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15 Jahre Gideon & Jesus Crew   21.09.2002   Dorfchemnitz, Turnhalle
von rls

Ja, es sind wirklich schon wieder fünf Jahre ins Land gezogen, seit Gideon und Jesus Crew an einem warmen Juniabend ihr 10jähriges Bestehen feierten. Fünf Jahre, in denen viel passiert ist und doch wieder nicht - beide Bands stehen wie Felsen in den (von Gideon in "Rennst" behandelten) Schnellebigkeiten unserer Neuzeit, liefern beständig musikalische Qualitätsarbeit ab und verändern sich auch in der Besetzung keineswegs so rapide wie viele andere Combos. Daß in diesen fünf Jahren die evangelische Gemeinde in Dorfchemnitz praktisch zu meiner zweiten geistlichen Heimat geworden ist, liegt zwar nicht primär an den Bands, wohl aber haben einige Mitglieder ihren Anteil daran, indem sie sich an der dortigen exquisiten Kirchenmusikpflege beteiligen, sei es nun im Kirchenchor oder im Kirchgemeindeorchester. Aber dies nur am Rande.
Anno 1997 hatten 400 Leute in der Turnhalle eine rauschende Geburtstagsfeier aufs Brett gelegt - auch diesmal fehlte es keineswegs an guter Stimmung, leider aber am Publikumszuspruch. Nur etwa 100 Menschen verloren sich in der geräumigen Halle doch etwas, und kurioserweise befanden sich darunter zahlreiche Teenies von 13 bis 18 Jahren, von denen der größte Teil wohl kaum schon vor fünf Jahren dabeigewesen sein dürfte. Wo also waren die übrigen 350 Menschen von damals? Egal, wo sie waren - sie dürfen sich ärgern, denn sie haben definitiv etwas verpaßt.
Der Abend zerfiel generell in zwei Blöcke, die analog aufgebaut waren: Zunächst gab's ein kleines Special, dann spielten Jesus Crew, und Gideon beschlossen den Block. Special Guest des Abends war Rapper Janko Vieweg alias G.R.J. aus Hohenstein-Ernstthal, der den Jubilaren zunächst, unterstützt von Gideon-Enrico an den Drums, einen Geburtstags-Rap als Ständchen brachte und das Publikum zu einem "Happy Birthday"-Chor zu animieren versuchte, was im dritten Versuch schließlich auch gelang. Zu Beginn des zweiten Blocks leitete er mit einem im theologischen Sinne streitbaren Statement (allen Mormonen und Zeugen Jehovas, so denn welche im Publikum gewesen sein sollten, dürften sich die Fußnägel hochgekrempelt haben) zu zwei A-Cappella-Songs über, wobei er dankenswerterweise Xavier Naidoos Weinerlichkeit in der Stimme (die diesen für mich so ziemlich ungenießbar macht) nicht mit imitierte, aber trotzdem zeigte, daß seine Stärken woanders liegen. Folgerichtig beschloß er seinen Teil mit den HipHoppern "Jesus Is The Only Way" und "Videothek" und stapfte dazu wie ein Grizzly über die Bühne, so daß man Angst haben mußte, dieselbe könnte unter seinem Schwergewicht zusammenbrechen, was sie aber nicht tat (erzgebirgische Wertarbeit halt).
Jesus Crew hatten (wie Gideon später auch) ihren Set so aufgeteilt, daß im ersten Teil mehrheitlich Stücke neueren Datums erklangen, während der zweite Teil überwiegend aus älterem Liedgut bestand. Nun ist das aber 'ne Definitionsfrage, denn obwohl beispielsweise "Nachbar" erst anno 2002 auf CD gepreßt wurde, so gehört dieser Song, bei dem wieder die beliebten kultig-doofen Verkleidungen zum Zuge kamen, doch schon seit mehreren Jahren zum geschätzten Liverepertoire. Wie auch immer - Jesus Crew spielten sich kreuz und quer durch ihre Vergangenheit und Gegenwart, stellten also "Leben" (wieder mit echtem Akkordeon) neben "Wie jetzt" und hatten einige der älteren Tracks leicht modifiziert. Bei "Hoch hinaus" schafften sie es zwar leider wieder nicht, diesen genialen sphärischen Touch unter den Refrain zu legen, Gitarrist/Co-Sänger Andreas hatte stimmlich auch nicht seinen besten Tag erwischt, und die in der Gesamtbetrachtung doch gut gelungenen Versionen von "Wir pflügen, und wir streuen" und des Classix "So ist Versöhnung" verursachten beim Kenner der Originale auch erstmal das eine oder andere harmonische Fragezeichen. Aber für diese kleinen Problemchen, wenn es denn überhaupt welche waren, wurde man mit etlichen Perlen der poporientierten Rockmusik entschädigt, wobei das zerbrechlich-melancholische "Regen" wirkungsvoll mit dem abgedrehten "B.I.G." (bei dem G.R.J. mit Keyboarder Steffen im Duett shoutete) kontrastierte. Besagter Steffen war eindeutig der auffälligste Instrumentalist - leider zum letzten Mal, da er nach diesem Gig aus Zeitgründen die Band verlassen hat. Mit wilden Soli und einem ebensolchen Stageacting machte er an diesem Abschiedsabend noch einmal eindrucksvoll deutlich, daß er große Fußstapfen für seinen Nachfolger hinterläßt. An seiner Seite wußte auch Frontmaus Doris ein weiteres Mal zu beeindrucken, hat sich mit ihrer vielschichtigen, aber immer wiedererkennbaren Stimme seit ihrem Einstieg (der auch schon wieder x Jahre zurückliegt - als ich Jesus Crew anno 1995 zum ersten Mal live sah, war sie jedenfalls schon mit dabei) zu einem hochwichtigen Originalitätsfaktor für Jesus Crew entwickelt. "So bist du" kann ich mir ohne sie jedenfalls nicht mehr vorstellen, und der brillante getragene Titeltrack der 2. CD "Könige" verschaffte einem eine Gänsehaut nach der anderen. Ohne Zugaben ging es folglich nicht ab - aber dazu später.
Bei Gideon hatte sich in puncto Neuheiten gegenüber ihrem Pegauer Gig von 2001 nicht so sehr viel getan - entgegen meiner Vermutung, "Geiler wär's schon, wir hätten mehr Geld", wäre so eine Art Nachfolger von "Mammon", kam an diesem Abend aber auch letztgenannter Track in der "Version 2002" wieder ans Tageslicht. Die mehr oder weniger straighten Rocker von "Wichtig." bildeten erwartungsgemäß einen bedeutenden Programmbestandteil, aber der Griff in die Kiste der Vergangenheit brachte u.a. die beiden Tracks hervor, die ich auf der Anfahrt schon im Autoradio gehört hatte (in Liveversionen vom legendären letzten Neukirchen-Bandfestival anno 1996): "Bad Business" und "Jesus On The Main Line". Nach der Pause schalteten Gideon erstmal einen Gang herunter, lieferten die intensivste Version von "Angst" ab, die ich jemals von ihnen gehört habe (Heiko diesen Song nur spielen und singen zu SEHEN war schon ein Erlebnis für sich) und konnten dieses Level auf leicht andere Weise auch mit dem violinenunterstützten, mir (manchmal leider) voll aus der Seele sprechenden "Maskenball" aufrechterhalten. Keyboarder Markus hatte seinen großen sängerischen Auftritt wie üblich beim konsequent geradeausklöppelnden "500 $ Man", einer immer wieder genialen Parodie auf die heutige Plastik- und Scheinwelt, und "Otto Normal" sowie "Christ" rundeten die Gesamtaussage des Abends mit dem Aspekt ab, daß auch ein Christ kein Übermensch ist.
Und die Zugaben? Gideon griffen ganz tief zurück und bluesten sich in extrem cooler Weise durch "Swing Low, Sweet Chariot", Jesus Crew hatten ihnen am Ende ihres Sets nicht nachgestanden und einen ihrer beiden mitgeschnittenen Tracks aus Neukirchen 1996 ausgegraben, leider nicht das "Lied vom Tod" (das nun schon seit eben 1996 in meiner Gegenwart livehaftig unerklungen bleibt), aber wenigstens den wohl fröhlichsten und optimistischsten Geradeausrocker, den sie je geschrieben haben: "Es geht wieder los" (diesmal mit wohl ungewollt avantgardistischem Gitarrensolo von Andreas), dem Rezensenten noch Gelegenheit zum Haareschütteln gebend. Und in diesem Stil ging es weiter: Den nächsten Song gab eine Band zum besten, die man als Gideon Crew bezeichnen könnte (also eine Zusammenrottung aller neun Musiker der beiden Bands) und die den forschen Schulze-Classic "Morgen" herunterhobelte. Zum Einsatz zweier Schlagzeuge konnte man sich zwar leider nicht entschließen (möglich wär's gewesen, denn die beiden Drumkits standen nebeneinander, um die Umbaupausen kurz zu halten), da Thomas die Schellentrommel übernahm, aber avantgardistisch und einmalig war die Besetzung trotzdem: Heiko (lead voc), Doris (back voc), Andreas (g), Steffen (key), Markus (key), Fred (b), Michael (b) und eben Thomas (perc) und Enrico (dr).
Tja, und nun? Ein besserer Schlußsatz als "Keep rockin' for the rock" fällt mir nicht ein, und die besten Wünsche der Redaktion für ein noch langes Durchhaltevermögen sollen diesen Satz begleiten. Schließlich will ich 2007 auch zum 20jährigen Jubiläum vor Ort sein.



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