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Eläkeläiset, Daddy Giljoteen   13.04.2008   Leipzig, Moritzbastei
von rls

Vorbands sind auf den Gigs der finnischen Humppa-Könige Eläkeläiset eher eine seltene Erscheinung, aber diesmal gibt's eine: Relativ pünktlich beginnen die Suomi-Landsleute Daddy Giljoteen die rappelvolle große Tonne der Moritzbastei zu beschallen. Tourkonstellation wie Bandname würden eher eine analoge Truppe aus dem Lustig-Fach vermuten lassen, aber schnell stellt sich heraus, daß bei Daddy Giljoteen Schluß mit lustig ist: Eine Dreiviertelstunde lang gibt es astreinen bluesigen Rock der 70er-Tradition, bisweilen auch noch weiter zurück schielend, etwa in Richtung Cream. Dazu paßt, daß es sich auch beim Fallbeilpapi um ein klassisches Powertrio handelt, wobei im Gegensatz zu Cream hier der Gitarrist den Gesang zusätzlich übernimmt, während der Bassist gelegentlich ultrahohe quiekende Gesangsfills einstreut, die ihn ohne Vorausscheid für einen Posten bei den zahllosen Stratovarius-Nacheiferern in seinem Heimatland qualifizieren; der Gitarrist wiederum ist gesanglich nicht so leicht einzuordnen, optisch dagegen umso einfacher: Da springt die perfekte Mixtur aus Eric Clapton und Reinhold Messner über die Bühne. Wie es sich für ein anständiges Powertrio nach Siebziger-Machart gehört, werden einzelne der Songs aufgebrochen, um mehrminütige Instrumentalpassagen einzuschieben, selbst der Drummer darf mal solistisch ran. So entsteht ein stimmiges Bild der Band (bis auf den Bandnamen halt), die Freunden ihrer Landsleute Five Fifteen oder der einzigen Scheibe der Supergroup BBM ein Antesten wert sein sollte und an diesem Abend mehr als anständig beklatscht wird, allerdings keine Zugabe auspackt.
Mantraartige "Humppa, Humppa"-Chöre verdeutlichen schon in der Umbaupause, weswegen die Zuschauerschaft gekommen ist. Eläkeläiset, das muß dem Nichtkundigen vielleicht kurz erläutert werden, klauben alle Songs des Rockuniversums zusammen, die bei drei nicht auf den Bäumen sind, und wandeln diese in Humppa-Versionen um, auch mit neuen finnischen Texten eher marginalen Sinngehaltes versehen. Humppa ist eine Art finnische Polka, und damit diese Erkenntnis sich allgemein verbreitet, hatten Eläkeläiset eine Zeitlang die Angewohnheit, in den neuen finnischen Titel eines jeden Songs entweder "Humppa", "Polkka" oder "Jenkka" (letztgenanntes eine langsamere Abwandlung der Humppa) einzuarbeiten; auch die Alben trugen entsprechend Bezeichnungen wie "Humppakäräjet" oder "Humppakonsertto", letztgenanntes das aktuelle Produkt aus dem Jahre 2007 und, wie man anhand des Titels schon vermutet hat, eine Livescheibe. Die aktuelle Besetzung besteht aus einem Drummer, einem Bassisten, einem Akkordeonspieler und zwei Keyboardern, wobei der äußerste rechte ein eher moderner aussehendes vor sich hat, sein Kollege neben ihm am Tisch aber ein altertümlicher anmutendes, vermutlich aus der Zeit, als Konrad Zuse gerade seine Rechenmaschine erfunden hatte. Der Tisch ist ein weiteres Alleinstellungsmerkmal der Band: Welche neuzeitliche Band im Rock- oder verwandten Bereich baut schon eine Tischreihe auf der Bühne auf und sitzt während des kompletten Konzertes hinter derselben? Gut, "während des kompletten Konzertes" stimmt nicht ganz, denn einzelne Mitglieder erheben sich zu verschiedenen Zwecken immer mal; der rechte Keyboarder etwa beweist, daß er sein Instrument auch spielen kann, indem er sich kurzerhand darauf stellt, was äußerst avantgardistische Clusterklänge ergibt. Der Gesang kommt von allen fünf Mitgliedern, und die Pausenansagen teilt sich das Quintett gleichfalls auf - da die Mikrofone aber nicht alle auf die gleiche Lautstärke eingestellt sind, verschwindet so ein Teil des Witzes des mehrsprachigen Gebrabbels (ein wüstes Kauderwelsch aus Deutsch, Englisch, Finnisch und vermutlich auch noch weiteren Sprachen) in der Unhörbarkeit. Das ist schade, denn von Schoten wie der, als HIMs "Join Me In Death" als "Lied für Nekrophile" angekündigt wird, hätte das Publikum sicher gern noch mehr gehört. Neben HIM werden auch andere Perlen der finnischen Liederschreibkunst gepflegt, etwa der Nightwish-Hit "Nemo", während die internationale Fraktion beispielsweise mit Iron Maidens "Run To The Hills" (das man immerhin am markanten Baßlauf erkennen kann, während die Identifikation anderer Stücke, die allesamt ihren originalen Groove, den kompletten Text und auch einen Teil der Melodien verloren haben, deutlich länger dauert und ohne Kenntnis der betreffenden Studioalben mitunter gar völlig unmöglich ist), Queens "We Will Rock You" oder Metallicas "Enter Sandman" bedacht wird. Und welche Band außer Eläkeläiset kann es sich schon erlauben, "No Limits" von 2 Unlimited und "Breaking The Law" von Judas Priest in einem Medley zusammenzufassen, ohne von mindestens einer der beiden Fangruppen gesteinigt zu werden? Das Tempo der meisten Umsetzungen liegt relativ hoch, so daß prinzipiell eine knochentrockene Tanzbarkeit bestünde (bestärkt durch die weitgehende Absenz von Breaks in vielen Songs - statt dessen sind einige Songs mit einer überreichen Zahl von Tempowechseln bedacht worden), wenn die räumliche Beengtheit solche Gedanken nicht weitgehend ins Reich der Wunschträume verweisen müßte. Werden mehrere Songs exakt oder fast exakt gleichen Tempos nacheinander gespielt (auch das kommt vor), droht (zumal bei Nichterkennen der Vorlagen - und wer besitzt hierzulande schon eine komplette Sammlung der sehr häufig gecoverten 22 Pistepirkko?) eine gewisse Monotonie aufzukommen, aber irgendeine unterhaltsame Wendung wischt dieses Gefühl meist schnell wieder weg, und sei es die köstliche Persiflage des Beim-Applaus-auf-die-anderen-Musiker-Weisens - alle weisen in Publikumsblickrichtung nach links, wo der faßähnliche und diesmal keinen Sombrero, aber trotzdem eine eigenartige Kopfbedeckung tragende Drummer steht, der natürlich prompt auch nach links weist, wo allerdings niemand ist. Mit einem ausgedehnten Zugabenblock (der selbstredend nicht mit "Zugabe"-, sondern mit "Humppa"-Rufen eingefordert wird) endet das Konzert, in dem zwar jedem anwesenden Kenner irgendein Song gefehlt haben wird - aber angesichts von weit über 90 Minuten Spielzeit (selbst bei Abzug des in einer förmlichen Endlosschleife laufenden Zirkusmelodieintros) sollte niemand entscheidend unzufrieden gewesen sein.



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