www.Crossover-agm.de
Tristania, Rotting Christ, Vintersorg, Madder Mortem, Persecution    07.10.2001     Zwickau, Alarm!
von rls

Ein nominell recht vielversprechendes Package gastierte da in Zwickau, und nachdem ich nach ein paar Goetheschen "Irrungen, Wirrungen" meine Tristania-Story fürs G.U.C. im Kasten hatte, verzog ich mich mit meiner vorsorglich mitgebrachten Lektüre (eine Abhandlung über die Geschichte und Entwicklung der katholischen Pfarreien in der Rhön, niedergeschrieben in den 1960er Jahren) auf ein gemütliches Sofa zwischen Merchandise- und Getränkestand, um die Zeit bis zum Showbeginn sinnvoll zuzubringen. Die Füllquote des Alarm! war an diesem Abend recht beachtlich, der Fußboden nicht so fürchterlich kalt wie bei King Diamond im April und die Hitze bei weitem nicht so groß wie bei Mortification im Juni - gute Voraussetzungen also für einen gelungenen Konzertabend, sollte man meinen.
Eigentlich hätten Finntroll als fünfte Combo auftreten sollen, aber die waren zu Hause geblieben, weil ihr Sänger seine Stimme verloren hatte. So kamen Persecution aus Stollberg zu der Gelegenheit, dem zielgruppenmäßig durchaus passenden Publikum fünf Songs respektive eine halbe Stunde ihres Schaffens präsentieren zu können. "Gothic Death Metal" steht als Stilbeschreibung auf der Homepage der Jungs, aber das trifft meines Erachtens nur einen Teil der Wahrheit. Eine lustige Mixtur aus Crematory, Dimmu Borgir und ein paar Spritzern Vintersorg wanderte da in mein Ohr, die streckenweise noch nicht so richtig ausgereift wirkte, da man sich bisweilen fragte, warum auf genau diesen Part genau jener folgen mußte - soll heißen, das Material erschien streckenweise nicht richtig durcharrangiert (was angesichts einer durchschnittlichen Songlänge von sechs Minuten giftig ist), wenn auch die einzelnen Passagen streckenweise sehr ordentlich umgesetzt waren. Vor allem die schönen Melodyleads, z.B. in "Boiling Blood", ließen Potential erkennen (das ist doppelsinnig zu verstehen, denn der Sound war bei Persecution nicht ideal, aber doch gut genug, daß nur wenige Feinheiten verlorengingen). Die Band wurde letztlich anständig beklatscht und machte insgesamt einen durchaus entwicklungsfähigen Eindruck.
Den letzten Satz kann man sinngemäß auch auf Madder Mortem übertragen - nur ist dies keine Nachwuchsband aus dem Erzgebirge, sondern eine erfahrene Combo aus Norwegen mit mehreren Platten auf Century Media, und damit bekommt die Aussage doch einen anderen Beigeschmack. So richtig stark waren Madder Mortem eigentlich nur, wenn sie eine fette Doom-Kelle auspackten (trotz passagenweise eingesetztem rohem Gebrüll der Saitenfront wurde die Crowbar-Kategorie allerdings verfehlt, aber in diese Richtung wollten Madder Mortem wohl auch gar nicht), wohingegen die eher Gothic-lastigen Passagen eher langatmigen und aufgesetzten Charakter besaßen. Vielleicht hätte intensive Kenntnis des Songmaterials hier geholfen, aber darüber verfügte wohl kaum jemand im Saal. Der Band sei allerdings geraten, an ihrer Harmonieausprägung zu feilen, denn mitunter zeichneten sich der Gesang des Frontfräuleins und die daruntergelegten Gitarrenmelodien durch arg differierendes harmonisches Verständnis aus. Madder Mortem gaben sich bei immer noch gutem Sound eine reichliche halbe Stunde lang große Mühe, aber so richtig böse war niemand, als sie die Bühne wieder verließen, denn ...
... viele schienen speziell auf Vintersorg zu warten, und auch ich war im Vorfeld recht gespannt auf die schwedische Formation, obwohl ich keinen einzigen Longplayer von ihr besitze. Eine Dreiviertelstunde später war ich um eine derbe Enttäuschung reicher. Daran trug zunächst der Soundmensch eine Mitschuld, der es fertigbrachte, die Drums derart laut zu drehen, daß sie bei intensiverem Einsatz speziell der Doublebassfraktion alles andere übertönten und auch ruhigere Passagen unnatürlich dominierten. Unnatürlich ist ein gutes Stichwort, denn ich war mir sicher, daß die Drums vom Band kamen, so steril, klinisch und eben unnatürlich klangen sie. Von daher überraschte es mich, als ich bei genauerer Inspektion der nur vorn belichteten Bühne hinter dem Drumkit doch ein menschliches Wesen entdeckte, das so tat, als ob es spielte. Auch einige andere Komponenten kamen offenbar vom Band und nicht von der Band (so fielen mir Passagen eines Gitarrensolos auf, während deren Erklingens beide Gitarristen definitiv was anderes griffen). Generell ist die Musik von Vintersorg mit dem Begriff Viking Metal wohl nicht falsch belegt, aber in dem undifferenzierten Brei, der aus den Boxen drang, Viking Metal zu identifizieren, war schon nicht ganz einfach. Zudem offenbarte Herr Hetfield, äh, Hedlund am Frontmikro doch etliche Schwächen, die klaren Gesangsmelodien zu halten, und generell wirkte die Band eher müde und gelangweilt, jedenfalls statisch und wenig engagiert. Die Interpretation von Uriah Heeps Oldie "Rainbow Demon" muß unter den Begleitumständen als Vergewaltigung bezeichnet werden (das prägende Keyboardthema war allenfalls zu erahnen), obwohl ich von dem Ding gerne mal 'ne Studioversion hören würde, da das, was nach Abzug von Drums und Vocals noch vom Soundberg übrigblieb, doch einen ganz annehmbaren Eindruck machte. Diese Wertung kann man getrost auf den gesamten Vintersorg-Gig anwenden - wenn man nicht gerade zu den weit über 50% des Publikums gehörte, die das offenbar anders sahen, die Band von vorn bis hinten abfeierten und sich enttäuscht zeigten, daß dem Rausschmeißer "Till Fjälls" keine Zugabe folgte.
Die Griechen Rotting Christ litten generell unter ähnlichen Problemen wie Vintersorg, machten aber durch engagiertes Stageacting deutlich, daß ihnen der Auftritt gleichermaßen wichtig war wie Spaß machte, falls man das Wort Spaß bei einer solchen Truppe überhaupt in den Mund nehmen darf. Mit dem bitterbösen Black Metal der Anfangstage, aus denen die Band auch ihren pubertären Namen mitschleppt, hatten die letzten Platten zwar größtenteils nicht mehr allzuviel zu tun, aber live ließ man es sich nicht nehmen, bisweilen den Knüppel aus dem Sack zu holen, und agierte somit recht abwechslungsreich zwischen den Polen "einige wilde Prügelpassagen" und "recht einfach gestrickter Düstermetal", wobei ein paar Parallelen zu den Schweizern Alastis nicht zu verkennen waren. Mit dem Melodiehalten hatte der Sänger keine Probleme - Melodien, die er hätte halten können, gab es in seinem auf die Dauer recht monotonen Gekrächze einfach nicht. Wundersamerweise hatten Rotting Christ zwar einen komplett anderen Drumsound (der klinische Touch von Vintersorg war wie weggeblasen, was meine Vermutung des massiven Computereinsatzes bei letztgenannten nur noch unterstreicht), nur war der genauso laut, feinheitenverschluckend und allgemein übertönend wie der von ihren Vorgängern. Schlußendlich bleibt für Rotting Christ das gleiche Urteil wie für Madder Mortem: sie gaben sich Mühe, aber wohl kaum jemand war böse, als sie wieder gingen, denn ...
... Tristania stellten den unbestrittenen Headliner dieses Abends dar. Trotzdem war ich nach zwei Songs kurz davor, mit Tränen in den Augen die Halle zu verlassen, nicht ohne vorher dem Soundmenschen eine Freikarte für einen Weiterbildungskurs geschenkt zu haben. Das Desaster von Vintersorg und Rotting Christ setzte sich nahtlos fort - nur mit größter Mühe konnte man im Drumgewitter erahnen, daß Tristania mit "The Shining Path" eröffneten. Irgendwie wurden meine Stoßgebete aber doch erhört, und ab Song drei, "Beyond The Veil", tönte urplötzlich ein ausbalancierter Sound aus den Boxen, in dem die Drums zwar immer noch breiten Raum einnahmen, aber sich nicht mehr entscheidend nach vorn drängelten - ein bißchen mehr Gitarre noch, und alles wäre in schönster Ordnung gewesen. Apropos Gitarre: Tristania traten tatsächlich zum Septett erweitert auf - aber nicht mit einem neuen Sänger und einem neuen zweiten Gitarristen, wie ich irgendwo gelesen hatte, sondern statt dessen mit gleich zwei neuen Sängern (so daß Anders Hoyvik Hidle allein an der Sechssaitenfront agierte). Offenbar war die gesangliche Vielfalt, die die Gastsänger Ronny Thorsen, Osten Bergoy und Jan Kenneth Barkved auf der neuen CD "World Of Glass" vorgegeben hatten, für den Neuling Kjetil Ingebrechtsen doch zu groß gewesen, weshalb er sich auf die rauhen Parts konzentrierte und den dunklen Klargesang einer weiteren Verstärkung namens Thorben (oder so ähnlich) überließ. Und das stellte sich als eine perfekte Lösung heraus, zumal es ja da auch noch Goldkehlchen Vibeke Stene gab. Wer mit ihrer neuen Optik noch nicht vertraut war, mußte zwar mehrmals hinsehen, um sie wiederzuerkennen (mit ihren blondierten Haaren sieht sie ungelogen aus wie eine Chimäre zwischen Norwegens Königin in spe Metal Marit, ähem, Mette Marit und der Solotrompeterin des Gustav-Mahler-Jugendorchesters Luzern, was generell ihrer Schönheit keinerlei Abbruch tut, ihr aber etwas das mystische Charisma raubt). Wie sie sich gesanglich trotz einiger heftiger Hustenanfälle durch ihre wahrlich nicht anspruchslosen Parts kämpfte, ohne dabei entscheidend Höhen zu kappen (außer am Anfang von "Evenfall", aber das macht sie dort schon seit der ersten Tour anno 1998 so), verdient allerdings absolute Hochachtung. Der Set selbst mixte klug Material aller drei Alben, wobei mir persönlich die Debüttracks immer noch am aller-allerbesten gefallen (es waren wie gewohnt "Evenfall" und "My Lost Lenore"). Allerdings entpuppte sich von der neuen CD vor allem "Tender Trip On Earth" als diesen ebenbürtiger Kandidat für die "Live-Unverzichtbar"-Liste. Stürmische "Zugabe"-Forderungen begleiteten Tristania nach über einer Stunde feinsten Gothic Metals in die Kabinen, und als sie diesen wieder entstiegen, erklang ein mir wohlbekanntes Intro, eines, dessen zugehöriger Song schon ewig auf meiner Live-Wunschliste steht, von dem ich aber nicht geglaubt hätte, ihn jemals zu hören zu bekommen: "ANGELLORE", außergewöhnlichster Track des "Widow's Weeds"-Debüts, wurde in einer berauschenden Fassung interpretiert, und den Refrain konnte ich (mit einer ganz bestimmten "Angellore" im Hinterkopf) nur noch andächtig vor mich hinmurmeln. Daß ich das noch erleben durfte! Ohne Tristania wäre dies insgesamt wohl einer der schwächsten Gigs des Jahres geworden (Finntroll hätte ich bei Vintersorgschen Soundverhältnissen gar nicht hören wollen), aber Vibeke und ihre Gang holten wie schon anno 1998 auf der Haggard-Tour die Kastanien aus dem Feuer. Exzellent!
 






www.Crossover-agm.de
© by CrossOver