www.Crossover-agm.de Bergkeller Artrock Festival   15.07.2006   Reichenbach, Indoor-Cartbahn
von Udo Eckardt

Daß der Bergkeller für die Geister, die er rief, schon lange nicht mehr die erforderliche Größe besitzt, war bereits nach den 2 Gigs in der Peter-Paul-Kirche abzusehen. Zuschauerzahlen jenseits der 500 machen das Erschließen neuen Terrains erforderlich und dies liegt nur einen Steinwurf vom Bergkeller entfernt, also fast noch zu Hause. Entsprechend gut war auch die Organisation, Uwe hatte an alles gedacht, selbst an genügend Parkplätze und Einweiser. Daß sich der Soundcheck bei den akustischen Gegebenheiten in einer ehemaligen Werkhalle schwierig gestaltete, war zu erahnen, daher mußte auch der Zeitplan leicht nach hinten korrigiert werden.

Als erste Band betraten The Watch die Bühne und (hey!!) es war erstmals in der Geschichte des Bergkeller eine richtige Bühne!! Die Italiener haben sich mit ihrem Alt-Genesis-lastigen Material ihrer beiden Alben "Ghosts" und "Vacuum" bereits international einen Namen erspielt, wobei die Songauswahl deutlich zugunsten der absolut starken "Vacuum" ausfiel. Beginnend mit "Damage Mode" und anschließend "Shining Bald Heads" und "Goddess" gab es von Anfang an einen powervollen Einstieg in das Universum der italienischen Genesis, die nicht nur authentisch klingen, sondern den Stil ihrer Kompositionen überzeugend an Alben wie "Nursery Crime", "Foxtrot" oder "Selling England" angelehnt haben. Daß man damit zwar den Geist vergangener Zeiten nicht wiederbeleben aber doch zumindestens heraufbeschwören kann, wurde in "The Return Of The Giant Hogweed" demonstriert. Hier waren Freudentränen und Gänsehaut angesagt, stimmlich um Längen besser als Gabriel 1973 und obwohl The Musical Box optisch noch einen drauf setzt, war die Watch-Version die bisher beste, die ich von diesem "Nursery Crime"-Klassiker je zu Ohren bekommen habe. Als Zugabe spielte man noch "Vacuum", die Story jener seltsamen Kreuzung zwischen Tier und Mensch, deren einleitender Text von Simone Rosetti in Deutsch vorgetragen wurde - Alle Achtung!! (Kleine Randbemerkung: Der eigentlich für die Berichterstattung vorgesehene CrossOver-Redakteur weilte zur gleichen Zeit im Kaukasus und schaute sich dort den Giant Hogweed, also den Riesenbärenklau, an seinem originalen Standort an. - Anm. rls)
Als nächstes und als mein heimlicher Favorit betraten Riverside die Bühne und entgegen der Ankündigung, die Band würde ein anderes Set als zum letzten Bergkeller-Konzert spielen, kam genau das, was wir hören wollten: "Conceiving You", "Out Of Myself" und das, was mir sofort weiche Knie bescherte und welches ich unterdessen mit Nachdruck als den wohl bisher komplexesten Prog-Song des 21. Jahrhunderts bezeichnen möchte, das "Second Life Syndrome"!! Immer wieder fragt man sich, wie es möglich ist so ein Stück von emotionaler Tiefe, in dem Trauer, Verzweiflung und Hoffnung so eng beieinander liegen, zu komponieren und so überzeugend und so ergreifend zu interpretieren. Da ist auf der einen Seite die beklemmende Melancholie der düsteren in Moll gehaltenen Keyboardlinien Michal Lapajs und andererseits die mit einer fabelhaften Leichtigkeit gespielte unverkennbar "riversidige" Gitarre Piotr Grudzinskis. Mariusz Duda flüstert, singt oder growlt sich die Seele aus dem Hals, während er mit geschlossenen Augen die wildesten Bassläufe spielt und Piotr Kozieradzki hält mit seiner atemberaubenden Spieltechnik und seinen einmaligen Rhythmuskonstruktionen das Ganze zusammen. Besonders seine differenzierten Beckensoli sind nicht nur hörens- sondern auch sehenswert. Kaum zu glauben, dass die beiden Pjotrs füher in Doom Metal-Bands gespielt haben und sicher auch daher vom Outfit nicht ganz so typisch polnisch daherkommen wie ihre beiden Kollegen. Weiter im Set ging es mit "Artificial Smile", "Acronym Love", "Dance With The Shadow" und "The Curtain Falls", bei dem alle Musiker jeweils nach ihrem Solo die Bühne verließen und als Letzter Michal Lapaj allein an seinen Tasten zurückblieb - ein gelungener Gag! Als Zugabe und angekündigt als "another Long Track": der Song, mit dem eigentlich alles begann, "The Same River", dessen 3fach ineinander geschachtelter Spannungsaufbau ein lehrbuchreifes Musterbeispiel darstellt. Auf jeden Fall ist Riverside der absolute Senkrechtstarter unter den Prog-Bands, in nur 3 Jahren und mit gerade mal 2 1/2 Veröffentlichungen hat man sich einen Status aufgebaut um den andere bereits seit 20 Jahren kämpfen. Letztens schrieb ein Kollege, in einer "gerechten Welt" müssten die Jungs aus dem Nachbarland riesige Hallen füllen - nun, ein erster Schritt dazu ist getan.
RPWL, die ja mittlerweile als Bergkellers Hausband fungieren (mit ihnen fing alles an), haben sich meiner Meinung nach mit "World Through My Eyes" und der dazugehörigen Live-Umsetzung etwas weiter vom Zielpublikum entfernt als uns eigentlich lieb ist. Natürlich gehören nach wie vor Songs wie "Gentle Art Of Swimming", "3 Lights" (einer meiner Lieblingssongs) sowie das unverwüstliche "Loch im Himmel" zum Live-Set, aber es werden auch immer öfter Stücke gespielt, auf die ich gerne verzichten könnte, "Wasted Land" oder auch "Trying To Kiss The Sun", der mich jedes Mal aufs Neue nervt. Ihr wart früher mal gut darin Feeling und Atmosphäre zu verbreiten, dies kommt leider zugunsten der "knalligen" Songs immer weiter ins Hintertreffen, was nicht nur ich persönlich, sondern auch viele Anderen schade finde. Ja, das waren noch Zeiten, als man neben "Hole In The Sky" im gleichen Set auch noch "Farewell", "Fool", "Crazy Lane" oder "Home Again" erleben konnte. Vielleicht habe ich Euch aber auch schon zu oft gesehen.
Spät nach Mitternacht noch eine lange Umbaupause zu überstehen ist eine harte Geduldsprobe und die Reihen lichteten sich schon spürbar, auch mein Hauptact hatte ja schon Stunden vorher stattgefunden, doch auch die für Prog-Konzerte ungewöhnlich hohe Anzahl an weiblichem Publikum, das zu so später Stunde noch ausharrte, hatte einen Grund: Ray Wilson, der Robbie Williams des Prog und (wie ich finde) nicht ganz rechtmäßige Genesis-Erbe. Obwohl er es immerhin geschafft hat, sich ganz links außen in der Genesis-Diskographie einzureihen, hat er eigentlich nicht die Pflicht, die Klassiker in sein Repertoire aufzunehmen - dass er es dennoch tut, macht ihn nur sympathischer. So begann sein Set mit "Calling All Stations", gefolgt von "Lamb Lies Down On Broadway". Neben neuen brillanten Songs aus Rays Feder wie "She" oder "Sarah" gab es auch den Stiltskin-Klassiker "Inside" und (man staune) zwar nicht ganz authentische aber immerhin recht ordentlich und vor allem sauber gespielte Versionen von "Entangled" (mit 3 Akustikgitarren!!) und "Ripples", was zumindest gesanglich besser dargeboten wurde als manche spätere Collins-Live-Version. Danke Ray für die Überraschungsnummern - so hat sich der späte Abend oder besser frühe Morgen auch noch für uns alte Männer gelohnt, die ansonsten mit Rays Charme nicht viel anzufangen wissen.

Bleibt abzuwarten, wie sich das Unternehmen Bergkeller weiter an Größe entwickelt; kein Geheimnis ist, dass das riesige Open Air-Areal an der Göltzschtalbrücke bereits im Gespräch ist - zu gönnen wäre es Uwe allemal, denn so wie er sich einsetzt und was er bisher auf die Beine gestellt hat, das muß irgendwann richtig große Früchte tragen. Danke noch mal an alle Beteiligten - war ein grandioser Abend!



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