www.Crossover-agm.de Harmonic Brass & Matthias Eisenberg   20.05.2006   Borna, St. Marien
von rls

Hans Zellner wird es gefreut haben, als irgendjemand vor Äonen mal die Idee hatte, Harmonic Brass und Matthias Eisenberg könnten doch zusammenarbeiten - ist in der resultierenden Sechserbesetzung der 1. Trompeter doch endlich nicht mehr derjenige mit dem größten Kampfgewicht. Das Kooperationsresultat könnte man allerdings auch im übertragenen Sinne als Elefantenhochzeit bezeichnen, gehören Harmonic Brass doch zu den bedeutungstechnischen Schwergewichten der rezenten Blechszene, und über den kirchenmusikalischen Status des Orgelschranks Eisenberg braucht man auch keine Worte mehr zu verlieren. Hatte der Rezensent Harmonic Brass anno 2003 und 2004 bereits in Quintettform ohne (reguläre) Orgelunterstützung erlebt und war über weite Strecken begeistert gewesen, so war mit der Hinzunahme Eisenbergs noch mit einer weiteren Steigerung des Genußfaktors zu rechnen. Daß diese nicht eintrat, hatte mehrere Gründe.
Aber der Reihe nach: Die sechs Musiker hatten anno 2005 mal wieder eine gemeinsame CD eingespielt und diese "Powerplay" betitelt, und da der Titel gut zum anstehenden Fußball-WM-Geschehen paßt, stellte man auch die laufende gemeinsame Tour unter ebenjenes Motto. Den zweiten Teil des Titels konnte man dabei auch an diesem Abend ohne Abstriche demonstrieren, denn spieltechnisch überzeugten erwartungsgemäß sowohl die fünf Blechbläser als auch der orgelnde Eisenberg über weite Strecken. Nur mit der Power war das so ein Ding - und dabei nicht mal so sehr mit der Power der Bläser, sondern vielmehr mit der Power der Orgel. Daß die derzeit in der Bornaer Stadtkirche stehende Orgel für diesen Raum deutlich unterdisponiert ist, wurde selten so deutlich wie in diesem Konzert. Das merkte man einerseits in Eisenbergs Solostücken - wenn im Plenum (oder bei zumindest nicht allzuvielen nicht gezogenen Registern) vorn in der sechsten Reihe in entsprechenden dichteren Passagen der Kompositionen kein raumfüllender Bombast ankommt, sondern nur noch ein vergleichsweise laues Lüftchen, stimmen die Proportionen nicht. Noch deutlicher wurde es in den von Bläsern und Orgel gemeinsam intonierten Stücken - sobald die Bläser richtig aufdrehten (was sie in Stücken wie etwa dem "Feierlichen Einzug" von Richard Strauss des öfteren taten), übertönten sie zu fünft locker die Orgel, von der man in solchen Situationen dann nur noch die Tiefbässe und bisweilen eine undeutliche Hintergrundkulisse hörte. Nahmen sich die Bläser hingegen ein wenig zurück, konnte so etwas Ähnliches wie Ausgewogenheit erzielt werden - in den Bombastpassagen gelang dies allerdings nur an einer einzigen Stelle, nämlich im Finale von "A Mighty Fortress", einer Choraladaption des tschechischstämmigen Amerikaners Nelhybel (zugrunde liegt, wie der Englischkundige bereits ahnt, "Ein feste Burg"), während in weniger druckvollen Passagen tendenziell eher eine Ausgewogenheit hergestellt werden konnte (die Registrierung der Orgel in Andrew Lloyd Webbers "Pie Jesu" etwa paßte soundlich zu den Blechbläsern wie die Faust aufs Auge) und die Passagen, wo Orgel und Blechbläser nicht gleichzeitig, sondern dialogisch nacheinander musizieren, diesbezüglich eher wenig Probleme aufwarfen. Dem Programmzusammensteller sei Dank, daß es von letztgenannter Kategorie überdurchschnittlich große Anteile gab - damit konnte nämlich selbst der größte Mißgriff des Abends fast noch gerettet werden: Händels Orgelkonzert op. 4 Nr. 2, das Eisenberg auf ausdrücklichen Wunsch des Kirchenmusikdirektors Bernhard Müller an der kleinen Chororgel spielte. Die fünf Blechbläser nahmen sich hier lautstärketechnisch extrem zurück, trotzdem konnte man schon in der sechsten Reihe in den von beiden Instrumentengruppen gemeinsam intonierten Passagen von der Orgel absolut nichts mehr hören, und die vollbesetzte Stadtkirche verschluckte noch einmal so viel Sound, daß in den hinteren Reihen selbst die solistischen Passagen der winzigen Orgel nicht mehr zu hören waren. Glück eben nur, daß gemeinsame Passagen im Arrangement kaum vorkamen und so zumindest die vorderen Reihen noch ahnen konnten, wie das Stück wohl gemeint war - das Experiment muß dennoch als gescheitert deklariert werden.
So waren es dann eher die jeweiligen Solostücke, die den besonderen Reiz des diesmal etwas "seriöseren" Programms ausmachten. Harmonic Brass, die in schon traditioneller Weise zu Mouret-Klängen (das "Rondeau" bildete vor anderthalb Dekaden den Opener ihrer Debüt-CD "Quintissimo") einmarschiert waren, vergaßen natürlich im Mozart-Jahr ein Stück des großen Salzburgers nicht (man widmete sich der mit für Blechbläserverhältnisse abartig schnellen Läufen gespickten Ouvertüre zu "Die Hochzeit des Figaro"), worauf Eisenberg nach der Pause im Schumannjahr mit der Studie As-Dur des in seiner heutigen Wirkungsstadt geborenen Komponisten antwortete (die dessen späte Zerrissenheit noch nicht ahnen läßt, dafür witzige fallende Dreierkombinationen einstreut). Die Toccata in G-Dur des wenig bekannten Theodore Dubois entpuppte sich als unterhaltsame, jedoch wenig tiefgehende Ansammlung virtuoser Läufe, die Eisenberg in gewohnter Meisterschaft spielte, während die Tonrepetitionen in Bachs E-Dur-Toccata noch einen Tick mehr Eleganz und Leichtigkeit hätten vertragen können, da sie im Gestus etwas zu sehr den im regulären Konzertfinale zu hörenden Marschpassagen in Elgars "Pomp And Circumstance" ähnelten, also (so paradox dieses Wort bei einem englischen Marsch anmuten mag) zu "deutsch" klangen. Für fremdländische Eleganz (wiewohl die auch im erwähnten Webber-Stück, das Orgel und Bläser gemeinsam intonierten, meisterhaft umgesetzt war) zeichnete sich an vorderster Stelle das Arrangement von mehreren Motiven aus "Carmen" verantwortlich (auf den nicht selten im Olympiastadion zu hörenden Marsch kommt man als Münchener ideenseitig vermutlich irgendwann automatisch), das die fünf Bläser in gewohnter Meisterschaft und Virtuosität darboten. Immer wieder eindrucksvoll ist auch die Szene, wie ein Tubist während des Stückes sein Instrument wechselt - diesmal in einem Air samt Variationen von Händel notwendig, um dem Finale die gewünschten Tiefenlagen zu verleihen. Das Publikum zeigte sich in der Gesamtbetrachtung deutlich weniger kritisch als der Rezensent, applaudierte fleißig und wurde mit zwei Zugaben belohnt: Henry Purcells "Trumpet Voluntary", auch als "Prince of Denmark's March" bekannt, ließ wieder den Wunsch nach mehr Orgelpower offen, bevor eine gute, wenngleich nicht spektakuläre Eisenberg-Improvisation über das Thema von "Ade zur guten Nacht", dessen Fragmente er durch den halben Quintenzirkel jagte, zur sanften Bläserversion dieses Stückes überleitete, die in fast choralartiger Manier einen würdigen Ausklang des zweistündigen Konzertes markierte, welches den Wunsch beim Rezensenten offenließ, die Kombination Harmonic Brass + Matthias Eisenberg bei passender Gelegenheit noch einmal in einer Kirche mit einer größer disponierten Orgel zu hören, um sich ein detaillierteres Urteil über das Zusammenspiel der beiden Fraktionen zu bilden.



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