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Toxic Smile   13.03.2004   Reichenbach, Bergkeller
von rls

Anläßlich der nun endlich in trockene Tücher gebetteten Veröffentlichung ihres zweiten Albums "RetroTox Forte" luden Toxic Smile zu einigen Präsentationskonzerten, von denen eins im Bergkeller in Reichenbach (dasjenige im Vogtland ist gemeint - diesen Ortsnamen gibt's deutschlandweit ja etliche Male) stattfand. Dieses Etablissement noch nie zuvor aufgesucht, wohl aber vom proginternen Kultfaktor gehört habend (außer Yes, Dream Theater und Fates Warning wird perspektivisch bis 2007 wohl jede international renommierte lebende Progband mal dort gespielt haben) stellte sich der Bergkeller als eine Art Partykeller eines ganz normalen Wohnhauses heraus, dessen Abmessungen bei vielleicht 10x10 m lagen, was bei Besucherzahlen jenseits der 200er Marke (an diesem Abend waren es etwas über 100) zu absoluter Klaustrophobie führen dürfte, zumal ein Viertel der Fläche ja auch noch für die Band draufgeht (eine erhöhte Bühne gibt es nicht). Es herrscht also eine Art familiäre Atmosphäre (dazu bedurfte es nicht mal der Wohnzimmerdekoration, die Toxic Smile am Abend zuvor im Anker zu Leipzig auf die Bühne gewuchtet hatten), was auch noch dadurch unterstrichen wurde, daß sich einesteils große Teile der Besucher untereinander bekannt zu sein schienen und zudem Clubchef Uwe offenbar auch fast jeden Anwesenden persönlich kannte (der Mann ist sowieso irgendwie positiv verrückt: Welcher Mensch in seiner Position würde während eines längeren improvisierten Instrumentalteils ans Frontmikro gehen und die Bandmitglieder vorstellen?). Der Sound war für die beengten Verhältnisse erstaunlich gut, sieht man mal davon ab, daß in solchen Räumen fast automatisch das Schlagzeug etwas zu laut ist, was dementsprechend auch diesmal der Fall war. Aber einen Könner wie Daniel Zehe überdeutlich heraushören zu können besitzt auch für Nicht-Schlagzeuger einen nicht zu verkennenden Reiz (ohne damit die anderen Bandmitglieder irgendwie abwerten zu wollen - trotz einiger kleiner, nahezu unmerklicher Unsicherheiten präsentierten auch sie sich auf genau dem schwindelerregend hohen Niveau, das der Kenner von Toxic Smile einfach erwartet).
Mit etwas Verspätung traf ich kurz vorm Ende des Albumopeners "Raised" ein, und nachdem ich mir einen vernünftigen Platz in Mischpultnähe erobert hatte, ging die Reise quer durch das neue Album auch schon weiter. Anlaßbezogen wurde "RetroTox Forte" natürlich fast komplett durchgespielt, es fehlten lediglich Teile von "C.I.D. Addendum". Über die Qualitäten dieses erstklassigen Prog-Albums (mal -Rock, öfter -Metal) lese man in Tobias' Rezension nach - ich will mich hier nicht in erneuten Lobhuldigungen angesichts der exorbitanten Klasse etwa des Instrumentals "O.T." oder des völlig genresprengenden Zwölfminutenmonsters "Confidence In Deception" (das allerdings auch unter Beweis stellte, daß Fronter Larry B. als Heldentenor höhere Tauglichkeitsgrade aufweist als in der Rapper-Rolle) verlieren. Unterbrochen wurde die Folge neuer Songs (die so neu auch wieder nicht sind - im April 2002 konnte man einige schon live hören) lediglich durch das Yes-Cover "Owner Of A Lonely Heart" (seinerzeit auf der Korea-Edition des "M.A.D."-Albums veröffentlicht), das eindeutig die untere (!) Qualitätsgrenze des gesamten Gigs markierte (zumal Larry wie beschrieben sehr viel kann und eine extrem eigenständige und wandlungsfähige Stimme besitzt, wie er im gesamten Gig wieder einmal unter Beweis stellte - aber ein Jon Anderson ist er nicht). Auffällig war erneut, daß die Solopassagen der einzelnen Instrumentalisten nicht wie in 99% aller anderen Rockbands üblich auch tatsächlich im Alleingang vorgetragen werden, sondern man zu dritt oder zu viert improvisatorisch arbeitet - ein weiterer Beweis für die Songdienlichkeit, mit der Toxic Smile trotz aller progtypischen Vertracktheit immer noch arbeiten. Das ältere "The Crown" markierte den Halbzeitpfiff, und nach einer Pause gruben Toxic Smile im zweiten Setteil noch weitere Tracks früheren Konservierungsdatums aus, etwa den Titeltrack des ersten Albums "Madness And Despair". Daß sie auch jede Menge Humor besitzen, ist dem Kenner ja allgemein bekannt (dem Nichtkenner sollte ein Hördurchlauf von "RetroTox Forte" gleichfalls zu dieser Erleuchtung verhelfen), und auch in diesem Gig stellten sie ihn wieder unter Beweis, führten ihn aber auch in bisher nicht gekannte Höhen, indem Larry während eines weiteren improvisatorischen Teils das Publikum aufforderte, Musikstile zu nennen, die dann von der Band in die Improvisation eingebaut wurden. Der Rezensent verkniff es sich, Doom Metal oder Grindcore zu wünschen (ich bin nichtsdestotrotz sicher, daß sie auch das hingebracht hätten) - so kamen andere Wünsche wie Samba oder Jazzfunk zum Tragen, und letztlich machte man weder vor Modern Talking noch vor Ute Freudenberg zitierenderweise halt. In den Ernst des Sets zurückgekehrt, folgte als der Albumaufteilung entsprechender Rahmen dem hochemotionalen "Sacrificial Flame" (bei dem leider das ungehemmte Gequassel der Hinterbänkler bzw. Hintertresler im Publikum störte) noch "Heavsent", das in der Liveversion etwas "wärmer" anmutete als in der sehr komplex-zerrissenen, fast zugangsfeindlichen Studiovariante. Nach der Zugabe "Could It Be" (wieder mit Keyboarder Marek an seinem Zweitinstrument, dem Saxophon) war eins klar: Toxic Smile haben einen Spitzenplatz in der deutschen Progszene inne. Aber war es das nicht eigentlich schon vorher?



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