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Seventh Avenues Tourtagebuch   16.09.-07.10.2002   Brasilien
von Mike Pflüger



16.09.2002:
5:30 Landung am Flughafen in Sao Paulo GRU (whatever it means)
2 Stunden Gepäckkontrolle und Zollformalitäten. Wir nehmen jede Kontrolle mit, die nur geht. Die Beamten sind aber sehr nett und umgänglich. Nachdem wir mit den Kontrollen endlich durch sind, ist es schon fast 8 Uhr. Erwartungsvoll gehen wir in die Flughafenlobby. Irgendwo muss Marcio ja sein. Wir hoffen, dass er ein großes Auto hat. In der Flughafenlobby stehen eine ganze Menge Leute mit Schildern, nur Seventh Avenue ist nirgends zu finden. Schade ... wir haben auch keinen blassen Schimmer, wie Marcio eigentlich aussieht ... also setzen wir uns erst mal und harren der Dinge, die da passieren. Fünf Langhaarige mit Gitarrenkoffern sollten eigentlich als Seventh Avenue zu identifizieren sein.
Als sich nach einer halben Stunde immer noch nichts getan hat, beschließen wir, aktiv zu werden. Wir besorgen uns eine Telefonkarte und lassen uns auf das Abenteuer "Telefonieren an öffentlichen Fernsprechern in Brasilien" ein. Gar nicht so einfach, wie wir feststellen müssen. Aber nachdem wir die Mädels an der Flughafeninformation halb verrückt gemacht haben, erreichen wir Marcio doch noch. Den hätten wir nie erkannt. Unsere Witze mit "Jesch hat einen Bruder in Brasilien" hauen jedenfalls optisch fast hin. Scheint aber ganz nett zu sein. Er war übrigens schon die ganze Zeit da, aber irgendwie sind wir immer aneinander vorbeigelaufen. Egal, er hat einen Fahrer und einen Van dabei und jetzt geht es auf zum Hotel.
Im Hotel angekommen, erleben wir eine angenehme Überraschung: Unser Gepäck wird ausgeladen und auf die Zimmer gebracht und wir müssen keinen Handschlag tun. Immerhin ... Aber wir kommen erst ab Mittag in die Zimmer, also fahren wir noch mit Marcio in die Stadt, zum weltgrößten Metalshoppingcenter. Irre. 5 Etagen voll mit kleinen CD- und Klamottenläden, in denen sich alles nur um Metal dreht. Dort haben wir unsere ersten Fankontakte. Ja, wir werden tatsächlich erkannt. Unglaublich. Es werden in den verschiedenen Läden einige Fotos gemacht und viele Hände geschüttelt und zugesehen, dass hinterher die Finger noch vollzählig sind ...
Beim Geldtauschen erleben wir die zweite angenehme Überraschung. Unsere Dollar sind echt viel Wert hier. Umtauschkurs ist bei über 1 zu 3. Und der Real hat hier etwa die Kaufkraft wie in Deutschland die Mark. Wird wohl eine recht billige Tour für uns. (Wir Naiven ...)
13 Uhr Relaxen im Hotel. Duschen und Fernseher ausprobieren.
Beim Duschen versucht Herbie, sich mit einer im Boden eingeschraubten Schraube den kleinen Zeh abzureißen. Klappt nicht, dafür verschönert er das Badezimmer und das Wohnzimmer mit Hämoglobinfarbstoff. Thats Rock'n'Roll.
16 Uhr Pressekonferenz. Diese verspätet sich auch gleich nach guter brasilianischer Manier um eine Stunde. Wir haben also noch Zeit, etwas Essen zu gehen. Also, auf in eines dieser Selbstbedienungsrestaurants. Wir sind misstrauisch, weil man ja viel gehört hat über rohe Salate und so. Aber der Hunger siegt. Schmeckt auch echt lecker.
Die Pressekonferenz läuft ganz gut. Eben wie ein Interview. Hinterher wieder Fotos und Händeschütteln. Und Finger nachzählen.
Abends fahren wir ins Manifesto. Eine Szenekneipe, in der u.a. auch schon Iron Maiden, Edguy, Gamma Ray etc. zu Gast waren. Eigentlich ist es ein kleines ungemütliches Loch. Aber das ist meine subjektive Meinung ... Caipirinha ist übrigens ganz schön billig hier ...
Um 23.30 ins Bett gehauen. Der Jetlag lässt grüßen.

17.09.2002:
Um 10 Uhr Frühstück im Hotel. Etwas dreist, erst um 10 Uhr dort aufzukreuzen, wo das Buffet eigentlich nur bis 10 Uhr geht. Aber wir sind Rockstars und machen das halt so. Meckert auch niemand. Und wenn schon, no falar portugese. Über diesen frisch gepressten OSaft komme ich nicht drüber weg, Mjammjam.
Privates Essen bei Curly Caro. Fechuada oder so, eine brasilianische Spezialität. Schmeckt echt prima, viel Fleisch, Bohnen und Reis und irgendein Gemüse. So kann das Essen bleiben. Danach werden Fotos gemacht mit Mama, Oma, Caro, Milena, Anderson, Hund, Milena, Papagei, Oma, Caro, Anderson, Mama, Hund, Caro, Oma, jedenfalls scheinen die hier auf Fotos zu stehen.
Danach scheucht uns Jule, unsere Dolmetscherin und ständige Begleitung in Sao Paulo zu Radio 89 RockFM, einige Werbejingles einsprechen. Alles straff durchorganisiert hier.
Danach Shoppingbummel in Sao Paulos Musicstores. Vor dem Metalshoppingcenter hören wir plötzlich so was wie "Oh my God, Seventh Avenue ..." oder so ähnlich, wie gesagt, no falar portugese. Jule übersetzt, dass dieses Mädel sich durch Seventh Avenue bekehrt hätte. Phantastisch. Die Band hat sich auf jeden Fall schon gelohnt ... Ehre sei Gott!
Relaxtime im Hotel bis zum Livechat mit Kameras um 21 Uhr. Livechat dauerte eine Stunde und 276 Leuten im Chat und 400 gezählte Fragen. Was die Leute so alles wissen wollen ... glücklicherweise werden die Fragen gesiebt und niemand erfährt, was für Unterhosen wir tragen ...
Ab 22 Uhr Relaxtime im Hotel mit ein paar Leuten. Wo kommen eigentlich immer die ganzen Leute her? Ist ja auch egal, sind ganz nett. Irgendjemand findet heraus, wie man den Zimmerservice ordert. Nutzen wir es mal aus, dass wir Rockstars sind. Hihi ...

19.09.2002:
Heute ist "Between The Worlds" auf den Markt gekommen. Bei der folgenden Autogrammsession bekommen wir die CD das erste Mal zu Gesicht. Wunderschön.
1. Autogrammsession. Eine ganz neue Erfahrung für uns. Wir haben zwar schon des öfteren Autogramme gegeben, aber eine Autogrammstunde, wo die Leute außerhalb eines Konzertes kommen, nur um unsere Autogramme zu haben ist vollkommen ungewohnt. Aber ganz lustig.
2. Angra Pocketshow im Morrison Rock Club. Treffen Angra auch backstage und geben ihnen PromoCDs. Ganz nette Jungs.
Nach dem Konzert fahren wir dann zu siebt im Gol (Brasilianischer Polo) zurück ins Hotel. Ich fahre, weil das Auto so an meinen ersten Scirocco erinnerte. Ich bin auch der einzige, der genug Platz hat. Ich bin auch der einzige, der weiß, dass der Motor nicht gut läuft und die Bremsen alles andere als gut sind. Was soll's, was die Band nicht weiß, macht sie nicht heiß. Man gut, dass es mitten in der Nacht ist, so ist der Verkehr erträglich und die Polizei hat anderes zu tun ... irgendwie finden wir auch wieder zum Hotel zurück. Hatte ich schon erwähnt, dass Sao Paulo die drittgrößte Stadt der Welt ist?

20.09.2002: 1st concert day
1. Spät aufgestanden wegen Angra
2. Granatenstarkes Steak essen gegangen. Wo sonst bekommt man echt prima Steak für nur 6,90 Reals, und dann noch soviel eben reinpasst. Nur mit den Getränken sollte man vorsichtig sein ... die Leute hier verstehen das Wörtchen "NO" schon, man muss es eben auch anwenden.
3. Direct TV Music Hall. Die Location übertrifft unsere kühnsten Erwartungen. Eine riesige Bühne, eine gigantische PA (MeyerSound, Midas Monitorpult, Ameg (oder so) FOH-Konsole (Total Recall, 1 Mio. US$), Lexicon Effekte.) Hammer. Ein Nachteil: Unfähiges Personal am Monitorpult. Und die Backline wirkt auf der Bühne ein wenig verloren. Pro Seite je ein Marshall JCM 900 mit 4x12. Und ein 6teiliges Drumset. (Mann, wir machen Heavy Metal und nicht Jazz!!!)
4. Zurück, Duschen - Gig. Leider kommen (angeblich wegen des starken Regens) sehr wenig Leute. Etwa 250 - 300 Fans. Diese wirken in der Halle recht verloren. Außerdem lassen sie sich nicht so sehr aus, wie ein Musiker sich das wünscht. Die Stimmung ist zwar gut, aber eben nicht so richtig. Von den Vorbands wäre noch Seven Angels aus Curitiba zu erwähnen. Die Band mit der Frontfrau geht ganz schön los. Von Illy (dem Drummer) bekomme ich dann auch das Ride, das Hihat und eine Doppelfußmaschine geliehen.
Nach dem Gig freuen wir uns alle auf ein schönes kühles Bier, müssen dann aber feststellen, dass auch die anderen Bands irgendwie Zutritt zu unserem Backstageraum hatten. Na ja, Pepsi Light und Fanta sind ja auch ganz prima ...

21.09.2002:
13 Uhr Abflug nach Belo Horizonte, nachdem wir zuerst beim falschen Flughafen sind und dann zu spät zum richtigen Flughafen kommen, müssen wir auf den nächsten Flieger warten. Spontan entschließen wir uns dazu, Jule mitzunehmen. Florian sponsert ihr die Tickets. Auf den letzten Drücker kommt sie dann noch am Flughafen an.
14 Uhr da. Werden auch abgeholt. Etwas nicht selbstverständliches, wie wir noch lernen sollen.
14.45 Uhr Abfahrt nach Ipatinga. Fahren mit einer anderen Band und noch ein paar Leuten in einem Bulli mit 14 Sitzplätzen. Der Fahrer hängt nicht sehr an seinem (und unseren) Leben. Aber wie sagte schon Paulus: Christus ist mein Leben und Sterben mein Gewinn ...
19.00 Ankunft in Ipatinga und Soundcheck. Location ist eine alte Turnhalle mit fürchterlichem Delay. Ich kann meine Enttäuschung über das Drumset nicht ganz verbergen. Heavy Metal muss hier soviel wie Jazz bedeuten. Dieses Mal ist es nur ein fünfteiliges Set. Aber auch Herbie und Flo kommen nicht allzu gut weg. Es gibt nur Gitarrencombos. Einen pro Seite. Aber die Vorbands (nicht die Veranstalter) legen sich ziemlich ins Zeug und organisieren, was das Zeug hält. Für die Show gibt es dann noch 2 zusätzliche Toms und noch zwei Gitarrencombos. Die Bassanlage ist aber auch noch reichlich dürftig.
Aber die Fans sind verrückt wie nie zuvor. Ständig Autogramme. Außerdem werden Flo und Herbie die Pleks aus dem Gitarrenkoffer geklaut ...
0.10 Uhr Show bis 1.30 Uhr. Danach auf ins Hotel "Kakerlak Inn". Es sind in der Tat miserable Zimmer, dafür kann man duschen, während man auf dem Klo sitzt, aber müde wie wir sind, macht uns das auch nichts mehr. Dafür ist der Inhaber (oder wer das auch immer war) sehr nett.

Herbie Langhans

22.09.2002:
Mal wieder 3 Stunden geschlafen seit langem
6 Uhr aufstehen und um 6.30 losfahren nach Vitoria. Wieder mal in einem 14sitzigen Van mit Hammerschlageffektwindschutzscheibe. Aber der Fahrer ist nicht ganz so ein wilder. Wir fühlen uns recht sicher. Und wir freuen uns auf das Konzert in Vitoria, von dem wir bisher nur Gutes gehört haben.
Nachmittags dann Ankunft in Vitoria, die Stadt mit den angeblich schönsten Stränden in Brasilien. Leider ist das Wetter alles andere als schön. Die Location liegt direkt am Strand. Muss traumhaft sein bei Sonnenschein ... Aber egal, erst mal die Location checken.
Die Bühne ist ein wenig größer als die in der Sandmühle. Nur gut, dass es kein Doublebass-Set gibt ... (Buhuuu ...), dafür sind die Gitarrenanlagen recht akzeptabel. Auf den Soundcheck verzichten wir, da auch die PA sowie der Mixer (16 oder 24 Kanäle, Florian?) ein Witz sind. Aber der Laden muss so was wie ein Geheimtipp sein, es kommen eine ganze Menge Leute. Dafür spielen vor uns 5 Bands. Wir fühlen uns nach Tschechien zurückversetzt (Debustrol! Debustrol!) Nur Hammer- und Knüppelmucke. Unsere Motivation sinkt, zumal auch für das leibliche Wohl nicht gesorgt ist. Man muss um jede Flasche Wasser betteln. Und es fängt an, Bindfäden zu regnen. Toll!
Irgendwann sind wir dann doch dran, muss so gegen 22:00 Uhr sein. Aber der Veranstalter hat uns schon gesagt, dass die Leute alle nur wegen uns da sind. Wir müssen feststellen, dass dem tatsächlich so ist. Die Fans haben die gesamte beschissene Bühne, PA, Backline vollkommen wett gemacht. Es sollen etwa 1000 Fans gewesen sein. Es war eine Mörderstimmung. Bis exakt zum letzten Ton. Ab jetzt ist nämlich nichts mehr geklärt. Wir wissen nicht, wo wir schlafen, wie wir weiterkommen etc. Schade eigentlich. Aber glücklicherweise haben wir Jule noch dabei. Mit ihr sind wir noch nicht ganz "Lost in Brazil", sie organisiert eine Langstreckenbusfahrt nach Rio, und das mitten in der Nacht.

23.09.2002:
Es ist morgens um 7:00 Uhr. Das ist also Rio. Wir sind alle verschwitzt, übernächtigt, dreckig, ungekämmt aber recht gut gelaunt. Jule hat noch während der Busfahrt mit der Mutter eines der Fans geklärt, dass wir dort hinkommen können. Aber erst mal müssen wir mit unserem ganzen Geraffel irgendwie vom Busbahnhof wegkommen. Jule organisiert 2 Taxen. Irgendwie bekommen wir unseren ganzen Kram und uns auch hinein. (Hoffentlich bleibt die Heckklappe zu ...)
8:30 Uhr, Ankunft bei Claudia Lucas und ihren Eltern. Es ist ein 3stöckiges Appartementhaus. Wir also mit unserem gesamten Geraffel auf, die 3-Zimmer-Idylle zu zerstören. Aber Claudias Eltern sehen das ganz locker und sind auch sehr gastfreundlich. Mehr als den halben Tag verbringen wir mit Duschen und Essen. Danach fahren wir mit Claudia und Ana zum Zuckerhut und posen vor der Jesusstatue. Um 18:30 Uhr bringen wir Jule zum Flughafen, sie muss wieder arbeiten. Um 20 Uhr geht unser Bus nach Curitiba. Das war also Rio.

Seventh Avenue vor der Christusstatue in Rio

24.09.2002:
11:00 Uhr Ankunft in Curitiba. Wir haben bloß 2 Stunden Verspätung. Das könnte erklären, weshalb niemand uns erwartet. Was tun also? Wieder mal "Lost in Brazil"? Nachdem Abwarten nicht so richtig schockt, probieren wir es mit ein wenig Aktionismus. Telefonieren! Gar nicht so einfach, hier in Brasilien. Falsche Telefonkarten, Ansagen auf portugiesisch, Anleitungen auf portugiesisch, das kommt uns aber spanisch vor. But we managed it. Um 12:30 Uhr werden wir dann abgeholt von Pipi und Luke und David. David spricht deutsch. Gar nicht so einfach, wieder deutsch sprechen zu können.

24.09. bis 27.09.2002:
Off days. Und die mieseste Organisation der ganzen Tour. Niemand kümmert sich so richtig um uns, manchmal kommt jemand, kann sich aber nicht mit uns verständigen, wir gewöhnen uns schnell an die üblichen 1 1/2 Stunden Delay.
Wir besichtigen die Location. Ein altes Kino mit Noppenschaumstoff an den Wänden überall. Die PA könnte aus einem Indiana Jones-Film stammen. Alles recht abenteuerlich. Aber uns werden unglaubliche Versprechungen gemacht. Bis hin zu einem richtigen Doublebass-Drumset.
Am Abend vor dem Konzert wollen wir noch mit den Leuten BBQ essen gehen. Luke ruft gegen 19 Uhr an und fragt, ob wir vielleicht lieber in das Restaurant eines Freundes gehen wollen, weil wir dort nichts bezahlen müssten. Wir willigen ein, weil uns der Gedanke, BBQ zu essen und dabei von den anderen angestarrt zu werden, weil sie nichts essen, nicht behagt. Also warten wir auf unseren Shuttleservice, der uns für 20 Uhr zugesagt ist. Als dieser um 21 Uhr immer noch nicht da war, gehen wir wieder zurück aufs Zimmer. Florian und ich beschließen, uns lieber schlafen zu legen. Um 21:30 Uhr kommt dann doch noch der Daddy mit seinem grünen Santana. Er fährt zusammen mit GG, Flo und Herbie in eine Bauruine, wo ein Fischrestaurant drin ist. Niemand hat so recht Lust auf Fisch, außerdem ist sonst niemand da ... Kurzerhand entscheiden wir uns für ein Alternativprogramm bei Mc Donalds. Und dann ab ins Bett ... Tolle Organisation!

27.09.2002:
Der Tag der Show. Wir haben Tags zuvor noch abgeklärt, dass wir um 12 Uhr zum Mittag abgeholt werden und um 13 Uhr zum Soundcheck wollen. Wir Naiven ...
13:30 Uhr werden wir dann endlich abgeholt von Bruno mit seinem Moped. Bruno spricht nicht viel Englisch. Aber er versucht, uns klar zu machen, dass gleich ein (in Zahlen: 1) Auto kommt, das uns zum Mittagessen abholt. Aha, ein (1) Auto also ... wo wir uns schon die ganze Woche mit 4 Leuten auf die Rücksitzbank von irgendwelchen Autos gequetscht haben. Na ja, dann machen unser bisschen Gepäck und die paar Gitarren ja auch nichts mehr ...
Wenigstens ist das Wetter gut. An der Location hat sich bis zu unserem Eintreffen nichts geändert. Es steht noch immer dasselbe marode Mapexdrumset und dieselbe gefrickelte PA dort herum. Als man mir dann anbietet, zu dem maroden Mapexdrumset noch ein zweites hinzuzustellen, verliere ich ein wenig die Geduld. Regen wir uns erst mal ab und gehen einen neuen Bass für GG kaufen. Nachdem wir den Kauf getätigt haben, erwarten uns direkt vor dem Laden zwei kreischende Mädels, die unsere Autogramme haben wollen. Auch mal eine nette Erfahrung. Bis jetzt wird das noch nicht langweilig.
Nun aber zurück zur Halle, vielleicht haben wir den ganzen Mist ja nur geträumt und jetzt steht da das versprochene Doublebass-Set. Wir Naiven ...
19:30 Uhr, endlich ist die PA komplett (Wie, ihr habt keine Mikrokabel dabei ...). Wir können Soundcheck machen. Es ist ganz fürchterlich und wir sind ziemlich froh, dass Florian dabei ist. Mit Florian kann eigentlich nicht so richtig was schief gehen. Und tatsächlich, irgendwie schafft er es, er bekommt auch nur einmal 110 Volt zu spüren, das geht doch noch ... Vor uns spielen 2 Bands: Miracle und Draca. Miracle geht ziemlich los und wir finden es geil. Da steckt Potential drin. Leider ist das Publikum anscheinend wieder nur wegen uns da und weiß die Vorbands nicht so richtig zu würdigen.
Die Fans lassen uns schnell alle Querelen der miesen Organisation hier vergessen. Die freuen sich echt einen Pommes ans Bein, wenn sie sich mit uns fotografieren lassen können oder ein Autogramm bekommen. Jo, Brazil rules!

Herbie Langhans

28.09.2002:
Um 5 Uhr ist die Nacht vorbei. Um 5:30 Uhr werden wir abgeholt und um 6:30 geht der Bus nach Londrina. Sieht gut aus, wir sind pünktlich, wir haben GG wachbekommen, jetzt klappt alles. Wir Naiven ...
Nach einigen organisatorischen Unklarheiten brasilianischerseits steht fest, dass wir doch lieber den Bus um 12:30 Uhr nehmen. Mal sehen, ob das klappt ...
11:40 Uhr kommt wieder Rodriguez oder so mit seinem Polo und will uns fünf mit 2 großen Koffern, einem 01V im Case und 2 Laptopkoffern zum Busbahnhof bringen. Der Naive ... nach einem hektischen Telefonat kommt dann ein zweites Auto, ein Ford Ka. Na ja, irgendwie bekommen wir die ganzen Sachen untergebracht und quetschen uns zu sechst in den Gol. Ist ja nichts neues. Rodriguez schlägt vor, noch bei Mc Donalds vorbeizufahren, wir haben ja noch Zeit ... Bei uns liegen die Nerven allerdings schon reichlich blank und wir wollen nichts essen, wir wollen zum Bus. Wir sind ja auch der Meinung, dieser würde um 12:30 Uhr fahren.
Am Busbahnhof stellen wir fest, dass Pipi mit unserem Gepäck noch nicht da ist. Schade eigentlich. Auch sieht es ganz so aus, als würden wir auf der falschen Seite des Bahnhofes stehen. Eigentlich schade, dass keiner von unseren brasilianischen Begleitern Englisch oder Deutsch spricht. Um 12:30 ist Pipi immer noch nicht da und bei uns kehrt eine Scheißegal-Stimmung ein. Gedanklich haben wir das Konzert in Londrina schon abgeschrieben.
12:33 Uhr, Pipi kommt mit den Tickets und unserem Gepäck. Irgendwie schaffen wir es doch noch, alles zum Bus zu schaffen und um 12:40 nach Londrina aufzubrechen. Curitiba war wirklich am allerallermiesesten organisiert. Gut in Erinnerung bleiben wird uns nur Luz e Vida. Elise und David, die sich wirklich sehr gut um uns gekümmert haben. Auch ein Dankeschön an unseren Dolmetscher Luke, der leider viel zu selten Zeit hatte, uns zu begleiten.
18:40 Uhr Ankunft in Londrina. Wir werden tatsächlich vom Busbahnhof abgeholt. Unglaublich. Es ist sogar jemand dabei, der Englisch und ein wenig Deutsch spricht. Unsere Stimmung bessert sich. Nur leider hat die Kommunikation mit Curitiba nicht geklappt. Die Jungs hier wissen nichts davon, dass wir gleich nach der Show nach Sao Paulo aufbrechen müssen, legen sich aber mächtig ins Zeug, um alles dafür möglich zu machen. Noch während wir unser Gepäck in einen Van verladen, werden die Tickets besorgt. Der Bus wird um 0:20 Uhr fahren.
19:20 Uhr Ankunft bei der Location. Ein Theater mit festgeschraubten Sitzreihen. Die PA und die Backline scheinen o.k. zu sein. Nur GG geht es gar nicht gut. Grippe im Endstadium, er sieht aus wie der Tod auf Latschen. Mike betet für ihn und verweist die Krankheit in ihre Schranken. Spontan tut sich nichts ...
Wir haben noch ein Fernsehinterview und ein Interview von einer Zeitschrift. Metal Mission.
Gegen 21 Uhr fängt die Vorband Belica an. Die Musik ist recht interessant, mit Geige und Flügel und so ... Sie halten sich nicht ganz an ihren Zeitplan und spielen etwas über eine Stunde, so müssen wir unser Programm auf etwas über eine halbe Stunde kürzen.
Als sich GG seinen Bass nimmt, wäre er noch fast umgekippt, so mies geht es ihm. Aber als der erste Ton erklingt, sind seine Symptome wie weggeblasen. Es ist immer wieder irre, zu erfahren, dass Gott zu seinen Zusagen steht. JESUS IS LORD!!!
Aber die Fans hier sind echt irre. Unglaublich, die gehen ab wie die Zäpfchen. Es sind zwar insgesamt nur 150 Leute, machen aber Party für 1000. Niemand sitzt mehr auf den Stühlen ...
Wir erreichen recht knapp noch unseren Bus nach Sao Paulo. Die Jungs entschuldigen sich hundertmal für die ganzen Missstände, die wir wegen der Dusseligkeit in Curitiba gehabt haben. Londrina rulz!!!
Nach etwa 1 1/2 Stunden Fahrt gibt der Bus seinen Geist auf. Eigentlich kein schweres Problem, reicht aber, um den Bus eben stillzulegen. Schade eigentlich, hätte ja klappen können, dass wir rechtzeitig in Sao Paulo sind. Nach 4 Stunden kommt endlich der Ersatzbus. Jetzt geht's zurück nach Hause! Back to Sao Paulo!

Geronimo Stade

29.09.2002:
11:30 Uhr Ankunft in Sao Paulo. Wir werden von Curly, Jule und Jules Schwester abgeholt. Endlich mal etwas, was klappt. Wir fühlen uns gleich gut aufgehoben. Alles wird organisiert und wir können uns verständigen. Gott ist groß.
Endlich zu Hause.
Es gibt eine Dusche und ein köstliches Mittagessen von Jules Mutter. Danach werden wir zu einer Musikmesse gefahren. Die größte in Lateinamerika. (Reicht bei weitem nicht an die in Frankfurt heran.) Dort angekommen herrscht noch eine gewisse Unklarheit darüber, was wir hier eigentlich sollen. Spielen ist nicht, oder doch oder doch nicht, niemand weiß Bescheid. Wir werden bei einem Internetprovider oder Portal oder so lange aufgehalten, bekommen T-Shirts und reichlich Bier. Danach haben wir eine Autogrammstunde am Rock Brigade-Stand, es gibt wieder reichlich Bier. Am Stand nebenan gibt Andre Matos (Shaman, Ex-Angra-Sänger) eine Autogrammstunde. Okay, mit seiner Fanschlange können wir nicht ganz mithalten, es kommen aber trotzdem reichlich Fans. Danach gehen wir noch zum Meteorostand und halten uns dort bei Bier und Erdnüssen auf. Es gibt noch eine Fotosession und eine inoffizielle Autogrammstunde. Was wir hier ansonsten noch sollen ist uns auch nicht klar. Egal, die Stimmung ist okay.
Ab und zu treffen wir auf die Jungs von Angra und haben einen kleinen Smalltalk mit ihnen. Sind immer noch ganz nett.
Jetzt ist auch klar, daß wir nicht mehr spielen und wir brechen nach Hause (zu Jule) auf. Dort trinken wir noch ein kleines Bier und beschließen den Abend.

30.09.2002:
Wir schlafen alle aus, so gut es nur geht. Florian und GG geht es gar nicht gut. Florian könnte mit seiner Stimme gut Telefonsex machen. Wir machen uns ein wenig Gedanken darüber, daß es grade die beiden erwischt hat, die kaum Impfschutz haben. Aber Florian und GG sind auch die beiden mit dem schwächsten Immunsystem. Und in Sao Paulo gibt es keine Malaria. Und in Curitiba auch nicht. Glauben wir.
Egal. Heute müssen wir nur die Tickets tauschen. Eigentlich nicht viel. Und eine große Tasche kaufen. Das machen Flo und ich mit Gabi, Caro und Schwester S. Derweil fährt Herbie mit Jule und Dad zum Flughafen. Noch ist die Welt in Ordnung. Noch ...
Als Herbie vom Flughafen wiederkommt, beginnt die Idylle zu bröckeln. Die Tickets waren irgendwie gefälscht und wurden beim Flughafen eingezogen. Wir können von Glück sagen, daß Jule mit Angelvoice auf die Leute von Varig eingeredet hat, sonst hätten sie Herbie auch mit eingezogen. Mal im Ernst, hätten wir versucht, mit diesen Tickets irgendwo einzuchecken, wären wir mit großer Sicherheit im Knast gelandet. Wie beruhigend.
Trotzdem ist jetzt die Kacke am Dampfen. Die Tickets sind weg und wir haben keine Möglichkeit, nach Deutschland zurück zu kommen. Neue Flugtickets kosten 1700 US$. Das Stück. Irgendwer hat hier mächtig was verbockt. Es scheint wie eine Verschwörung zu sein. Uns ist allen nicht so richtig nach Lachen zumute.
Jule setzt alle Hebel in Bewegung um irgendwas zu organisieren. Wir haben ja einen gültigen Vertrag mit Ricardo Borges, der dafür unterschrieben hat, uns nach Brasilien hin und zurück zu bringen. Nur sitzt Ricardo in Goiania und Goiania ist etwa 1000 km weit weg von Sao Paulo. Und irgendwie ist Ricardos Telefon unbesetzt ... Also ist Ricardo anscheinend nicht unsere Möglichkeit, schnell aus Brasilien wegzukommen.
Jedenfalls telefonieren Jule und ihre ganze Familie einen ganzen Tag herum und es ergeben sich einige Neuigkeiten: Irgendein Verwandter von Jule kann Tickets für 600 US$ besorgen. Das ist besser als 1700 US$ ...
Wir werden morgen erst mal Florian nach Hause schicken. Das Schicksal der Band steht noch nicht fest, aber Gott sorgt für seine Kinder ...
Abends gibt es dann erst mal lecker BBQ. Wir laden alle ein und bezahlen im Endeffekt umgerechnet 35 Euro für 10 Personen. Für Steak und Salat und Beilagen und Getränke. Das ist fair. Wir lassen uns überraschen, wie es weitergeht. Unsere Stimmung ist auf jeden Fall wieder besser.

01.10.2002:
Der Tag zieht und zieht sich. Diese Ungewissheit, was kommt ist schon fast unerträglich. Die grundsätzliche Stimmung ist trotzdem ganz gut.
Für Florian ist es aber das Beste, heute nach Hause zu fliegen, denn es hat ihn ganz schön erwischt. Er kann sich kaum auf den Beinen halten. Wie eben meistens, wenn er krank ist. Um 22:45 Uhr geht sein Flug mit der British Airways.

Florian Gottsleben (hier noch auf den Beinen)

02.10. bis 07.10.2002:
Die Tage vergehen im großen und ganzen recht ereignislos. Wir schlagen die Zeit mit den verschiedensten Dingen tot. Das Aufregendste sind die 4 1/2 Stunden bei der Polizei. Die haben in Brasilien eine Polizei, die sich nur mit Touristenangelegenheiten beschäftigt. Nur seltsam, dass dort auch nur Portugiesisch gesprochen wird ... Jedenfalls haben wir dort unsere ganze Geschichte mit den Tickets bekanntgegeben, bzw. haben das Jule und Marcio (von Megahard) gemacht. Wir sitzen derweil in der Lobby und beschäftigten uns mit portugiesischen Motorradzeitschriften und "Ich sehe was, was Du nicht siehst". Jedenfalls soll diese Polizei recht auf Trab sein, weil Brasilien ein Image als Urlaubsland zu verlieren hat. So sind wir also recht zuversichtlich, dass sich jedenfalls irgendwann etwas tut ...

07.10.2002:
Heute ist der Tag des Rückfluges gekommen. Anfangs gibt es noch Probleme mit meiner Visakarte, irgendwie reicht das Geld nur für 2 Flugtickets. Glücklicherweise funktioniert Herbies Visakarte auch. Nach einem wirklich langweilig ereignislosen Tag kommen die Tickets um 18 Uhr. (Wir haben schon nicht mehr damit gerechnet.) Als der berittene Bote dann endlich mit seinem Moped kommt, fällt uns allen ein großer Stein vom Herzen. Wir kommen zurück nach Deutschland. Juhuuu ...
Am Flughafen treffen wir vor den herzzerreißenden Abschiedsszenen noch Andre Matos, der seine Freundin dorthin gebracht hat. Er erzählt uns, dass er Deutschland ein wenig vermisst. Der Mann spricht uns aus der Seele ...
Rückflug nach Deutschland, alles wird gut. KLM ist noch einen Deut besser als Varig ...

Trotz aller Strapazen bereuen wir keinen Tag und kein Ereignis der Tour. Wir sind immer noch der Meinung, die wir die ganze Tour über vertreten haben: Selbst wenn wir wüssten, dass alles genauso passieren würde, wir würden die Tour noch mal machen!
Obrigado Brazil, we will come back to rock you down!






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