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2. Sinfoniekonzert   25.10.2007   Chemnitz, Stadthalle
von rls

Seit dem Beginn der Spielzeit 2007/2008 hat die Robert-Schumann-Philharmonie Chemnitz einen neuen Chefdirigenten, der für das Orchester so neu allerdings auch wieder nicht ist: Frank Beermann hatte schon zuvor mehrfach als Gast am Pult des Orchesters gestanden. Nun prangte bekanntlich im letzten Konzert der Spielzeit 2006/2007 Anton Bruckners Achte Sinfonie auf dem Abschiedsprogramm von Beermanns Vorgänger Niksa Bareza (der auch weiterhin als Gastdirigent dem Orchester verbunden bleibt), und Beermann ging das Wagnis ein, schon im zweiten Sinfoniekonzert der neuen Saison sich dem Direktvergleich zu stellen und von Bruckner zwar nicht erneut die Achte, aber zumindest die Fünfte Sinfonie aufs Programm zu setzen (im ersten Sinfoniekonzert vier Wochen zuvor hatte er sich bereits anderer starker Konkurrenz gestellt, denn nur vier Monate nach Riccardo Chailly mit dem Gewandhausorchester und drei Monate nach Fabio Luisi mit dem MDR Sinfonieorchester brachte auch er Verdis Requiem zum Erklingen - eine äußerst ungewöhnliche Häufung dieses Werkes in den großen sächsischen Klangkörpern). Nachdem Bareza seinen Bruckner fast kammermusikalisch interpretiert hatte, durfte Beermanns Herangehensweise mit Spannung erwartet werden.
Der erste Teil des Programms legte einen weiteren Schwerpunkt der neuen Spielzeit offen, denn gleich drei Werke von Wolfgang Rihm werden in den insgesamt zehn Konzerten erklingen - auch das eine nicht ganz gewöhnliche Häufung, wenngleich Rihm generell zu den häufiger gespielten Komponisten der jüngeren Vergangenheit zählt. "Im Anfang" wurde titelanalog an den Beginn dieses winzigen Zyklus gestellt und entpuppte sich als recht pastorales Werk, das zunächst recht idyllisch aufgebaut wurde, mit einem zauberhaften Paukenteppich im Pianissimo (!!) eingeleitet wurde und eine ungewollte Trübung erfuhr, als die Hörner ihren choralartigen Einsatz noch etwas klapprig und untight auf die Bühne brachten. Die Idylle ging mit weiten Klangflächen eher althergebrachter Harmoniemodelle allerdings noch ein gutes Stück weiter, bevor sich die ersten Dissonanzen breitmachten, mit denen die Neutöner so gerne arbeiten und von denen man beim Hören ohne Partiturmitlesen nie entscheiden kann, ob das jetzt genau so klingen sollte oder eben nicht. Was auf jeden Fall für große Pluspunkte sorgte, war der Einsatz der Ferntrommel oben auf den Rängen, der sowohl bei seinen ersten eher gedeckten Phasen als auch späterhin für beeindruckende Surroundeffekte sorgte und dem Zuhörer gemäß eines nicht unbekannten Werbeslogans das Gefühl gab, mittendrin zu sein statt nur dabei. Das Stück blieb allerdings weiterhin von lang ausgehaltenen Noten und/oder Klangflächen dominiert, steigerte sich in der Lautstärke dann langsam (das hier kompetent agierende Blech durfte für einen Moment sogar eine Art Flatulenzklang auffahren), bevor Rihm einen Effekt einbaute, den schon ein berühmter Vorgänger in der sogenannten "Sinfonie mit dem Paukenschlag" vorexerziert hatte. Der voluminös-raumfüllende Paukenklang, der sich für einen Moment aufbaute, geriet jedenfalls zum eindringlichsten Moment des Stückes, das nach einer interessanten Abwärtsbewegung in einen kurzen Kammermusikteil der 1. Streicherreihe mündete und langsam wieder zu den idyllischen, bisweilen etwas angedüsterten leisen Soundlandschaften des ersten Teils zurückkehrte, in die das Blech bisweilen noch Störeffekte zu werfen hatte, bevor eine Handvoll scharfer Harfentöne über dem ersterbenden restlichen Orchester den Schluß markierte. "Dark Ambient" heißt das entsprechende Genre in der Popularmusik (wo die Soundlandschaft allerdings komplett elektronisch erzeugt worden wäre), der Applaus des Publikums blieb mäßig, und im Hinausgehen erfand ein Besucher den Begriff "Soundlegastheniker", womit er irgendwie recht hatte und irgendwie auch wieder nicht.
Nach der Pause dann also Bruckners Fünfte, nach der vom Komponisten höchstselbst als "Romantische" betitelten Vierten (wobei man diesen Begriff natürlich immer relativ im Kontext des Brucknerschen Sinfonieschaffens betrachten muß) wieder ein monumentalerer Block, mit unruhigen Streichern anhebend. Beermann drosselte die Energie im ersten Triumphteil noch geschickt, nicht nur indem er die Akzentuierung stark hervorheben ließ - und dann war plötzlich wieder Bruckner als Kammermusik da. Beermann auf Barezas Spuren? Die weitere Folge sollte das Gegenteil beweisen, und die phasenweise sehr dominanten Trompeten deuteten das bereits früh an, wohingegen erstaunlicherweise die Pauke sich akustisch kaum durchsetzen konnte. Vorläufig blieb der Eindruck der starken Breaklastigkeit allerdings auch in der Durchführung erhalten, bevor ein schön strahlendes Finale den ersten Satz beendete. Das Adagio brachte eine Kuriosität zum Vorschein: Beermann brachte es fertig, die Einleitung fast mit spanischem Kolorit spielen zu lassen, und das Holz konnte sich hier eine fast durchgehend feine Leistung gutschreiben lassen. Den nächsten Pluspunkt verdienten sich die Streicher, die ihren Tuttipart mit beeindruckender Sicherheit genau auf dem Grat zwischen schleppend-düsterer Zähflüssigkeit und üppigem Schwelgegestus plazierten, ohne nach einer der beiden Seiten abzukippen. Das erste Orchestertutti im Adagio allerdings geriet zum großen Wendepunkt der Sinfonie und damit auch zum Scheideweg zwischen Beermann und Bareza, denn der äußerst dynamikdeterminiert dirigierende Beermann ließ alle kammermusikalischen Ahnungen mit einem Schlag wegblasen und griff sie bis zum Ende hin nicht wieder auf, wandelte sich statt dessen zum Materialschlachtgeneral, den allerdings die Artillerie, sprich die Pauke, aus unerfindlichen Gründen weiterhin im Stich ließ - sie war da, aber sie entfaltete keine durchschlagende Wirkung. Sei's drum - das Scherzo der Fünften gehört mit seiner Einfallslosigkeit und seinem an manchen Stellen eher zusammengeklebt als logisch konstruiert wirkenden Gesamtaufbau sowieso nicht zu Bruckners stärksten (wenngleich es, das muß zur Relativierung gesagt werden, bei den zahllosen Sinfonikern der zweiten Reihe immer noch ein Meisterwerk darstellen würde), und so richtig zum Grooven brachte Beermann das Orchester hier auch erst im dritten Ländler, bekam aber dann ein richtig scharfes Satzfinale hin, das wirkungsvoll mit dem eher dunklen Beginn des Finalsatzes kontrastierte, der bald einen eklektizistischen Hunger nach gut abgehangenen Themen der vorherigen Sätze entfaltete. Auch hier blieben die Tutti stark trompetendominiert, aber die Streicher konnten sich deutlich besser durchsetzen, und so verblieb als hängender Truppenteil wieder nur die Pauke. Bis auf einen kleinen unsauberen Einsatz gerieten auch die vier Blechchoräle ausgesprochen schön, und die Fuge blieb trotz tobender Materialschlacht sauber strukturiert und klar durchhörbar. Im kompetent inszenierten großen Zusammenbruch des ff-Parts ließ sich in den Trompeten sogar noch ein Element finden, das etliche Jahrzehnte später eine determinierende Rolle in einer anderen großen Fünften Sinfonie finden sollte, nämlich der von Gustav Mahler. Das äußerst energiegeladene Finale des Satzes schloß eine interessante, wenngleich für die künftig zu erwartende Marschrichtung noch kein ganz eindeutiges Bild zeichnende Aufführung ab, die zumindest auf große Gegenliebe des Chemnitzer Publikums stieß, das sich sogar zu einzelnen Bravorufen hinreißen ließ.



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