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Harmonic Brass   23.04.2008   Borna, Stadtkirche St. Marien
von rls

"Meisterwerke" hatten Harmonic Brass ihr aktuelles Tourprogramm übertitelt, und das stellte sich bei einem Blick auf die Setlist als beileibe nicht übertrieben heraus, wenngleich man damit freilich nicht assoziieren sollte, daß das Quintett seine bisherigen geschätzt 1973 Auftritte vor Beginn der laufenden Tour etwa ausschließlich mit Material aus der zweiten, dritten oder hintersten Reihe bestückt gehabt hätte; Beweismaterial gegen diese These findet sich in den Reviews der drei bisher vom Rezensenten erlebten Konzerte 2003, 2004 und 2006. Im Gegensatz zum 2006er Konzert an gleicher Stelle hatten sich zwei gewichtige Dinge verändert: Erstens stand da neben der großen Stadtkirche plötzlich die kleine Emmauskirche aus dem abbaggerungsgeweihten Heuersdorf, und dann sank das Lebendgewicht der bühnenaktiven Akteure im Direktvergleich gewaltig - klarer Fall, es spielte die reguläre Quintettbesetzung ohne Gastorganist Matthias Eisenberg; auch Bornas KMD Bernhard Müller hielt sich im Gegensatz zum 2003er Konzert von den Tasten fern, so daß ein reines Blechbläserkonzert (okay, mit einer Ausnahme - dazu später mehr) zu Buche stand. Von der Werkliste her bewegte man sich diesmal mehr im klassischen Bereich, "stilfremde" Ausflüge nur in einem größeren Block am Ende des Konzertes zulassend; passend dazu blieb auch das Humorlevel, für das die Konzerte des Quintetts berühmt-berüchtigt sind (sowohl was die Musik selbst als auch was Mimik, Gestik und generelle Schauspielerei angeht), auf einem vergleichsweise niedrigen Stand, was den gesamten Unterhaltungswert allerdings keineswegs schmälern sollte. Über die generelle Qualität, die spieltechnische Fast-Perfektion noch große Worte zu verlieren käme einem Export von Bier nach Bayern gleich, und in den drei oben verlinkten Rezensionen kann man die verdienten Lobeshymnen in ausführlicher Manier nachlesen; in diesem Review hier sollen einzelne Aspekte innerhalb der Stücke und das Soundgewand eine exaktere Beleuchtung erfahren, denn beide sorgten dafür, daß das Konzert erneut ein sehr gutes, aber eben kein geniales war.
Die äußerst diffizilen Klangverhältnisse in gotischen Hallenkirchen, sobald ein gewisser Lautstärkepegel überschritten wird, sind ja allgemein bekannt. Hallhallhall und mannigfache Reflexionen sorgen nicht selten für Klangüberlagerungen, für ein Ineinanderfließen von Klängen, die aber im Prinzip auf jedem Platz in der Kirche anders ausfallen können. Das kann Vor- wie Nachteile haben, und diese wurden gleich beim dem üblichen Mouret-Rondeau, zu dem die fünf Musiker einmarschierten, folgenden Bach-Werk deutlich, nämlich drei Sätzen aus der Orchestersuite Nr. 3 D-Dur. Die Ouverture hatte für Blechbläserverhältnisse irrsinnig schnelle Läufe in petto, und deren Klänge flossen bisweilen zu stark ineinander; auch die Gigue litt trotz einiger schöner Echowirkungen unter der nicht ausreichend vorhandenen Schärfe. Das zwischen diesen beiden Sätzen lagernde Air dagegen geriet durch den zusätzlichen Klangschmelz erst richtig schön butterweich und gewann so eine zusätzliche Qualität hinzu. Der Rest des Programms sollte ähnliche Konterwirkungen hervorrufen, aber auch die Problemfälle konnten generell die gute Stimmung nicht entscheidend trüben, selbst beim erbsenzählerischen Rezensenten nicht. Der war besonders gespannt auf Johann Pachelbels berühmten Kanon in D, dessen Umsetzung ihn abwechselnd kalt und heiß übergoß. Tubist Manfred Häberlein setzte den ersten Ton zu hart an, bekam aber dann umgehend eine wunderbar weiche Linie hin, deren Gänsehautfaktor beim Einsatz der zweiten Stimme in diesem Programm nicht mehr überboten werden sollte, das Stück floß selbst dann noch elegant dahin, als die Trompeten ihre schnellen Läufe einzuwerfen hatten - erst ab dem ersten Posaunensolo wandelte sich der Charakter erneut, und das Stück wurde zu hektisch; später sollte die Ruhe zwar wiederkehren, aber nun sorgten die Trompeter mit grellem Spiel dafür, daß sich das Wohlgefühl der ersten Minuten nicht wieder einstellen sollte. Henry Purcell wurde mit einer viersätzigen Suite bedacht, von der besonders das Aire an zweiter (hier waren die Highspeedläufe skurrilerweise mit der gewünschten Schärfe zu hören) und der Jigg an dritter Position (niedliche Kammermusik ohne Tuba) auffielen. Mit der Arie der Königin der Nacht aus Mozarts Zauberflöte hatten sich Harmonic Brass hernach ein Bravourstück jeder Koloratursopranistin aufs Pult gelegt; der Koloratursopran des Ensembles hieß Hans Zellmer, spielte Trompete und dürfte der schwergewichtigste Koloratursopran jemals sein. Generell eine äußerst interessante Adaption, hatte der Trompeter allerdings leichte technische Probleme mit den vier höchsten Tönen, die in zwei Zweiergruppen angeordnet sind - die jeweils zweiten Töne der Gruppe saßen perfekt, die jeweils ersten aber nicht ganz. Absolut nichts zu deuteln hingegen gab es an Verdis Triumphmarsch aus "Aida", der das Pausenfinale einläutete und zudem mit zwei Details bestach: Erstens rochierten die beiden Trompeter Hans Zellmer und Jürgen Gröblehner hier permanent zwischen drei Spielorten hin und her (Sakristei, Altarraum, Publikum), um den originalen dramaturgischen Wechsel nachzustellen (im Klartext: sie spielten, rannten von A nach B, spielten, rannten von B nach C, spielten, rannten von C nach B, spielten ...), und zweitens benutzten sie am Spielort "Publikum" die sonderlich langgezogenen Trompeten, welche die dankbare Menschheit "Aida-Trompeten" getauft hat. Auch die Gesamtschärfe des Klanges stimmte hier wieder.
Der "Einzug der Königin von Saba" fand nach der Pause nur musikalisch statt, die zugehörige und von Herrn Händel bekomponierte Frau blieb dort, wo der Pfeffer wächst; gemäß der Grundgeschwindigkeit des Stückes muß sie sich allerdings in ähnlicher Geschwindigkeit bewegt haben wie die beiden Harmonic Brass-Trompeter vor der Pause. Seinen großen kompositorischen Auftritt hatte danach Hornist Andreas Binder, denn das Ensemble hatte sein "Concerto Italiano", das Eindrücke von den Italienreisen der Formation in Töne gießen soll, ins Programm gehievt (man erinnere sich: es heißt "Meisterwerke" - mangelndes Selbstbewußtsein scheint also ein Fremdwort zu sein ...). "Il Vento di Querceto" ließ dabei nicht nur den titelgebenden Regen, sondern ein ausgewachsenes Gewitter auf den Hörer niederprasseln und fiel durch den eigenartigen Schlußbau auf: Der Vorschlußakkord war einer der modern-disharmonischen, der Schlußakkord dagegen einer der klassisch-hamonischen Sorte. "Una passeggiata a Roma" mit akustischem Gänsemarsch und mittigem Tubensolo pendelte zwischen italienisch-hektischem Stadtführer und der Weite eines Italowestern, während sich das Verkehrschaos in "Il traffico di Napoli" erstaunlicherweise als gar nicht so undurchdringlich entpuppte (was hätte wohl eine Mathcoreband aus diesem Thema gemacht ...). In bekannte Gefilde kehrte das Quintett mit Johannes Brahms' Ungarischem Tanz Nr. 5 (ja, der, an den man als erstes denkt, wenn man "Ungarischer Tanz" und "Brahms" hört) zurück, der Groove paßte, während der Hall eine der Wirkungen leicht beeinträchtigte, indem er die aushallenden "verschliffenen" Töne die Mini-Läufe danach noch übertönen ließ. Trotzdem erntete die Formation dafür den (nach "Aida") bisher stärksten Applaus und schob gleich noch Aram Chatschaturjans "Säbeltanz" nach ("Gajaneh", aus welchem dieses Stück stammt, ist übrigens im Original keine Oper, wie vom in gewohnt trocken-humorigem Gestus moderierenden Jürgen Gröblehner behauptet wurde, sondern ein Ballett), der allerdings zum größten Problemfall der Setlist werden sollte. Posaune und Tuba müssen hier eingangs in rasender Geschwindigkeit für den Grundbeat sorgen, und wenn sie da auch nur eine Winzigkeit untight sind, geht der gesamte Groove verloren - genau das passierte und konnte erst nach dem ersten Posaunenheuler zumindest ansatzweise korrigiert werden. Tubist Manfred Häberlein konnte diese kleine Scharte aber in "Hello Dolly" mit schöner Soloarbeit (teils gemeinsam mit Hans Zellmer) aber locker wieder auswetzen, bevor "Mouse And Friends", also das Kinderserientitelmelodienmedley, den regulären Teil des Sets beendete; man hatte übrigens keinen weiteren Teil der Medley-Folge geschrieben (irgendwann geht ja mal der Stoff aus), sondern Bewährtes neu kombiniert, wobei "Heidi" einen gewissen Oberkrainer-Touch abbekommen hatte und "Wer hat an der Uhr gedreht?" den Stilmittelausreißer markierte, indem das Quintett es kurzerhand als Chorsatz sang. Natürlich ließ das Publikum in der voll besetzten Stadtkirche die Musiker nicht ohne Zugaben gehen, und diese enthielten Bewährtes: zum einen den Soloauftritt Manfred Häberleins, der mit seiner Tubenimprovisation über "Mein Hut, der hat drei Ecken" mehrmals Szenenapplaus erntete, sein Instrument durchs Publikum schleppte und in irrsinniger Geschwindigkeit spielte, zudem auch den unteren Rand des Klangspektrums auslotete, das ungefähr einem Elefanten mit Flatulenz entsprach, zum anderen "Ade zur guten Nacht" als Choralsatz, desse Zaubercharakter in der ruhiger fließenden ersten Strophe größer war als in der voluminöser-energischeren zweiten mit Oberstimme. Weniger kann manchmal eben doch mehr sein - dieser Leitsatz wäre übrigens an manchen Stellen im Programm angebracht gewesen, woran wieder mal die Klangverhältnisse (zumindest die auf dem Platz des Rezensenten) schuld waren: Trompeten und Tuba dominierten oft, Posaune und besonders Horn gingen nicht selten unter. So muß sich das Konzert wie bereits postuliert "nur" mit einem sehr guten Urteil zufriedengeben - für einen Geniestreich waren dann doch zu viele Wackelfaktoren am Start, wenngleich 99% des Publikums diese nicht bemerkt oder als solche angesehen haben dürften.



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