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10. WITH FULL FORCE   04.-06.07.2003   Roitzschjora
von Janet Schleitzer und René Beyer

Nach einem Jahr WFF-Pause musste es das diesjährige 10. aber unbedingt wieder sein. Nicht nur, weil meine Lieblingsband My Dying Bride da spielte. Auch ansonsten hatten die Veranstalter einiges aufgefahren, um eine Party zu feiern, wie sie Roitzschjora noch nicht gesehen hatte.
Es gab dennoch Grund zum Meckern, und das will ich jetzt gleich schnell hinter mich bringen, um dann frohgemut über ein Festival zu berichten, das vielleicht vom Gefühl her das schönste war, das ich bisher erleben durfte.
Ich weiß nicht, was die Veranstalter dazu gebracht hat, in ihrem letzten Newsletter vor dem Event darauf hinzuweisen, dass, wer am Donnerstag anreise, keine Staus am Einlass vorfinden würde, da man dreimal so viele Schleusen wie sonst errichtet hätte. Wir sind wie immer am späten Donnerstagnachmittag angereist, standen wie immer stundenlang im Einlassstau, konnten wie immer erst im Dunkeln unsere Zelte aufbauen und tief in der Nacht unser erstes totales Frustbier trinken. Zum Glück hat sich mein Glaube bewahrheitet, dass es bei einem so miesen Start nur immer besser werden kann, und schon am nächsten Tag war alles schön. Allerdings nicht für unsere Nicht-V.I.P.-Freunde. Die durften sich nochmal stundenlang anstellen, und zwar an den Containern, wo sie ihre Bändchen erhielten, die sie zum Einlass ins Bühnengelände berechtigten. Ein Vorschlag zur Güte: Könnte man die Bändchen nicht bei der Anreise vorm "Einchecken" verteilen, wo man sowieso ewig warten muss? Aber damit nicht genug: nachdem die Leute zwischen einer und vier Stunden angestanden hatten, kriegten sie neben dem Bändchen auch noch einen hübsch bedruckten Müllsack und mussten 5 Euro Pfand dafür löhnen. Darüber haben sich alle Gemüter erhitzt. Dass die Angst, aufgrund des neuen Zwangspfandes auf Getränkedosen die Säcke nicht voll zu kriegen und die 5 Euro also in den Sand zu setzen, sich im Nachhinein als nicht berechtigt erwies, steht auf einem anderen Blatt. Ein Müllsack pro Auto oder pro Zelt hätte den meisten eingeleuchtet, aber pro Mensch?!? Der absolute Oberhammer aber war, dass diejenigen, die ab Freitagabend anreisten, gar keine Müllsäcke mehr bekamen und also auch die 5 Euro nicht bezahlen mussten. Wird man neuerdings fürs Späterkommen belohnt oder haben da die sicher zahlreichen Beschwerden späte Früchte getragen?
Übrigens: ich glaube zwar nicht, dass das bloß mit den teuren Mülltüten zu tun hatte, aber am Abreisetag sah der Zeltplatz zwar trotzdem aus wie 'ne Müllhalde, jedoch lange nicht so krass wie in den Vorjahren.
Weiterhin nicht nachvollziehbar waren die horrenden Kostendifferenzen zwischen Vorverkaufs- und Abendkasse-Tickets (auch Parktickets!) sowie die Preise für Tagestickets.
Weiterer Kritikpunkt: es gab ein zwar schönes, aber ziemlich unpraktisches Hochglanzprogrammheft für 2 Euro zu kaufen. Wer das nicht wollte und sich auch nicht die Running Order im Vorhinein aus dem Internet gedruckt hatte, konnte nur raten, wer wann spielte. Kann man nicht irgendwo kopierte DinA4-Running Orders für jedermann auslegen? Das gehört doch einfach zum selbstverständlichen Service eines großen Festivals. Oder man macht billige 50-Cent-Heftchen, die sich sicher jeder geleistet hätte. Die Dinger sehen doch nach dem Festival sowieso aus wie Sau. Oder man verliert sie gleich.
So, nun aber genug gemeckert. Jetzt kommen nur noch Lobesworte. Die ersten gehen an die vorbildliche Dixi-Klo-Situation. Die Dinger wurden dermaßen regelmäßig geleert, dass man sie selbst in der Nacht noch einigermaßen ruhigen Gewissens benutzen konnte.
Einige Worte auch zu den Preisen für die Verköstigung. Mein CrossOver-Kollege, der im vorigen Jahr das With Full Force bereiste, hat sich über die sehr hohen Getränke- und Essenpreise beschwert. Der geht anscheinend nicht sehr oft auf große Festivals. 0,4l Reudnitzer Pils kosteten 2,20 Euro, damit hat das WFF seit mindestens 4 Jahren einen nahezu gleichbleibenden Bierpreis. Welcher Veranstalter kann sich das heutzutage noch auf die Fahnen schreiben? (Naja, er ist wahrscheinlich noch Freakstock-Preise gewöhnt ... - Anm. rls) Sicher ist es nicht billig, sich auf dem Festival zu verpflegen, aber das muss ja auch keiner. Kann schließlich jeder soviel Essen und Getränke mitbringen, wie er will. Außerdem: wenn man sich am Abreisemontag mal so auf dem fast verlassenen Platz umschaute, kriegte man sogleich den Eindruck, die Metaller seien ein außergewöhnlich wohlhabendes Völkchen. Was da alles liegenblieb! Nigelnagelneue Zelte, zweimal benutzte Grills, High Tech-Taschenlampen und vieles mehr. Neben den nicht so reichen Anwesenden deckten sich auch die Ortsansässigen mit dem übriggebliebenen Krempel ein, und mit Müllsammeln hatte das nicht viel zu tun.
Genug der Vorworte! Weiter geht's mit ganz viel Musik.

Der Freitag startete mit TOTENMOND. Das mit Abstand beste an denen war deren Beschreibung im Hochglanzprogrammheft. Ich muss die hier einfach bringen, die Nichtdagewesenen kommen ja sonst nicht in den Genuss (außer auf der WFF-Homepage), und das ist doch köstlich: "Eine gemein-rostige Düsterdoomcore-Walze mit blitzenden Nägeln lassen Totenmond über die glatte Grasnarbe rattern, die korrekte Szenewächter gern auf dem Stoppelfeld der Wirklichkeit züchten möchten. Das Trio hinterlässt dabei eine wohltuend sonisch zerfurchte Brache, auf der freie Gedanken sprießen können. Tut gut wie ein Workout, das den Kopf mit trainiert." Ich allerdings bin weder so poetisch wie Kollege Finn Burgfeldt noch seiner Meinung. "Dumpf und dreckig" kam mir bei dem Auftritt in den Sinn, also nich so gut. Allerdings musste man bemerken, dass im Vergleich mit den Openern anderer Jahre schon unheimlich viele Leute vor der Bühne waren, und das, obwohl doch die langen Schlangen vor den Bändchen-Containern noch immer die Bühneneingänge blockierten.
Zwei Stunden nachdem TOTENMOND die Bühne verlassen hatten, kamen NAPALM DEATH an die Reihe und zeigten den Anwesenden, wo der (Grind-) Hammer hängt. Neben den weiterhin auf ihre Bändchen wartenden Besuchern konnte sich noch einer nicht so bewegen, wie er gerne gewollt hätte: Frontsportler Barney Greenway. Sein Knie war bandagiert, aber ruhig stand er deswegen noch lange nicht. Und Shane Embury war immer noch nicht beim Friseur.
Unser erster Seitensprung zur Hardbowl Tentstage führte uns zu CALIBAN, die mit ihrem Hardcore-Nu Metal die Massen im zu drei Vierteln gefüllten Zelt begeisterten. Den Sound dort konnte man allerdings das gesamte Festival über nur mit Ohrstöpseln gut ertragen. Vielleicht war der extra darauf eingerichtet, denn mit den Schützern in den Gehörgängen war er richtig klasse. Ohne hingegen wirkte er irgendwie übersteuert, zu viele Höhen, manchmal auch zu viele Bässe.

Tommy Victor von Prong

Der Prong-Symbolismus
Mit PRONG kam am späten Nachmittag das erste Geburtstagshighlight zu seinen Ehren. Die Band gibt es schon seit nunmehr 17 Jahren, richtig erfolgreich waren sie leider nie, aber Kult. Die Fans nutzten die seltene Gelegenheit, dieses Sahnestück der hartmetallischen Klänge noch einmal live zu erleben. Der Set war energiegeladen und die Stimmung spitze.

Six Feet Under
Auch SIX FEET UNDER wurden mächtig abgefeiert. Auf mich persönlich hat ihr "Slow Mosh" (Zitat eines Freundes) eher statisch und unmotiviert gewirkt und auf Dauer auch ein bisschen langweilig. Das hat man schon mal besser gesehen.
Es gibt kaum eine andere Band, die unser im übrigen hochkarätig besetztes Zeltlager (u.a. eine Rechtsanwältin, ein Doktor der Physik, ein Manager bei Jenoptik und der Sozialpsychiatrische Dienst ...) (bevor jetzt falsche Vorstellungen aufkommen: Es schreiben nicht alle dieser genannten Personen beim CrossOver mit; das uns bisweilen angehängte Prädikat des "Intelligenzlermagazins" muß also woanders herrühren - Anm. rls) so spaltet wie die rosa Spaßrocker von J.B.O.. Während ein Teil von uns die Klamaukkapelle gehörig abfeierte, saß der andere (mit mir drin) unterm Pavillon und bereute, dass wir so direkt gegenüber der Mainstage wohnten. Zwar ganz weit weg, aber in dieser knappen Stunde leider nicht weit weg genug.

Soulfly-Max im Gegenlicht
SOULFLY vereinten dann ein ums andere Mal alle angereisten Grüppchen miteinander. Sie waren Headliner wie vor 2 Jahren, aber diesmal lag ihr Augenmerk viel mehr auf ihrem - ich hab's damals schon so genannt und tu's heute wieder - Dschungel Neo Thrash. Die Sepultura-Kracher ließen Max Cavalera und Co. vielleicht bewusst weg, da seine Ex-Kumpane am Folgetag selbst spielen würden. Zum Schluss boten die Brasilianer sogar ein Nirvana-Cover. Ungewöhnlich, aber gut!
Die anschließende Knüppelnacht fiel unserem Schlafdefizit aus der vergangenen Frust-Anreise-Nacht zum Opfer.

Am Sonnabend sollten DEBRIS INC., die Band des Saint Vitus-Gitarristen David Chandler und des Trouble-Bassisten Ron Holzner, eröffnen, und weil mich alte Doom-Tante das natürlich interessierte, war ich pünktlich vor der Bühne. Aber nichts geschah. So langsam gesellten sich die DISHARMONIC ORCHESTRA-Fans zu mir, deren Heroes nach DEBRIS INC. auf die Bühne kommen sollten. Eine gesamte Dreiviertelstunde lang tat sich gar nichts. Dann betrat Götz Kühnemund die Bretter, die die Welt bedeuten, und verkündete, dass DISHARMONIC ORCHESTRA ausfallen (warum, wisse er nicht) und man deshalb DEBRIS INC. in der Running Order nach hinten auf den DISHARMONIC ORCHESTRA-Platz verlegt habe. Während die Doomster schon loslegten, konnten wir unsere Enttäuschung über die DISHARMONIC ORCHESTRA-Absage noch nicht gleich verkraften, aber sie wich alsbald einem Zweck-Sarkasmus. Nach ihren ebenfalls ausgefallenen Auftritten z.B. beim letztjährigen WFF, beim letztjährigen PartySan und in Jena mutmaßten wir nun, die Band gebe es gar nicht, sie sei bloß ein Mythos. Im Nachhinein freilich konnte man in Erfahrung bringen, dass Bassist Herwig verfrüht und damit ein bisschen unerwartet Vater geworden ist. Selbstverständlich wünschen wir ihm und seiner Familie alles Gute und geben die Hoffnung nicht auf, diese doch eben erst wiederauferstandene Ausnahmeband eines Tages doch noch livehaftig sehen zu können.

Dave Chandler

Ron Holzner
DEBRIS INC. lieferten inzwischen richtig gute Arbeit ab. Durch die DISHARMONIC ORCHESTRA-Absage hatten sie ein zahlenmäßig gutes Publikum, was sonst vielleicht nicht der Fall gewesen wäre. Ihre Mischung aus Stonerrock, Doom und ein bisschen Punk kam bestens an und machte nur umso mehr Appetit auf Saint Vitus, die später am Tag spielten.

Eule zupft die Basslaute
Und dann war Party-Time!!! MANOS!!! Da brauch ich nicht mehr viel zu sagen. Diesmal gab's unter anderem einen gelben Riesen-Bass zu sehen, die übliche Kittelschürze, den üblichen Blaumann. Nur "Die Putzfrau" und "Der Floh" haben wir vermisst. Aber man kann ja nicht immer und ewig dasselbe spielen. Obwohl ... Tanzen und mitsingen ist sooo schön ...
ENTOMBED spielen immer noch Death'N'Roll und liegen damit immer noch wenig auf meiner Wellenlänge. Vor allem, wenn sie sogar ihre alten Death Metal-Kracher von der "Left Hand Path" und der "Clandestine" in diesem Stil umarbeiten. Nach ein paar Songs war für mich Pause angesagt.

Der Heilige Veit
Die Doom-Pioniere SAINT VITUS waren ein weiteres der Geburtstagshighlights des WFF. Obwohl mit vielen Nebenprojekten beschäftigt, schaffen es Wino und Co. noch immer, den alten Spirit aufleben zu lassen. Die Frage, ob so eine Lavawalze wirklich auf ein Open Air gehört, wo man eher Party machen und feiern will, gehört definitiv verboten!

Messiah

Nein, nicht Messiah Marcolin ...
Der nächste Hammer kam gleich danach in Form von MESSIAH. Der WFF-Gig stellte dabei das allerletzte Konzert der Schweizer Thrash-Formation dar (hat allerdings keiner gesagt, der letzte für wie lange ...). Ist klar, dass alle ihre Hits, insofern man hier von Hits sprechen kann, aufgetafelt wurden. Dass MESSIAH auch am Ende ihrer Karriere noch zum Underground gehören, spiegelt das zahlenmäßig leider geringe Auditorium wieder. Aber wer da war, der war richtig da und feierte, was das Zeug hielt.
Obwohl CLAWFINGER und DESTRUCTION für mich durchaus sehenswert gewesen wären, musste an dieser Stelle zunächst eine längere Ess- und Erholungspause eingeschoben werden, in dem Fall sogar ein Stündchen Schlaf für die müden, schmerzenden Knochen. Leider haben wir auch ver-schlafen. SEPULTURA gehörten eigentlich zum Pflichtprogramm, aber wir wachten erst auf, als sie ihre ersten Takte vortrugen. Wachwerden, anziehen und vorlaufen dauerte ungefähr eine halbe Stunde. Auffällig war dann das imposante rot-weiß-gestreifte Licht, das das Geschehen auf der Bühne immer wieder erhellte. Und dass mehr Leute vor der Bühne zu sein schienen als bei SOULFLY. Wobei ich anmerken will, dass die beiden Bands solcherart Vergleiche sicher satt haben. Die Meute kam nun endlich auch in den Genuss ihrer Lieblingssongs von "Chaos A.D." und "Roots", aber weiter zurück in die Vergangenheit gingen SEPULTURA meines Erachtens nicht.

Dor Stahl-Beet
Der Auftritt von TYPE O NEGATIVE war ein heißerwarteter, und nein, nicht nur von den Mädels. Peter Steele (im Erzgebirge liebevoll "dor Stahl-Beet" genannt) und seine Mannen erschienen in grünen OP-Kitteln auf der Bühne. Das Backdrop zeigte ein Elektrokardiogramm, das laut Auskunft eines Freundes, der Krankenpfleger ist, nie und nimmer von einem Lebenden stammen könne. Von einem Toten aber auch nicht. Methode oder Unwissen? Zwei Flaschen Wein standen für den Hünen bereit, aber der trank dann doch bloß aus der Bierflasche auf der Box. Und die Finstermänner legten eines der doomigsten TYPE O NEGATIVE-Konzerte ihres Band-Lebens hin. Das Publikum war's froh und bei Titeln wie "Black No. 1" selbstverständlich absolut textsicher. Peter Steele wirkte wie so oft bei seinen Ansagen irgendwie steril und emotionslos, brachte aber so nette Sachen wie "It's amazing to be here" und "Without you we are nothing" heraus, was trotz oder gerade wegen der anscheinenden emotionalen Distanz anrührend ehrlich rüberkam. Vom neuen Album spielten sie nur einen Song, "I Don't Wanna Be Me", der auch auf dem letzten Legacy-Sampler vertreten ist. Sie mussten den Song zwischendrin abbrechen und nochmal neu starten, weil olle "Beet" sich mit dem Text vertan hatte. Kann ja mal passieren. Ist eher sympathisch. Und so bleibt von einer Band, die gerade live vielumstritten ist, ein wunderbarer, versöhnlicher Eindruck. Danke!
Wie üblich spielte Mambo Kurt dann backstage für die V.I.P.s auf. Wie albern: die Presse feiert sich selbst ...
Glücklicherweise wurde man alsbald vom herrlichen Geburtstagsfeuerwerk erlöst. Leider wurde aber auch dieser Hochgenuss dadurch getrübt, dass im Hintergrund J.B.O., das sollte eigentlich eine freudige Überraschung für uns Gäste sein, unter anderem Black Sabbath coverten. Was für ein Mist.
Es war aber noch lange nicht Schluss, denn Samstagnacht ist Saturday Night Fever auf dem With Full Force! Den Anfang selbiger machten heuer SAMAEL, die oft umstrittene Ausnahmeformation aus der Schweiz. Hatte bei ihnen alles mit Black Metal begonnen, sind sie inzwischen auf immer noch düsteren, aber dennoch andersartigen Pfaden unterwegs. Sie paaren elektronische Kälte in Form von Drumcomputer und Percussionelementen mit organischem, leidenschaftlichem und hartem Gitarrenspiel und setzen dem ganzen eine unverwechselbare, einnehmende Stimme voran. Musikalisch gingen SAMAEL bei diesem Gig bis in ihre seligen "Passage"-Zeiten zurück und konnten dafür bei den Fans viele Pluspunkte einheimsen. Trotzdem es weit nach Mitternacht war, wurde getanzt und gesungen und auch geheadbangt was das Zeug hielt.
Für mich den Abschluss des Tages bildeten THINK ABOUT MUTATION, die ich fast gar nicht kenne. Ihr WFF-Auftritt war viel gitarrenlastiger als ich es erwartet hätte, nach allem, was ich in diesem und/oder dem letzten Jahr schon über sie gelesen hatte. Im übrigen haben wir hier noch ein allerletztes Konzert gesehen, denn die Leipziger verabschieden sich nunmehr von den Bühnen und Studios dieser Welt.

Da ich die "SlowfoxSambaRumba"-Versionen altbekannter (Metal)Songs vom am Sonntag eröffnenden MAMBO KURT zwar nett, aber nicht unbedingt notwendig finde, zumal ich ihm ja in der vorhergehenden Nacht schon kurz lauschen durfte, hab ich mich erst nach vorne begeben, als ausgerechnet meine Hassband DIE APOKALYPTISCHEN REITER auf der Bühne standen. Ich versuch ihnen halt immer wieder eine Chance zu geben, aber auch diesmal umsonst. Es ist einfach nicht meine Mugge. Neben mir stand ein REITER-Fan aus unserem Freundeskreis, und der sagte in etwa folgendes: "Seit der Eumel keinen Bock mehr hat, Gitarre zu spielen, weil er dauernd über die Bühne fegen muss, fehlt irgendwie der Druck." Eumel ist der Sänger der Band und möchte, glaub ich, neuerdings, glaub ich, Fuchs genannt werden. Er raste in der Tat wie ein Derwisch herum, kletterte auf Boxen und gab alles - und das barfuß. Dazu trug er eine interessante schwarz-rote Rockhose. Keyboarder Pest hatte eine richtig geile S/M-Maske auf, die er aus London hat, wie ich aus einem Interview weiß. Irgendwann fingen die REITER an, neongrün-gelb-orangene Bälle ins Publikum zu schmeißen, was meinem Nachbarn zu der Erkenntnis verhalf, warum er trotz Bonuspunkten bei Aral einfach keinen Ball mehr kriegt ... Noch ein Wort zum Gitarrenspiel: da sollte man dem Neuen wohl noch ein paar Chancen gönnen, nich?
Während RAGING SPEEDHORN ihre bisweilen an White Zombie erinnernde mächtige Gitarrenwand auffuhren und auf der Bühne headbangten wie Hölle, näherte ich mich meinem persönlichen absoluten Tiefpunkt des Festivals: mein Freund entdeckte mein erstes graues Haar.
Noch halb im Schock tapste ich rüber zur Hardbowl Tentstage, wo PYOGENESIS aufspielten. Ihren Wandel vom (Death) Metal zum erwachsenen Indie-Rock fand ich schon immer bemerkenswert, aber die Jungs mögen es mir verzeihen, dass ich in meinem Zustand nicht allzu viel mitkriegte.
Ich gab mir gute drei Stunden Zeit, mich wieder zu fangen, ein bißchen zu schlafen (schließlich kam heute noch einiges auf mich zu und ich musste lange lange durchhalten ...) und zu essen, außerdem wurde diese Pause von einem sehr netten Plauschstündchen unterm heimischen Pavillon gekrönt.

Scott Ian

Die Irofraktion
Als ANTHRAX dran waren, war alles wieder gut. Kennt jemand die Axel Hacke-Kolumne "Das Beste aus meinem Leben" im SZ-Magazin, der freitäglichen Beilage der Süddeutschen Zeitung? Da ging es neulich ein paar mal um falsch verstandene Liedertexte, echt zum Schießen war das. Ich könnte jetzt dem Axel Hacke noch ein paar Ideen mehr liefern. Sowas kommt davon, wenn man zwar eine Musik leidlich kennt, sich aber um Songtitel oder gar Songtexte einen Scheiß schert: Als die Megakultband ihren punkigen Megakulthit "Antisocial" (der megakultigerweise auch noch nicht mal von ihnen selber stammt - Anm. rls) aus den Boxen drosch, stand ich verdutzt da, wollte so gerne mitsingen wie der gesamte Rest des Auditoriums, aber für mich ergab das keinen Sinn: empty was? Empty soldier? Was soll das denn sein? Zum Glück traute ich mich, hinterher einen Freund um Aufklärung zu bitten, auch wenn das zugegebenermaßen hochnotpeinlich war. Und es war noch nicht alles: während des mir musikalisch sehr gut, aber namentlich überhaupt nicht bekannten "Only" brüllte ich die ganze Zeit freudestrahlend "Oooooolé"! Himmelherrgottaberauch ... Nichtsdestotrotz handelte es sich hier um eines der absoluten Highlights des gesamten Festivals. Die Veranstalter hätten mal hierbei den 10. WFF-Geburtstag feiern sollen und nicht bei J.B.O. Das hier war die wahre Party!
Etwas ernster ging es leider bei MINISTRY zu. Ebenfalls ein absoluter Kultact und ebenfalls eine der Geburtstagsüberraschungen. Aber viele der zahlreichen Zuhörer begriffen es einfach nicht. Mittendrin im Publikum sah man immer wieder vereinzelte Typen, die völlig abgingen, aber eben nur vereinzelte. Dabei war das hier einfach nur hammergeil. Minutenlange Monotonie bis zur Schmerzgrenze, ein bis ins Unkenntliche verfremdeter Gesang und unzählige Samples stehen bei MINISTRY nicht für mindere Qualität, sondern sind ihr Markenzeichen! Mit drei Gitarren standen sie auf der Bühne und klangen absolut fett. Die ganzen "Psalm 69"-Hits wurden von den wenigen wirklichen Fans am meisten umjubelt. Den Abschluss bildete ein völlig geniales Black Sabbath-Cover: "Supernaut". Ganz groß!

Tom Araya

Jeff Hannemann

Kerry King, heute mal ohne Shirt von Resistance Records
Hinterher wurde für den (wieder mal) Headliner SLAYER umgebaut. Ein Freund, der selbst Schlagzeug spielt, bemerkte angesichts des ein bisschen größer als gewöhnlich geratenen Drumkits von Meister Dave Lombardo: "Ich find's gut, wenn man wegen seines Schlagzeuges 'ne eigene Postleitzahl beantragen muss!" Nun war das ja das erste Mal seit meinem Fiasko vom WFF 2000, dass ich SLAYER wirklich gesehen habe. Und jetzt weiß ich nicht, was ich dazu sagen soll. SLAYER halt, ne? Sehr sympathisch haben sie gewirkt (Tom Araya meinte: "You are so fucking kind!") und ganze zwei Zugabenblocks hat es gegeben, was das Ende der (Haupt-)Veranstaltung merklich nach hinten verzögerte. Pfeif drauf! SLAYER wollte sowieso jeder sehen.
Danach begann die übliche Rückreisewelle. Obwohl das den noch folgenden Bands überhaupt nicht gerecht wurde. Aber vielleicht trotzdem gut so, da hatten wir im Zelt mehr Platz zum Gucken.
Ganz alleine (naja, schon mit noch ein paar hundert Metal-Heads, aber ohne einen meiner Freunde) guckte ich mir DORO an. Ich war viel zu aufgeregt wegen der noch bevorstehenden Ereignisse, als noch groß rumzulaufen, also war ich einfach dageblieben, obwohl mich DORO musikalisch nicht vom Hocker reißt. Man sollte sowas vielleicht öfter machen, denn ich war vollkommen gefangengenommen von ihrer glasklaren, kräftigen, unumstößlich sicheren Stimme. Sie spielten dann sogar eine Ballade, obwohl sie das sonst live nicht so gerne machen, aber eine Frau hatte sich das so sehr für ihre Freundin gewünscht, dass DORO, nett wie sie nun mal ist, den Wunsch nicht abschlagen wollte. Ich war rundum richtig zu Herzen gerührt von diesem Auftritt, obwohl er bis auf diese eine Ausnahme natürlich Metal war ohne Ende! Fast hätte ich gar den Treffpunkt mit meinen Leuten versäumt.

Ohne Besenstiel: Fernando Ribeiro
Und dann, es war schon ein bisschen Montag, kamen meine ganz großen drei Stunden. Den Reigen eröffneten MOONSPELL, früher mal von mir hochgehalten, in der Zwischenzeit hatte ich sie aus den Augen verloren, heute interessierten sie mich wieder, weil man Positives über sie hatte lesen können. Und genau diese Erwartungen erfüllten sie auch: Fernando Ribeiro hatte den Besenstiel zu Hause gelassen, den er sich die letzten Male, als ich die Portugiesen gesehen hatte, scheinbar immer quer über die Schulterblätter gelegt hat, um seine Arme zu stützen, die er stets und ständig beschwörerisch ausgebreitet hielt. Und auch die extravaganten Klamotten hatte er nicht dabei. MOONSPELL spielten Metal wie früher, unter anderem auch die Kracher "Wolfheart" und "Full Moon Madness" endlich wieder in ihrer ursprünglichen Form. Klasse! Weiter so, ich bitte euch! Wir hatten einen Riesenspaß beim Headbangen vor der Bühne.

Singende Gitarren

Leiden live: Aaron Stainthorpe

Das Ende vom Lied
Und genauso ging es auch weiter, auch wenn ich das im Vorhinein ein bisschen anders erwartet hatte. Aber es war alles so gekommen, wie es hat kommen sollen, und es war perfekt. Naja, fast. Ich rede von meinen persönlichen Göttern MY DYING BRIDE. MOONSPELL oder aber auch DORO hatten offensichtlich ein bisschen zu lange gespielt, so dass sich MY DYING BRIDE dazu zwingen ließen, zwei Stücke ihres Sets wegzulassen. Das bedeutet bei dieser Band ungefähr 20 Minuten. Das somit abrupte Ende war für mich natürlich bitter. Bassist Ade äußerte sich zwischenzeitlich im offiziellen MY DYING BRIDE-Webforum dazu dahingehend, dass hinter der Bühne der Bühnenmanager stand und immerzu auf seine blöde Uhr getippt habe, schon von Anfang an, und sich Tourmanager und Band dadurch unter Druck gefühlt und die Show tatsächlich früher beendet haben als geplant. Hinterher waren alle darüber wütend und man habe sich vorgenommen, in Zukunft alle Sets genauso zu spielen wie vorgesehen, und wenn man sie von der Bühne haben will, müsse man ihnen schon den Saft abdrehen. Recht is! Was den Auftritt selbst betrifft: der war ungewöhnlich heftig. Viel gab's zum Headbangen, und das hab ich dann auch immer ausgiebig gemacht, stetig mit einem Grinsen im Gesicht. Ich liebe MY DYING BRIDE dafür, dass sie meinen Lieblingssong "Turn Loose The Swans" gespielt haben. Die Poeten in den ersten Reihen liebten sie für ihre Intensität und dafür, dass sie in die Musik hineinfallen konnten, mit geschlossenen Augen, und die Emotionen spüren, den Tränen nahe sein. Was haben die bloß in den ganzen Heftigphasen gemacht? Soll die Musik doch jeden auf seine eigene Art glücklich machen, aber ich hätte denen allesamt empfohlen, mal ein Stück zurückzutreten und dann ordentlich abzufeiern. Hammerhart! Wundervoll!
Obwohl man nach so einem Gefühlsausbruch erstmal zwei Wochen Zeit zum Erholen braucht, traten sofort anschließend auch noch ausgerechnet OPETH zum Grand Finale an. Ich finde das ein bisschen schade, denn meine Konzentration war wirklich ziemlich in Mitleidenschaft gezogen. Die großartige Atmosphäre, die einzigartigen Spannungsbögen hab ich aber schon noch realisiert und auch bis zum Schluss andächtig dagestanden und gelauscht. Diese beiden letzten Bands waren definitiv jenseits von Gut und Böse. Was für ein Abschluss.
Es war längst hell, als wir uns in die Zelte begaben, und die meisten unserer Freunde waren bereits abgereist oder reisten 3 Stunden später ab. Ich verließ das Schlachtfeld erst kurz nach Mittag und war zwar klipperkaputt, aber glücklich, glücklich und nochmals glücklich. Doch, ich glaube schon, mein bisher schönstes Festival.

Alle Fotos: René Beyer






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