www.Crossover-agm.de Endausscheid des 8. Jugendfestivals gegen Gewalt und Rassismus "Leipzig. Courage zeigen"   28.04.2006   Leipzig, Anker
von rls

Sechs Vorausscheide dieses Wettbewerbs hatten sechs Siegerbands ergeben, welchselbige am besagten Abend nun um den Gesamtsieg und damit um den Festivalstartplatz zwei Tage später beim großen Open Air vor dem Völkerschlachtdenkmal wetteiferten (es gab natürlich auch noch andere Preise zu gewinnen, u.a. eine CD-Produktion). Wie schon beim 4. Vorausscheid gab der Anker eine geräumige Kulisse ab, und einige der Bands hatten auch wieder zahlreiche Fans mitgebracht (der gemischte Wertungsmodus aus Jury- und Publikumswertung blieb auch im Finale gültig), wobei erneut eine große Fairneß der Fanlager untereinander zu konstatieren war und das Publikum nicht nur bei den eigenen Faves, sondern auch bei den anderen Bands ordentlich Stimmung machte, damit ein Zeichen setzend, daß man trotz des Wettbewerbscharakters den "Miteinander"-Gedanken gut verinnerlicht hatte.
Um 20.25 Uhr stiegen die Goodfellas als erste der sechs Bands auf die Bühne, und nach Ansage von Sänger Nobby habe man in der nächsten halben Stunde melodischen Rock zu erwarten. Diese Selbsteinschubladisierung vergegenwärtigte, daß der Terminus "melodischer Rock" keineswegs mit der historischen Stilistik "Melodic Rock" gleichgesetzt werden kann, denn anhand der gebotenen Songs waren deutlich mehr Parallelen zu Modernrockern Marke Nickelback als zu Traditionalisten Marke Bon Jovi festzustellen. Dabei inszenierten die Goodfellas ihre Songs vom instrumentalen Aufwand her eher basisch, auf Keyboardunterstützung verzichtend und auch nur eine Gitarre am Start habend, bei der das Riff von der Gewichtung her deutlich über das Solo siegte, aber an Markanz zumindest an etlichen Stellen noch deutlich hätte zulegen können, während die Soli zwar technisch nicht übermäßig kompliziert ausfielen, aber doch kleine Glanzlichter in die mitunter etwas zu einförmigen Songs zauberten. Nobbys wandlungsfähige Stimme, bisweilen vom Gitarristen Schletti noch gekonnt mit einer zweiten unterlegt, ist zweifellos zu den Trümpfen der Band zu rechnen, die mit ihrem einzigen deutschsprachigen Song "Zeichen der Zeit" am höchsten zu punkten wußte: abwechslungsreich arrangiert, episch angehaucht, interessant betextet war dieses Glanzlicht des Sets, in dessen Finalpart einige Enthusiasten gar einen kleinen Moshpit starteten, was zu dieser Art von Musik ja nicht so ganz gewöhnlich ist.
Als Alternative Punk waren die Trainwavers angekündigt, überraschten aber erstmal damit, daß Sänger Frank beim ersten Song eine Akustikgitarre umhängen hatte, was für beide zusammengesetzten Genres ja eher untypisch ist. Nach dem ersten Song wechselte er diese aber gegen eine elektrische, wobei der resultierende Unterschied aber gar nicht so global ausfiel. Aus dem Punk hatten die Trainwavers eher die Rhythmen entlehnt, aus dem Alternative ein paar der harmonischen Gestaltungen in den Instrumentalpassagen, der Rest rockte dann solide, aber ohne irgendwelche Ausrufezeichen vor sich hin. So blieb es dem Sänger vorbehalten, für die beiden größten Auffälligkeiten des Gigs zu sorgen. Einesteils verfügte er über eine unvergleichliche Stimme, die nahezu ohne jegliche Melodiehaltung auskam, zwar ein wenig zusammenhanglos zur daruntergelegten Musik stand, für sich betrachtet aber irgendwie genial war - man versuche sich als vergleichendes Gedankenexperiment vorzustellen, daß Motörhead-Lemmy versucht, Death Metal zu singen. Zum anderen brachte der Frontmann engagierte Ansagen zum Motto des Festivals (auch wenn er bezüglich der Tage der von ihm angekündigten Veranstaltungen manchmal etwas neben der Spur lag ...) und vergaß auch nicht, an die beiden im Irak entführten Leipziger und an die Mahnwache für diese zu erinnern. Das brachte definitiv Pluspunkte, was den Trainwavers mit ihrer Musik allerdings nur in Ansätzen gelang, wenngleich der Moshpit bei ihnen schon größer ausfiel und sogar die ersten Stagediver zu beobachten waren.
Vain:trash holten mit einer ultrakurzen Umbaupause einen Teil der mittlerweile eingetretenen Verspätung wieder auf und legten einen zumeist flotteren Indie Rock aufs Parkett. Dessen Gitarrenharmonien waren teilweise so typisch, daß selbst meinereiner, der allenfalls Gelegenheitshörer dieser Sparte ist, den nächsten harmonischen Wechsel mitunter exakt vorhersagen konnte. Das bildete in der halbstündigen Livedarbietung sicherlich noch kein Problem, erlegt der Band aber die Pflicht auf, vor einer Konservenform eventuell etwas eigenständiger zu arbeiten zu versuchen. Spaß machte das Material aber zweifellos, und wenn der auch leadsingende Gitarrist damit begann, plötzlich fast altschulige Hardrocksoli in den Indiekontext einzubringen (was er noch zu selten tat), öffnete sich ein interessanter Weg für das Quartett, das seinem gleich doppelt negativen Namen aber auch schon in dieser halben Stunde deutlich widersprach.
Fünf Leipziger Bands hatten es ins Finale geschafft, lediglich New Reality aus Dresden waren in diese Phalanx eingebrochen und legten eine interessante Show auf die Bretter, die gleich in mehreren Punkten erstaunliche Ambivalenzen eröffnete. Die neue Realität bestand im musikalischen Sinne aus alternative- bzw. indieangehauchtem Rock, der akustisch etwas darunter litt, daß der Sänger in den entspannten Passagen kaum hörbar war, während seine lauten, appellierenden Parts deutlich vernehmbar waren. Besagter Sänger markierte in den ersten dreieinhalb Songs den statischen Pol auf der Bühne, taute dann aber urplötzlich auf und hüpfte wie ein Gummiball über den Mittelteil der Bühne, womit er sich dann in eine Reihe mit der Gitarristin (eine auffällige Erscheinung mit ihren leuchtend roten Haaren) und dem Bassisten stellte, welche die zentralen Showtypen des Quintetts bildeten. Besonders der Bassist fiel auf - riesengroß und mit langen blonden Haaren hätte er eher in eine Metalband gepaßt, sprang wie wild über die Bühne und war des öfteren am Headbangen, was in Konnektion mit der nahezu unmetallischen Musik die größte, allerdings nicht wesentlich störende Ambivalenz ergab. Leider gelang es aber auch New Reality nicht, richtig markante Songs hervorzuzaubern, wenngleich die gespielten durchaus annehmbar durcharrangiert waren - die großen Momente, vielleicht ein paar merkfähigere Refrains, fehlten noch.
Das klassische "Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen" war keinesfalls das Motto der 3 Apes, die tatsächlich in Triobesetzung spielte und eine Stilistik an den Tag legte, die man am Abend noch gar nicht zu hören bekommen hatte: bluesigen Rock mit anfangs vereinzelten Rockabilly-Elementen nämlich. Dabei muß das Wort "Rock" aber relativiert werden, denn obwohl eine halbe Stunde lang hier alles zu rocken schien, erwies sich das bei genauerem Hinsehen als "mehr Schein als Sein". Zwei Elemente sorgten für die generelle Begeisterungsfähigkeit der Dreiaffenband: Da war zum einen die Stimme des leadsingenden Gitarristen, die zweifellos einen hohen Originalitätsfaktor besaß und ungefähr so klang, als ob man Bob Dylan am frühen Morgen die Nase zuhalten würde. Und da war zum anderen die wilde Soloarbeit des besagten Gitarristen, der in bester Siebziger-Manier auf der Bühne herumsprang und auf seinem Instrument fiedelte und gniedelte, daß einem im positiven Sinne Hören und Sehen verging. Passenderweise nahmen diese Soloparts dann auch einen ausgiebigen Teil der Gesamtspielzeit ein - und das war gut so, denn die Songs als solche erwiesen sich bei genauerem Hinhören als große Luftblasen, und man ertappte sich dabei, angehörs des langweiligen Riffings und der ebenfalls alles andere als spannenden Gesangsarrangements schon nach kurzer Zeit eben das Gitarrensolo im Song herbeizusehnen. Dazu kam noch, daß es der Bassist fertigbrachte, völlig losgelöst von seinen beiden Bandkollegen vor sich hin zu musizieren - so etwas wie Groove, der ja als Fundament eine intakte Rhythmusgruppe braucht, hatte keine Chance aufzukommen. Für eine halbe Stunde live anhören kann man sich das zweifellos, und das Publikum feierte das Trio dank seiner vordergründigen positiven Elemente gnadenlos ab, aber wenn sich die Dreiaffenband Prädikate wie "Leipzigs Antwort auf Cream" erarbeiten will, muß sie sich, was das Songwriting angeht, deutlich steigern.
Shaype hatten im Vergleich zu ihrem Siegesgig im Vorausscheid zwei Veränderungen vorgenommen. Zum einen bestand die Abteilung der Backingvokalisten diesmal gleich aus drei Köpfen (und leistete hervorragende Arbeit), zum anderen war die Setlist auf einer Position verändert worden: Das arrangementseitig im ersten Gig noch nicht ganz ausgereift erscheinende "Die schwarze Witwe" war gestrichen worden, statt dessen stand die grandiose Halbballade "Minute One", bereits von der "Rising"-CD bekannt, im Set und machte die außerordentliche Klasse dieser Truppe, was das Schreiben markanter Songs betrifft, ein weiteres Mal deutlich. (Gerade Balladen sind bei Nachwuchsbands ja immer eine heikle Sache, da sie gern in stereotype Muster oder pseudoemotionale Peinlichkeiten abzukippen drohen - sollte es eigentlich Zufall sein, daß sich keine der anderen fünf Bands dieses Abends traute, eine Ballade oder wenigstens eine Halbballade zu spielen?) Ansonsten business as usual bei Shaype, abwechslungsreiche hochklassige Musik im Spannungsfeld zwischen klassischem Melodic Rock und progressiv angehauchtem Metal (selbst "Get In Shaype" beginnt mir langsam besser zu gefallen), abgeschlossen durch die große Hymne "Little Paris" - und spätestens bei Jasmins gigantischem "Lipsia"-Schrei am Soloende dachte ich eigentlich, daß Shaype den Wettbewerb im Sack hätten, wenngleich sie im Gegensatz zur Vorrunde diesmal einen etwas verwaschenen Sound hatten, der speziell von der Rhythmusgitarrenarbeit etliches verschluckte (dafür hatte sich Jasmin in der Qualität der Publikumskommunikation diesmal deutlich gesteigert, agierte in den Ansagen bisweilen wie ausgewechselt - die Gesangsleistung dagegen bewegte sich auf gewohnt hohem Niveau, und das, obwohl die Sängerin erst kurz vor dem Gig von einem Auftritt mit einer ihrer anderen Bands im Anker angekommen war; witziges Detail: Besagte andere Band namens Black Coffee spielte im Rahmen einer größeren Familienfeier unseres CrossOver-Gründervaters Thomas ...
Meine persönliche Rangliste sah diesmal also Shaype vorn, wobei ich mir alles andere als sicher gewesen wäre, wem ich den zweiten und dritten Platz hätte zuerkennen sollen, zumal beispielsweise Instructive, die im Vorausscheid nur knapp gegenüber Shaype unterlegen gewesen waren, und selbst die dort drittplazierten Qubed alle anderen fünf Finalbands in die Tasche gesteckt hätten (wobei ich natürlich nicht bewerten kann, wie die Konkurrenz in den anderen fünf Vorausscheiden ausgesehen hat). Von daher war ich sehr gespannt, wie das Urteil ausfallen würde, und als Top Three wurden New Reality, die 3 Apes und Shaype auf die Bühne geholt. New Reality belegten den dritten Platz, und die 3 Apes sicherten sich - wohl aufgrund der höheren Zahl an von den vordergründigen positiven Elementen evozierten Publikumsstimmen - vor Shaype den Sieg und damit auch den Festivalstartplatz. Überraschenderweise gewannen die zweitplazierten Shaype aber auch noch einen Festivalstartplatz, da die H-BlockX ihren Festivalauftritt wegen einer Erkrankung von Sänger Henning kurzfristig absagen mußten. Und welche Nachwuchsband kann schon von sich behaupten, als Ersatz für die H-BlockX eingesprungen zu sein? :-)



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