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Liedertour    17.06.2001    Rauschwitz bei Eisenberg, Evangelische Kirche
von Thomas Perlick

Liedertour hält mühelos die Zeit an
In Rauschwitzer Kirche am Sonntagabend Liedermacher zu Gast

„Bevor es die große Uhr gab, wurde die Zeit ... am Herzschlag gemessen, an den Rhythmen der Schläfrigkeit und des Schlafes, der Wiederkehr des Hungers und der Dauer der Einsamkeit.“ (Alan Lightman)
Und heute? An der Terminhatz unserer Kalender? An der Anfangszeit von Fernsehsendungen? An der Käuflichkeit von Zielen in der Währung von „Kilometern pro Stunde“? Was hilft uns, der Peitsche des Treibers zu entkommen, die uns durch unsere Zeitmangeltage jagt? Und wer?
Musik zuallererst. Und Liedermacher insbesondere: Wer konnte sich ihnen entziehen, - diesen Zaubermeistern! Mühelos greifen ihre Klangdichtungen in das Räderwerk der Zeit. Sicher, die Kirchturmuhr in Rauschwitz hörte nicht einfach auf zu schlagen, als die Lieder(macher)tour am Sonntagabend Station hier machte. Aber man hat die Kirchturmuhr einfach nicht mehr gehört. Die große Stille war plötzlich da, in der die bunten Träume wachsen. Ob nun Birr/Günther mit ihrem traumhaft schönen „Sing ein Lied für mich“ oder der eremitenhafte Bänkelsänger Stutzki mit seinen wunderlich berührenden mittelhochdeutschen Gesängen, ebenso von einer schönen Flötistin motiviert und unterstützt wie Reiprich bei seinen dichten Mörike-Liedern. Schließlich Mengs, der Lokalmatador, mit dem Kultschlager „Handykiller“, und dann noch einmal Birr, der verwandlungsfähige Mime mit dem behutsamen Pianisten Mareck - die Magier waren herniedergekommen, die Zeit in Träume zu verwandeln. Der Beifall am Ende war lang und kam vor allem aus dankbarsten Seelenkämmerchen, die mancher vielleicht gerade erst wiederentdeckt hatte.
Schüchtern schließlich die Bitte um Fortsetzung im nächsten Jahr und laut die Zusage. Das Vergnügen war ein beiderseitiges. Der Stolz auch, der Zeit, dem Ruderführer im großen Sklavenschiff, ein Schnippchen geschlagen zu haben. „Wie wenig gehört zum Glück! Der Ton eines Dudelsacks, die Stimme des Sängers. Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum“, schreibt Nietzsche. Für 90 Minuten entkamen wir dem gefräßigen Reißwolf unseres Lebens und entdeckten plötzlich Ausgänge aus dem Labyrinth unserer Irrtümer. Oder, wie es Christoph Dieckmann so unübertreffbar formuliert: „Wir fanden das wahre Leben im falschen“.

Dieser Artikel ist am 19.06.2001 in der Ostthüringer Zeitung erschienen. Feedback an den Autor: c/o Pfarramt Heinspitz, Kirchstraße 11, 07607 Heinspitz, Telefon: 036691/52158
 
 




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