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Disillusion, Asterius, Carven   17.04.2004   Leipzig, Moritzbastei
von rls und ta

Es ist ja bekannt: Ob eine Band ihre Popularität zu erhöhen in der Lage ist, hängt nicht primär von ihrer Musik ab, sondern der Art und Weise, wie dieses Medium Musik vermarktet wird, sprich: wie alles außerhalb der Musik ebenfalls zum Medium gemacht wird. Doch es geht auch anders. Disillusion galten als DER Insidertip für Freunde der gepflegten, wohldosierten Schwermetallkunst, ackerten sich durch Proberaumstunden und Live-Auftritte ... und konnten jüngst ihren ersten Langzeittonträger via Metal Blade veröffentlichen. "Back To Times Of Splendor" bietet allerfeinsten, schwer kategorisierbaren, vertrackten Metal und am 17.04.04 war in die Moritzbastei zur Record Release-Party geladen. Neben den zahlreich erschienenen Gästen vor begaben sich auch zwei weitere Bands des deutschen Szenesubstrats auf der Bühne ans Werk.
Mit Carven aus Leipzig (oder war's Leisnig?) konnte überraschend pünktlich der lustige Reigen beginnen und versackte gleich wieder. Nichts gegen Avantgardismus (der spielte sowieso an diesem Abend eine fundamentale Rolle), aber hier war er definitiv noch nicht ausgearbeitet. Straighte Rockgrooves und offenbar Metal-lastige Saitenarbeit, die sich soundtechnisch an diesem Abend leider nur erahnen ließ, paaren sich mit halbfertigen Melodien und dem Gekrächze einer Frau, die Arrangements und Liedstrukturen sind dabei aber so bieder, dass nach den ersten drei Songs bereits die Luft raus ist. Die Band gab sich redlich Mühe und besonders die Sängerin versuchte mit souveränem Grinsegesicht das Publikum zu bewegen, den Sicherheitsabstand zur Bühne zu verkleinern. Doch bis auf ein, zwei Headbanger blieb es bei unregem Klatschen in den Liedpausen, so dass die Band gleich auf Ansagen verzichtete, die mehr als den Liedtitel des folgenden Songs enthielten. Insgesamt also eine eher laue Sache. Die Zukunft wird zeigen ... oder eben nicht. (ta)
Meinereiner kann zu Carven nicht allzuviel sagen, da die Band bei meinem Eintreffen in der Moritzbastei schon mitten im letzten Song war. Die danach folgende Umbaupause nutzte man aus, um einen Kunstfilm vorzuführen, dessen Handlung sich dem Uneingeweihten allerdings nur unter ähnlichen Schwierigkeiten erschloß wie die Musik Disillusions manchem Hörer. Hatte man in den Introsequenzen noch den Eindruck, einem Streifen Marke "Die blaue Lagune" auf düster beizuwohnen (wogegen die im Publikum reichlich vorhandene Damenwelt vermutlich nichts einzuwenden gehabt hätte), abstrahierte sich das Sujet recht schnell in einen Trickfilm über verschiedene chemisch-physikalische Prozesse im menschlichen Körper, der die Handlungsebenen bisweilen etwas arg schnell (und größtenteils auch im weiteren Verlaufe unnachvollziehbar, wenngleich sich die eine oder andere Sequenz durch spätere Szenen noch erklärte) wechselte und letztlich seine Erklärung in einer Art Psychotrip mit negativem Ende fand. Cineasten mögen vermutlich noch mehr Reminiszenzen an andere Streifen erkannt haben als das CrossOver-Rezensentenduo, das u.a. auf "Blair Witch Project" und "Im Land der Raketenwürmer" stieß. (rls)
Asterius hatten wie auch Carven mit dem Sound zu kämpfen. Ob der für diesen an jenem Abend Verantwortliche eine chronische Allergie gegen harte Gitarrenklänge hegt, ließ sich bis zum Review-Zeitpunkt nicht ermitteln. Der Verdacht liegt allerdings nah. Im Gegensatz zum Konzert 2001 an selber Stelle haben sich die Stuttgarter klar verbessert. Was vor drei Jahren noch etwas eintönig und langatmig klang, ist anno 2004 auf erfreuliche Weise modifiziert worden. Durch clevere Tempowechsel und gut eingepasste Dynamikumschwünge hat der "Bizarre Space Metal" des Quintetts (Synthesizer wurden vom Band eingeblendet) an Qualität gewonnen. Die Aufteilung in klaren und gekreischten Gesang ist geblieben, auch wenn der für Ersteren zuständige Vokalist manchmal ein wenig verloren klang, was vielleicht auch auf den Sound zu schieben ist. Die Drums machten - abgesehen von ein paar schwachbrüstigen Blastbeats - ordentlich Druck und auch an Nackenbewegung und sonstigen Publikumsmotivationsversuchen auf der Bühne mangelte es nicht. Die Metal Crowd blieb anfangs reserviert, taute aber peu a peu auf, so dass Asterius nach vierzig Minuten mit zufriedenen Gesichtern und verrenkten Halswirbeln von der Bühne staksen konnten. (ta)
Die Umbaupause zwischen Asterius und Disillusion wurde durch den bereits ganz zu Anfang aktiv gewesenen DJ überbrückt, der eine halbe Stunde lang ambiente Klangflächen mit zuweilen an Monotonie grenzender Langatmigkeit erzeugte. Gestört hat's niemanden (zumindest gab das Publikum keine Äußerungen des Mißfallens von sich), als eigenständige Kunst hat es aber offenbar auch niemand wahrgenommen - man diagnostizierte es vermutlich schlicht als Umbaupausenmusik und harrte der Dinge, die da noch kommen sollten.
Disillusion überraschten auf den ersten Blick mit einem neuen Schlagzeuger - der zweite Blick belehrte dann aber, daß es sich tatsächlich um Jens Maluschka handelte, der offenbar von wohlmeinenden Menschen seines Umfeldes einen Gutschein für einen Friseurbesuch geschenkt bekommen und bei dieser Gelegenheit seine blonde Matte gleich mit abgeliefert hatte. Und da wir einmal bei Äußerlichkeiten sind: Sänger/Gitarrist Andy Schmidt erinnerte an diesem Abend irgendwie an eine (natürlich um Jahrzehnte jüngere) Adaption von Francis Rossi, der die gleichen Positionen bei Status Quo besetzt. Gleich noch die nächste Überraschung: Disillusion hatten personell aufgerüstet - aber nicht etwa mit einem Bassisten (ein solcher fehlt ihnen praktisch schon seit der Wiedergründung der Band in Leipzig), sondern mit Maik Knappe von Dark Suns, der bei einigen Songs an der Akustikgitarre werkelte. Im Unterschied zu meinem letzten Disillusion-Liveerlebnis hatte sich die Truppe zudem entschieden, die Baßparts, die Keyboards und die sonstigen in dieser Besetzung live nicht reproduzierbaren Elemente (also beispielsweise die Streicherparts) vom Band zuzuspielen, was einen weniger abstrahierten Gesamtklang erzeugte, in dem lediglich Andys Gitarre sehr unterrepräsentiert blieb, wohingegen man wenigstens Rajk Barthels phantastische Leads deutlich wahrnehmen konnte. Eingerahmt von den zwei Viertelstündern "Back To Times Of Splendor" und "The Sleep Of Restless Hours" (letztgenannter als Zugabe - wer außer Neal Morse und Dream Theater traut sich schon noch, einen viertelstündigen Song als Zugabe zu spielen?) intonierten Disillusion nahezu ihr gesamtes neues Album ("And The Mirror Cracked" beispielsweise wurde geringfügig gekürzt) und vergaßen natürlich auch ihre nähere Vergangenheit nicht ("The Porter" oder das mit einem bärenstarken Refrain ausgestattete "The Long Way Down To Eden"). Tracks wie das erwähnte "Back ..." oder aber das mit einem gewaltigen feierlichen Ende ausgestattete und programmatisch betitelte "Alone I Stand In Fires" (zahlreichen Akustikpassagen zum Trotz ist die Musik Disillusions nur sehr bedingt kuschelzweisamkeitskompatibel) bieten nahezu unkategorisierbaren und hochkomplexen, aber immer noch kontrollierten Metal der harten Sorte, von dem man auf den ersten Hör nicht vermutet hätte, daß er eine Chance auf größeren Publikumserfolg hat - die Realität zeigt, daß diese Chance sehr wohl besteht, nachdem die Band mit Metal Blade jetzt ein fähiges Label in der Hinterhand hat und sich die Rezensenten nach wie vor mit Lob überschlagen. Verdientermaßen! Über mangelnden Publikumszuspruch mußte sich die Band zu dieser Record Release Party auch nicht beklagen, denn die große Tonne der Moritzbastei war mit dicht gedrängt stehendem Publikum gefüllt, das Disillusion abfeierte und sich auch nicht stören ließ, daß Andys Entertainerqualitäten in äußerst beschränktem Rahmen bleiben. Disillusion überzeugen eben durch herausragende Musik und nicht durch viele Worte - eine Haltung mit Nachahmungswert. (rls)



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