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Einweihung des Leipzig-Platzes   02.05.2008   Travnik (Bosnien-Herzegowina)
von rls

Was stellen Leipziger Stadträte der BündnisGrünen an, wenn sie gerade nichts zu tun haben? Klarer Fall: Sie organisieren Hilfsprojekte. Was anno 1997 als zartes Pflänzchen begann, um die vom Krieg gebeutelten Menschen in Bosnien-Herzegowina zu unterstützen, fokussierte sich schnell auf die Stadt Travnik, zwischen Banja Luka und Sarajevo gelegen und dem einen oder anderen vielleicht noch von 1984 bekannt, als bei den Olympischen Winterspielen von Sarajevo einige Disziplinen auf dem Vlasic-Plateau oberhalb von Travnik ausgetragen wurden. Aus ersten Hilfsgütertransporten entwickelte sich bald eine festere "Beziehung", die 2003 in der offiziellen Besiegelung einer Städtepartnerschaft mündeten. Schon von Beginn an kümmerte sich ein Verein um den Ausbau der Beziehungen zwischen den beiden Städten, und regelmäßig besuchen Delegationen aus Politik, Wirtschaft und Kultur der Messestadt, aber auch ganz normale Bürger die bosnische Kleinmetropole. Anno 2008 galt es das fünfjährige Bestehen der Partnerschaft zu feiern, und so machten sich ungefähr 100 Leipziger auf den Weg gen Bosnien, um mit Oberbürgermeister Burkhard Jung an der Spitze den Feierlichkeiten beizuwohnen. Selbige bestanden als zentrale Punkte aus einer festlichen Sitzung des Travniker Stadtrates, während der dem rührigen Vereinsvorsitzenden Michael Weichert die Ehrenbürgerschaft Travniks verliehen wurde, sowie der Einweihung des Leipzig-Platzes, eines bisher namenlosen Platzes im Zentrum von Travnik, der mit finanziellem Support und planerischer Leistung aus Leipzig zu einem modernen Großstadtplatz mit Wasserspielen umgestaltet wurde.
Die Einweihung des Platzes wurde von einem bunten Kulturprogramm umrahmt. Nach den üblichen Weihereden und der symbolischen Platzinbesitznahme durchs Volk (es dauerte nur kurze Zeit, da fiel auch schon der erste Knirps ins Wasser) kam es u.a. zu einer gemeinsamen Tanzaufführung von Mädchen aus Leipzig und Travnik, bevor das eigentliche große Musikprogramm begann. Selbiges eröffneten Rada Synergica, bei deren Darbietung selbst einigen Leipziger Besuchern nicht klar war, daß das eine Leipziger und keine Travniker Band war. Balkanfolklore wurde von dem Trio mit Klarinette, Akkordeon, Gitarre und Cello (in wechselnden Zusammenstellungen) dargeboten, bis zu dreistimmig vokalisiert, und das paßte soweit auch, nachdem sich die drei Damen etwas eingesungen hatten. Ein Roma vor dem Rezensenten im Publikum stieß begeisterte Jubelschreie aus, als das Trio einige Songs aus seinem Kulturkreis spielte, und auch die restliche Travniker Bevölkerung, die in dichten Trauben den Platz bevölkerte, spendete reichlich Applaus.
Der Rest des Abends gehörte dann Travniker Bands und Ensembles (unter den Mitreisenden befanden sich zwar gleich drei Nitrolyt-Bandmitglieder, aber eine Nitrolyt-Basisversion als weiteren Leipziger Beitrag auf die Bühne zu stellen erschien dann wohl doch zu abwegig). Deren erste hätte auf den schönen Namen Killingjazzhardcorebaby hören sollen, aber irgendwas war mit denen intern nicht in Ordnung, und daher standen die Reste der Band als Quartett unter der Bezeichnung Bla Bla Bla auf der Bühne. Diese Truppe produzierte allerdings ein feines Gemisch aus Jazz- und Progrock, der nur dahingehend unter Problemen litt, daß der Gitarrist gleichzeitig auch der Klarinettist der Truppe war und, da das gleichzeitige Spielen dieser beiden Instrumente praktisch unmöglich ist, sich jeweils für eins der beiden entscheiden mußte; in eventuellen Konservenversionen dürfte das Material noch interessanter klingen. Ein wenig nervig wirkten die verfremdeten Vokaleffekte, die der Keyboarder gelegentlich beisteuerte (im ersten Song aus "Leipzig, Leipzig"-Mantras bestehend) und die an finsterste NDW-Zeiten erinnerten. Aber das Gesamtbild stimmte, die Musiker entpuppten sich als erstklassige Instrumentalisten, und der Bassist überraschte mit einem T-Shirt des weitgehend unbekannten US-Sängers Bray - die Frage, wie dieses nach Bosnien-Herzegowina gelangt ist, fand ihre Antwort an einer Plakatwand der Stadt: Bray hatte eine Woche zuvor dort einen Gig gespielt.
Hinter dem Namen Puls Asfalta hätte man eine kernige Streetrockkapelle vermutet, leider reduzierte sich die Musik des Fünfers aber auf eher schwachbrüstigen Indierock, dem auch die Hinzufügung einer Trompete (die eher für eine weitere Anschrägung des Levels sorgte) keine entscheidenden Impulse mehr vermitteln konnte. Scheinbar fühlten sich auch die in Travnik friedlich miteinander koexistierenden höheren Mächte davon eher genervt, denn im dritten Song verabschiedete sich das Mischpult in die ewigen Jagdgründe, und bis ein neues herangeschafft und alles entsprechend ausjustiert worden war, verging über eine Stunde, die den kompletten, sowieso schon überzogenen Zeitplan komplett durcheinanderwirbelte.
Leidtragende dieser Durcheinanderwirbelung waren Vemors, deren Set auf zwei Songs gekürzt wurde. Das komplett weiblich besetzte Trio (die Schlagzeugerin könnte, so verlautete aus gewissen Publikumskreisen, mit ihrer Frisur auch bei Whitesnake einsteigen) spielte Punkrock der ausgesprochen unterhaltsamen Sorte, bei dem es herzlich wenig störte, daß das Melodiehaltevermögen der auch gitarrespielenden Sängerin eher marginal ausgeprägt war. Tempowechsel aus dem Nichts, bisweilen ein wenig Reggae, aberwitzige Breaks, bisweilen fette Metalriffs - davon hätte man gern noch mehr gehört, denn als Song 2 mit einem plötzlichen finsteren Doompart (!) endete, endete damit leider auch schon der Set.
Auch von Beware hätte man gern mehr gehört als nur vier Songs. Das Quartett spielte zwar im Weltmaßstab wenig originellen, aber sehr gut umgesetzten Metalcore mit deutlicher Schlagseite zum Metal. Ungeradzahlige Taktarten waren hier eher die Regel als die Ausnahme, so daß man beim Mitbangen ständig aus dem Rhythmus zu kommen drohte, sofern man mit dem Material noch nicht vertraut war (die anwesende Jugend, die ersten beiden Reihen übrigens weitestgehend noch im einstelligen Alter, kannte sich allerdings offenbar bestens aus), der Sänger schrie souverän und offenbarte nur in den allerdings seltenen und auch kaum durchhörbaren Cleanparts deutliche Steigerungsmöglichkeiten, die Gitarre-/Baß-Fraktion erzeugte hochaufragende Wälle mit Struktur, und auch der Schlagzeuger verrichtete seine Arbeit sehr ordentlich. Böse, allerdings nur bedingt ernstzunehmende Zungen aus der Leipziger Delegation äußerten, daß Burkhard Jung da gestern aber besser gewesen sei - der Oberbürgermeister hatte in einer Kellerkneipe am fortgeschrittenen Abend selbst zur Gitarre gegriffen; zuverlässige musikologische Berichte über die Qualität dieser Darbietung fehlen allerdings, während die Information, daß sich der OB am Freitag als äußerst fähiger Basketballer erwiesen haben soll, relativ gesichert ist.
Hernach geriet das Programm völlig durcheinander und hatte mit dem abgedruckten Ablaufplan nur noch wenig zu tun. Ein kurzes Theaterstück wurde gespielt, eine vierköpfige Band im Stile von The Who an einem schlechten Tag spielte nur einen Song und räumte dann den Platz für Taik Ganic. Der Alleinunterhalter samt fürchterlich verstimmter elektrischer Gitarre senkte das allgemeine Niveau allerdings beachtlich, indem er einen Background aus Ramones und Joe Satriani im Vollrausch zusammenmixte und über diesen dann noch einfingerige Übungen auf der erwähnten verstimmten Gitarre und auch nicht gerade überzeugenden Leadgesang legte. Der Ruf zum abendlichen Büfett, vom Travniker Basketballclub gesponsert, rettete den Rezensenten im dritten Song. Als er wiederkehrte, war das folkloristische Programm mit den eher sakral-orthodox klingenden Guca Gora, einem reinen Gesangsensemble, im vollen Gange. An Karaula kann sich der Rezensent schon einen Tag danach nicht mehr erinnern, an den gutklassigen und lediglich unter akutem Männerstimmenmangel leidenden Chor Travnicki Dukati aber schon. Als Quasi-Headliner waren Borac besetzt, ein Folkloreensemble, das einen leider nur drei Nummern umfassenden Set aus traditionellen Tanzperformances zu meist flottem Folklorebeat bot, wobei auch letzterer allein schon für ein qualitativ hochwertiges Ergebnis gereicht hätte, selbst wenn im ersten Song wieder mal die halbe Technik ausfiel, Kontrabaß und zwei Gitarren in der akustischen Versenkung verschwanden und somit nur noch Flöte, Drums und drei Akkordeons hörbar blieben; den nicht über Mikrofone abgenommenen Gesang hörte man ebenfalls nur marginal. Machte aber nichts - das, was zu hören war, machte Spaß, und so bekam die große Formation sehr viel Applaus.
Uta Rolland als weiterer Leipziger Beitrag hätte mit ihrer ansprechenden Feuershow eigentlich den Schlußpunkt setzen sollen, aber aus unerfindlichen Gründen hatte man den Gig des Tamburaski Orkestar Travnik noch dahintergesetzt, und dieses Septett schaffte es in beeindruckender Geschwindigkeit, den Platz fast leer zu spielen. Von der Zeit, die für die gespielten acht Songs draufging, hätte man zwei Drittel noch Vemors und Beware zuschanzen können. Rein musikalisch betrachtet waren die fünf Mandolinenspieler keineswegs schlecht, während der sechste Mann mit seiner Gitarre praktisch nichts Substanzielles zu den traditionellen Klängen beisteuerte und der siebente, nämlich der Sänger, das Ganze unfreiwillig komisch machte und man angesichts der optischen Mischung aus Heinz Erhardt und Heinz Rudolf Kunze, des gesamten Habitus und des Gesanges selbst nicht so richtig wußte, ob man nun eine ernst gemeinte Darbietung oder eine Parodie vor sich hatte. So endete das Programm, das zwischendurch immer wieder kleine Geniestreiche aufblitzen lassen hatte, leider etwas im künstlerischen Nirgendwo - aber man muß sich für die Feierlichkeiten des 10jährigen Jubiläums der Städtepartnerschaft anno 2013 ja auch noch Steigerungsmöglichkeiten offenlassen.



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