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A Tribute To Sarajevo 23.03.2004 Leipzig, Hochschule für Musik und Theater
von rls
Daß Musik ein probates Mittel zur Völkerverständigung darstellt, ist bekannt. Daß man die Völkerverständigung auch torpedieren kann, indem man einfach nicht zu solchen Konzerten geht, ist aber gleichfalls ein Faktum. Der deutsch-bosnische Pianist Gregor Vidovic und die Sarajevo Art Agency hatten vier junge Künstlerinnen (alle wurden noch im intakten Jugoslawien geboren, Iva Lucic beispielsweise genau im Olympiajahr 1984 in der Olympiastadt Sarajevo) zu einem Gedenkkonzert für die Opfer des bosnischen Bürgerkrieges aufgeboten, und die Hochschule für Musik und Theater "Felix Mendelssohn Bartholdy" in Leipzig klinkte sich ein und stellte den Kammermusiksaal für die Veranstaltung zur Verfügung. In diesem verlor sich allerdings eine Zahl von Besuchern, aus der man nicht mal zwei Fußballmannschaften hätte bilden können. Und das bei freiem Eintritt und einem hörenswerten Programm, wenngleich - das sei vorweggenommen - dieses relativ stark auf Nummer sicher ging. Eine lohnende Anregung wäre beispielsweise gewesen, noch ein oder zwei Stücke aus Savatages "Dead Winter Dead"-Album zu übernehmen, das - 1995 veröffentlicht, also noch zu Kriegszeiten - immer noch den ultimativen Beitrag der sogenannten U-Musik (die in diesem Falle mehr E ist als alle E-Musik der 1990er Jahre zusammen) zum Bosnienkrieg darstellt.
Die Pianistin Milica Papp schaut nicht eben vergnügt drein, als sie das mächtige Häuflein im Publikum erspäht. Trotzdem legt sie recht engagiert mit Bachs Partita B-Dur los, wenngleich die ersten Sätze tempotechnisch zu gleichförmig geraten. Dann aber gelingt ihr eine wunderbar leidende Sarabande, die vom Melancholischen fast in tiefe Trauer umschlägt und den Anlaß des Konzertes eindringlichst ins Gedächtnis ruft. Da kann selbst die abschließende Gigue nicht mehr richtig für Frohsinn sorgen. Das bleibt den drei "Estampes"-Sätzen von Claude Debussy vorbehalten, in denen der Franzose eine multikulturelle Stilistik zu einer Zeit realisiert hat, als es den Begriff Multikulti noch gar nicht gab. Milica Papp gelingen hier ausgezeichnete Lautmalereien vielfältigster Prägung, welche diesen Programmpunkt nach der Sarabande zum nächsten Höhepunkt des Abends stempeln.
Milica Papp räumt den Platz für Arijana Ramic, die die Sopranistin Melisa Hajrulahovic begleitet. Die Sängerin erweist sich immer dann am stärksten, wenn sie laut singen darf (und das darf sie in den Arien und Liedern von Joaquin Turina, Hugo Wolf und Charles Gounod recht oft), wohingegen ihre Stimme in den leiseren, verhaltenen Passagen fast zum Wegbrechen neigt. Viel mehr gibt es dazu eigentlich schon nicht mehr zu sagen - Melisa überzeugt, ohne aber restlos zu begeistern.
Nach der Pause nimmt Iva Lucic die Stelle der Sängerin ein, am Klavier begleitet von Milica. Das heißt, es ist zu vermuten, daß es sich bei der Sängerin um Iva handelt, denn optisch hat ihre reale Erscheinung mit dem Personalfoto im Programmheft nicht gar zu viel gemeinsam. Sei's drum: Über Franz Schuberts "Lied der Mignon", über das ich mich ausschweige (Schubert-Lieder waren noch nie mein Fall), erreicht man "Vir" des mir unbekannten Ivan Zaic - vermutlich ein aufgrund des thematischen Bezugs ins Programm aufgenommener Punkt, aber auch musikalisch mit interessanten Wendungen und Harmoniewirkungen überzeugend und von der Sopranistin ausdrucksstark interpretiert. Iva kehrt die Stärken-Schwächen-Analyse von Melisa um, indem ihr besonders die weicheren und leiseren Töne zu liegen scheinen, wohingegen wenige der energischeren Passagen ganz leicht wackeln. Aber generell singt Iva homogen und auf hohem Niveau. Das beweisen auch die drei Arien von Händel, Mozart und Puccini, welche den Abend beschließen.
Vor Händel aber steht noch ein weiterer Programmpunkt: Nach Milica hat auch Arijana noch einen Platz für ein Klaviersolo bekommen und sich Sergej Prokofjews Sonate Nr. 6 op. 82 ausgesucht. Und was sie trotz ihres unübersehbar angeschlagenen Gesundheitszustandes aus diesem Stück herausholt, verdient allerhöchsten Respekt. Besonders im ersten Satz "Allegro moderato" wütet sie wie ein Berserker am Instrument, um die von Prokofjew geforderten apokalyptischen Passagen adäquat umzusetzen. Nach diesem ebenso schwer verdaulichen wie genialen Stück Musik müssen die anderen drei Sätze logischerweise verblassen (eigentlich ist mit dem ersten Satz schon alles gesagt), aber auch sie stellen noch hohe Anforderungen an den Interpreten, die Arijana sehr wohl zu erfüllen weiß, wenngleich es ihr nur unter höchstem Energieaufwand gelingt. Sichtlich ausgepowert verläßt sie die Bühne und macht Platz für die genannten finalen Beiträge, welche das (abgesehen von kleinen Schwächen und eben der mangelhaften Besucherzahl - wenigstens wußten die Anwesenden die Leistungen zu schätzen und applaudierten für mindestens die doppelte Kopfzahl) gute Konzert abschlossen.
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