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What If ...   17.06.2004   Leipzig, Hochschule für Musik und Theater
von rls

Prüfungskonzerte zu rezensieren ist eigentlich ein etwas eigenartiges Unterfangen, fällt doch die Beurteilung normalerweise in die Zuständigkeit des Prüfergremiums. Aber andererseits sind die Prüfungskonzerte an der Leipziger Musikhochschule öffentlich zugänglich (auch dann, wenn sie in der Hochschule selbst stattfinden und nicht in einem externen Musentempel wie beispielsweise im Falle von Schlagzeuger Daniel Zehe, der als Teil seiner Prüfung einen Gig mit seiner Band Toxic Smile im Anker zu Leipzig spielte), und damit macht eine solche Berichterstattung durchaus Sinn - zumal wenn es sich beim Prüfling um Pei-Ying "Pay" Lee handelt, deren Stimme ich bekanntermaßen sowohl im Kontext ihrer Mittlerweile-Ex-Band Seraphim als auch im klassischen Rahmen sehr schätze, so daß die Anwesenheit bei ihrer Diplomprüfung für mich natürlich eine angenehme Pflichtaufgabe war. "What If ..." bezeichnete dabei nicht nur eines der Prüfungswerke (eine Komposition von Lee Hoiby auf einen Text von Samuel Taylor Coleridge), sondern auch das Motto des gesamten, aus 15 Programmpunkten bestehenden und reichlich einstündigen Konzertes - eine dankbare Devise, denn mit etwas Interpretationskunst kann man eigentlich fast jedwedes Musikwerk unter diese Parole stellen. Pay ging in ihrer Programmplanung (es gibt eine strukturelle Vorgabe bezüglich der Anzahl der zu singenden Lieder und Arien sowie eine Epochenvorgabe zu vier der Arien; innerhalb dieses Rahmenplans kann der Prüfling in Abstimmung mit seinem Professor das Programm selbst zusammenstellen) trotzdem nur bedingt auf Nummer sicher - zwar verzichtete sie auf das ultimative Experiment, sich von Seraphim-Ex-Bandkollege Kessier Hsu eine exklusive Komposition auf den Leib schneidern zu lassen (damit kann man ein Prüfungsgremium zwar leicht beeindrucken, aber genauso leicht auch verschrecken), grub aber andererseits auch einige seltener zu hörende Werke aus.
Doch der Reihe nach: Die Eröffnung bildete die Arie "Erfüllet ihr himmlischen göttlichen Flammen" aus Bachs Kantate "Wie schön leuchtet der Morgenstern" BWV 1 und warf trotz einer ausgezeichneten sängerischen Interpretation die Frage auf, ob diese Wahl gut begründet war, denn Christoph Teßmars Englisch Horn und Pays Gesang überlagerten sich von den Frequenzen her gelegentlich, so daß an manchen Stellen die wünschenswerte Klarheit nicht erreicht werden konnte. In den weiteren Stücken trat diese Problematik nicht mehr auf, denn dort agierte als Begleitung ausschließlich das Klavier, gespielt von Oriol Plans-Casal und Hannelore Meißner. Über Mozart (u.a. ein Exzerpt aus "Figaros Hochzeit") und Mendelssohn erreichte das Programm einen ersten Höhepunkt in einer sehr dramatischen und ausdrucksstarken Interpretation von Schuberts "Suleika". Der zweite, den ersten noch übertreffende folgte aber auf dem Fuße: Zu Griegs "Die verschwiegene Nachtigall" (auf einen Text von Walther von der Vogelweide) mit seiner außergewöhnlichen Melodik in einer brillanten Darbietung fehlen mir schlicht und einfach die Worte. Diesem schwindelerregend hohen Niveau lief die Sängerin trotz weiterer gutklassiger Leistungen in der Folgezeit etwas hinterher, obwohl etwa Lee Hoibys "To An Isle In The Water" (mit schönen leisen Passagen) oder Richard Hagemans "Do Not Go My Love" (wäre ich nicht selbst CrossOver-Chefredakteur, hätte ich dem diese Position bekleidenden Menschen an dieser Stelle geschrieben, er möge bitte auf eine Klammerbemerkung verzichten) ebenfalls sehr ansprechend umgesetzt waren und die Sopranistin in ausnahmslos allen Stücken mit einer ausgewogenen und homogenen Leistung auf hohem Niveau überzeugen konnte, nur bei ganz vereinzelten Höhen/Sprüngen mitunter leicht unsauber ansetzte. Der Schlußteil des Konzertes gehörte dann wieder der Arie, und über Verdi (aus "Maskenball") und Britten (nix aus "The Turn Of The Screw", wie man hätte vermuten können - dort hat Pay bekanntermaßen kürzlich im Rahmen des Hochschulopernprojektes mitgewirkt -, sondern aus "A Midsummer Night's Dream") erreichte die optisch wie immer bezaubernde Sängerin den Schlußtrack, den sie äußerst geschickt wählte, nämlich mit der Arie "Wir armen, armen Mädchen" aus Lortzings "Waffenschmied", einem äußerst humorigen Stück, bei dem sich die neben mir sitzende Studentin kaum das Lachen verkneifen konnte und dessen hintergründiges Stakkatogeflüster eine Sangesform darstellte, die ich von Pay so noch nie gehört habe. Auch diese Herausforderung meisterte sie mit Bravour (die inhaltliche Konklusion "Ich wollt', ich wär' ein Mann" unterstütze ich in diesem speziellen Fall trotzdem nicht :-)) und hatte sich den lauten Applaus der Anwesenden im Kammermusiksaal der Hochschule (und das waren trotz später Stunde und der Tatsache, daß es nicht die einzige Prüfung an diesem Tage gewesen war, immer noch mehr als doppelt so viele wie zum "A Tribute To Sarajevo"-Abend ein Vierteljahr zuvor) redlich verdient. Bis auf die angesprochenen kleinen Schwächen also erneut eine ausgezeichnete Leistung der Sopranistin, die vom Prüfungsgremium auch mit einer entsprechenden Bewertung belohnt wurde.



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