwaigen flauschig-fläzigen Lounge-Gedanken. Das Quartett fuhr vielmehr eine hochenergische Mixtur aus klassischem Hardrock und modernem Power Metal auf, nur gelegentlich mal Hüpfelemente oder ganz leichte alternative Anflüge zulassend, die aber schnell wieder weggewischt wurden. Ein Song wie "Send A Sign" ließ rein strukturell (wenngleich nicht in der Umsetzung) gar Parallelen zu Nevermore ins Hirn springen. Zudem fiel das Songmaterial dadurch auf, daß der Leadgitarrist fast die gesamte Spielzeit, also keineswegs nur in den Solospots, als solcher agierte, also mal speedige, mal melodiöse Gitarrenleads über den trockenen Unterbau legte (er spielte übrigens stilecht eine Flying V). Die etwas herberen Shouts beherrschte der Sänger, der auch die zweite Gitarre spielte, gut, die Cleanparts offenbarten hingegen noch etwas Verbesserungspotential. Dafür aber wirbelten die beiden Gitarristen wie wild über die kleine Bühne, die dreadgelockte Bassistin hatte noch weniger Platz und mußte sich daher etwas zurückhalten, und selbst der Schlagzeuger gebärdete sich wie einst Keith Moon, so daß die Durchschnittstemperatur in dem kleinen Raum rasch stieg. Mit dem ruhig beginnenden, aber bald in einen Brecher umschlagenden "Rocking Overdose" beendeten Lounge Act ihren hochkarätigen Set und wurden gleichfalls zu einer Zugabe überredet.
Die eigentlichen Headliner des Abends waren Nitrolyt, die ihren letzten Gig unter diesem Namen absolvierten. Ergo war Präsenz in der zweiten bis dritten Reihe und fleißiges Bangen Pflicht, denn man weiß ja nicht, wann man diesen einzigartigen, aus allen möglichen und unmöglichen extremeren Metalstilen zusammengefügten Cocktail mal wieder zu hören bekommen wird. Der totale Stromausfall mitten im Intro hätte sogar zum Konzept gehören können, und man witzelte im geduldig ausharrenden Publikum schon, daß dies eine eigenartige Methode eines Abschiedsgigs sei - Intro anspielen und dann einfach wieder gehen. Aber irgendwann war der Elektroschaden behoben, und es ging doch richtig los: Die Setlist ähnelte der von 2008 an gleicher Stelle, allerdings hatte man beispielsweise "Russian Roulette" eliminiert und "Commercial Break" mal wieder ins Programm aufgenommen, bei letztgenanntem mit Nuke Eastern Plot-Max in schon fast traditioneller Weise einen Gastsänger ans zweite Mikro holend. Apropos Gesang: Matthias hat den positiven Eindruck, den man schon vor einem Jahr trotz damaliger gesundheitlicher Angeschlagenheit gewonnen hatte, eindrucksvoll bestätigt, sowohl was die Qualitäten als vielseitiger Sänger als auch was die Ausfüllung der Frontmannrolle betraf - er führte souverän durch den knapp einstündigen Set, der diesmal sogar durch einen sehr guten Sound bestach, welcher nur einige Keyboardpassagen, vor allem gegen Setende hin, ein wenig zu weit ins klangliche Abseits stellte. Jedenfalls war es höchst interessant, die Entwicklung Nitrolyts von einer liebenswerten Chaotentruppe hin zu einer immer noch liebenswerten, das Chaos aber zu strukturieren wissenden ernsthaften Band zu verfolgen, und es bleibt gespannt abzuwarten, in welcher Form die fünf Jungs (die in dieser Besetzung zusammenbleiben wollen) in die Szene zurückkehren werden. Natürlich ließ das trotz des melancholischen Anlasses feierfreudige Publikum Nitrolyt nicht ohne eine Zugabe ziehen, und hier schloß sich dann wieder der Kreis zu den Anfängen der Band als Metallica-Coverprojekt in Gestalt von "Master Of Puppets", das nebenbei bemerkt auch den Abschluß des ersten Nitrolyt-Gigs, den der Rezensent gesehen hat (Sommer 2004 war's), markiert hatte (ergo ein weiterer geschlossener Kreis). Adieu, Jungs, war schön mit euch.
Setlist Nitrolyt:
Soldiers
Incredible Georg
J.A.A.S.
Commercial Break
Haunted
Scream
Suffering
Alive
Hollywood Death Scene
Sign Language
---
Master Of Puppets

Ohne Pause nach einem aus strukturellen wie auch rein musikalischen Gründen äußerst intensiven Gig auf die kleine Bühne zu müssen war ein undankbarer Job, und so begannen Portrait Of Tracy vor sehr lockeren Reihen auf der kleinen Bühne, die sich aber schnell zu füllen begannen, denn das Quartett legte einen astreinen und ebenfalls höchst intensiven Metalcoregig hin, wobei der Metalanteil deutlich überwog. Sehr abwechslungsreiche Kompositionen wurden durch Zwischenspiele vom Band unterbrochen (die Band hat mit "An Orchid's Vendetta" ein Konzeptalbum am Start), der Gesang wechselte zwischen dominierendem Geschrei, ein wenig Gebrüll und souveränen Cleanpassagen, und der Sound ließ auch die starken Melodiegitarren ihren zugestandenen Platz einnehmen. Überhaupt begann man sich während des Sets immer mehr über die immer noch rollende Metalcorewelle zu freuen, denn die hat einerseits den Effekt, daß solche prima Bands entstehen und auch wahrgenommen werden, und führt andererseits dazu, daß spieltechnisches Können bei Nachwuchsbands wieder einen deutlich wichtigeren Faktor einnimmt, was im musikpädagogischen Sinne sehr zu begrüßen ist. Der vorletzte Song von Portrait Of Tracy mit seinem eingesampelten Klavierthema ging zumindest in seinem ausgedehnten ersten Teil fast als Progmetal durch und stellte die Qualitäten dieses Quartetts ein weiteres Mal eindrucksvoll unter Beweis.
Auch Last Chapter hatten bereits ein Jahr zuvor auf der Bühne gestanden, damals allerdings als Opener, während sie diesmal den Schlußpunkt auf der Hauptbühne setzen durften. Und wer beide Gigs gesehen hat, der konnte nicht umhinkommen, dem Quintett aus Brandis eine gehörige Weiterentwicklung zu attestieren. Sicher, Metalcore spielen sie immer noch, aber sie haben an Durchschlagskraft und auch an Originalität und Souveränität gewonnen, der Sänger ist auch ein richtig guter Frontmann geworden und hat zudem sein Stimmspektrum noch etwas weiter ausgebaut, wenngleich man über die harmonizerverdächtigen Passagen an einigen Stellen durchaus geteilter Meinung sein durfte. Der Bassist, neben dem Sänger der bewegungstechnische Aktivposten, unterwegte diverse Refrains wieder mit einer cleanen Zweitstimme, während die beiden Gitarristen diesmal vom Soundmenschen mit etwas zuwenig Achtung bedacht wurden und wenig Akzente im Melodiespiel setzen konnten. Kurze swingartige Einlagen und ein Songtitel wie "Please Wear Your Sunglasses All Night" offenbarten auch eine gewisse Portion Humor, der allerdings durch einen Haupttrumpf der Band seinen flankierenden Maßstab erhielt: Last Chapter hieß bekanntlich auch eine legendäre US-Doomband, und Last Chapter aus Brandis schalteten nicht selten in richtig fiese Doomparts herunter, die auch Crowbar nicht fetter hinbekommen hätten. Kompliment dafür, und der neue Song "The End Of A Lovesong" wies auch in die richtige Richtung und offenbarte zugleich noch Verbesserungspotential, denn den Baßsolopart etwa hätte man noch viel aussagekräftiger ausarbeiten können. Mit einer Zugabe setzten Last Chapter den Strich unter das letzte Kapitel eines gelungenen Abends mit der einen oder anderen interessanten Bandentdeckung, von der man sicherlich/hoffentlich im größeren Maßstab noch hören wird.



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