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Wolfram Fricke & Frank Oberhof
von rls anno 1998

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CD-Release-Partys sind ja nix Außergewöhnliches. Die am 16.05.1998 in der „Scheune“ in Leipzig-Stötteritz stattgefunden habende besaß trotzdem eigenständiges Flair. Fricke und Oberhof hatten sich eine ganze Latte alter und neuer musikalischer Weggefährten eingeladen, von denen einige (als „Vorbands“ gewissermaßen) sich auch auf der Bühne reproduzierten. Irgendwie hatte man das Gefühl, auf einer Feierlichkeit einer Großfamilie (mit den Familienoberhäuptern Fricke und Oberhof) zu sein, was die an meinem Tisch sitzenden Jurastudenten zu der Bemerkung hinriß, sie seien offenbar die einzigen anwesenden Nicht-Familienmitglieder ...

Anyway, um kurz nach neun legte Wolfram Fricke los und spielte den Titelsong der den Anlaß begründenden CD, „Irgendwann“ - und zwar unverstärkt, da irgendjemand vergessen hatte, den Stecker der Mikroanlage in eine Steckdose zu schieben. Im Saal war es mucksmäuschenstill - normalerweise ein Indiz für mangelnde Qualität der Darbietung, hier aber den Umständen geschuldet, da jeder etwas verstehen wollte; eine eigentümliche Situation! Als dann jemand die Mikros unter Strom stellte (und anfangs barbarische Rückkopplungen hervorrief), konnte es richtig losgehen.

Der erste Gast war der Leipziger Carsten Stutzki, der zuvor drei Jahre lang nicht live gespielt hatte. Während des Genusses seines Vortrages war man aber eher versucht zu glauben, es müßten 700 Jahre Pause gewesen sein, so mittelalterlich klangen die drei mittels eines mandolinenartigen Instruments untermalten Songs, die zu allem Überfluß auch noch in Mittelhochdeutsch gesungen wurden. Mittelalter-Trend hin, Mittelalter-Trend her - Stutzkis Songs wissen jenseits aller Strömungen zu bestehen.

Seltene Besetzungen, die erste: Das Gitarristen-Duo Reiprich & Pötsch wurde diesmal von Frank Oberhof an den Tasten und Manuel Frühauf an den Percussioninstrumenten unterstützt. Dies ergab einen recht vollen Sound, und auch diese Herren wußten qualitativ zu überzeugen.

Seltene Besetzungen, die zweite: Manuel Frühauf wechselte an sein eigentliches Instrument, die Gitarre, und unterstützte Michael Günther aus Berlin (aus Berlin!). Keine Ahnung, was letzterer vor dem Auftritt geraucht hatte, jedenfalls vergaß er gleich beim ersten Song zeilenweise die Texte. Allerdings hatte er auch den mit Abstand kultigsten Song des ganzen Abends im Programm, der wahre Lachstürme an meinem Tisch hervorrief: „Der Phlegmatiker“ hieß dieses unglaubliche Teil, thematisierte Freud und Leid eines ebensolchen und klang auch genau seinem Titel entsprechend: SEEEEEEEHR LAAAAAAAAANGSAAAAAAAAAAM anfangend und nur unwesentlich schneller weitergehend, den Künstler stets kurz vor dem Einschlafen wähnend und mit der Energie von Rudolf Scharping nach den ersten zwei Stunden einer Bundestagsrede vorgetragen. Liedermacher-Doom par excellance! Hinter einem solchen Highlight mußten die anderen Songs logischerweise etwas blaß aussehen.

Seltene Besetzungen, die dritte: Auch Christian Schmied nahm die unterstützenden Gitarrenkünste von Manuel Frühauf in Anspruch. In ausgedehnten, wilden Soloparts konnte letzterer seine Fähigkeiten richtig unter Beweis stellen. Vor allem aber hatten es Schmieds Texte in sich: Sie ließen in puncto emotionaler Morbidität selbst die von Reiprich & Pötsch vertonten pränuklearen Trakl-Texte weit hinter sich. Meiner hübschen Nachbarin gefiel Schmieds Auftritt mit Abstand am besten, was ich einfach mal unkommentiert stehenlasse ...

Seltene Besetzungen, die vierte: The Butlers sind vielleicht den älteren Semestern noch als Vorläuferband der legendären Klaus Renft Combo bekannt. Nun gibt es sie wieder, allerdings mit bedeutend verjüngter Besetzung, und da selbst die nicht komplett anwesend war, gab’s einen Unplugged-Auftritt. Sicherlich, richtig schlecht war’s nicht, was die Herren da vom Stapel ließen, aber das Gepose des Keyboarders wirkte nicht lustig, sondern einfach nur dumm, die eigenen Songs erreichten längst nicht die Qualität der gecoverten Songs von Crosby, Stills, Nash & Young, und jene dürften sich ob des streckenweise arg schiefen dreistimmigen Gesangs wohl im Grabe herumgedreht haben. Tip an The Butlers: Bei Gelegenheit mal ein paar alte Scheiben von Queen, Styx oder Yes (oder ‘ne neuere von Blind Guardian) durchhören - die hatten/haben die mehrstimmigen Sachen nämlich perfekt drauf und konnten/können auch noch richtig gute Songs schreiben.

Tja, und dann kam das, worauf alle gewartet hatten: Wolfram Fricke und Frank Oberhof zelebrierten eine ganze Reihe Songs der neuen Scheibe. Mal (oft) zerbrechlich, mal (selten) härter klopfend, deckten diese das ganze Spektrum der Liedermachermucke ab und gewannen durch Frickes eigenartige Stimme einen hohen Wiedererkennungsfaktor. Qualitativ gab’s nichts zu meckern, und tosender Beifall belohnte Fricke und Oberhof für ihren Auftritt.

Hernach schnappte ich mir Frank Oberhof noch für ein kleines Interview:

Frank Oberhof

Zufrieden mit dem heutigen Abend?

„Das ist schwer zu sagen, weil es hier weniger darum ging, zufrieden zu sein. Die CD ist ja so eine Art Abschluß der Arbeit von Wolfram und mir für eine ganz gewisse Zeit, und man braucht einfach so’n Konzert, um die CD an den Mann zu bringen. Außerdem haben wir die Möglichkeit genutzt, ein paar Weggefährten mit dabeizuhaben; Leute, die uns wirklich wichtig sind. Dafür ist der Abend sehr, sehr gut gewesen. Was indes das Künstlerische angeht, ist das schwer zu sagen, denn wenn man selber viel Zeit auf der Bühne verbringt, hört man’s sowieso anders, und wenn man im Publikum sitzt, ist man voreingenommen - man wartet bzw. achtet auf bestimmte Sachen ... Aber wenn ich die Resonanz von den Leuten nehme, mit denen ich bisher gesprochen habe, dann war es ein guter Abend. Der Riesenaufwand hat sich gelohnt.“

Wie sieht die Geschichte eurer Zusammenarbeit aus?

„Wir kennen uns jetzt seit 1987. Wolfram ist Student der Tiermedizin gewesen, und ich spielte damals bei Kaktus (legendäre Ex-Band unseres Ex-Chefredakteurs - Anm. rls). Musikalisch über den Weg gelaufen sind wir uns bei einer Veranstaltungsreihe namens ´Talentestudio´ im Romanushaus in Leipzig, und Kaktus hatte seinerzeit auch eine Veranstaltungsreihe, wo wir uns viermal im Jahr Gäste eingeladen haben. Wolfram war dann einer, den wir zu so einer Veranstaltung einluden, und seither war auch der persönliche Kontakt da. 1991 begann dann die Liedertour, wo Wolfram als Mitmusiker dabei war. 1993 war es mit Kaktus dann vorbei, und Wolfram war der erste, der sich bei mir gemeldet hat und gesagt hat: ´Los, wir machen was zusammen!´ Ein halbes Jahr später hat das dann auch angefangen. Allerdings ist es nicht so, daß das nun so ein richtiges festes Projekt war, weil Wolfram das durch seine damalige Ausbildung und heutige Arbeit wirklich nur nebenbei macht. Er macht das auch nicht wegen der Konzerte, sondern in erster Linie für sich und für die Leute, die’s hören wollen. Und genau die Leute sind heute dagewesen. Mit Wolfram verbindet mich auch eher eine persönliche Freundschaft, als daß die Musik im Vordergrund steht. Die ist dann eher Mittel zum Zweck.“

Hast du auf Wolframs erstem Tape „Begegnungen“ auch schon mitgewirkt?

„Nein. Da war er richtig solo aktiv. Das Tape hat er übrigens bei Frank Bucher in Hormersdorf aufgenommen, allerdings noch in dem ersten Studio, mit dem Frank damals angefangen hat.“

Ist die CD auch in Hormersdorf eingespielt worden?

„Ja. Das ist eben auch ein ganz persönliches Verhältnis zwischen Frank und Wolfram. Wir waren dort in guten Händen.“

Wenn du einen Spruch finden müßtest, mit dem du die Scheibe jemandem anpreist - wie sähe der aus?

„Im Pressetext haben wir geschrieben: ´Eine ganz private Bilanz in Liedern und Geschichten´. Die CD ist genau so, wie Wolfram auf der Bühne zu erleben war: genauso echt, genauso sparsam, genauso in sich gekehrt, genauso persönlich - eben eine ganz persönliche Sache. Mit Sicherheit nicht jedermanns Sache, aber ... Bei Wolfram ist das ja auch auf Konzerten so: Wenn er irgendwie versuchen würde, anders zu sein, irgendwie kommerzieller oder lauter, dann wäre er nicht mehr er selbst. Und das ist sicher das, was die CD dann auch ausmacht.“

Das Stichwort „sparsam“ ist ja eben schon gefallen. Welchen Stellenwert hat eigentlich die Instrumentalbegleitung bei euch? Keinen allzu hohen, nehme ich mal an ...

„Mit Sicherheit. Es ist beim Chanson nun mal so, daß der Text, der Inhalt das Wichtigste ist, und die Musik ist tatsächlich untergeordnet. Sicher spielen da auch andere Faktoren eine Rolle: eigene Fähigkeiten, technischer Aufwand usw. In dem Rahmen bewegen sich sowohl das Konzert als auch die CD. Es gibt aber auch das andere Beispiel wie die CD von Christian Schmied, die es wirklich in sich hat. Da muß man eben eine persönliche Einstellung finden, ob man das so haben will, und bei uns hat sich halt diese Sparsamkeit ergeben. Es lief einfach alles so zusammen.“

Welche Definition hättest du für den Begriff Liedermacher in petto?

„Eigentlich genau so, wie es das Wort sagt: Lieder selbermachen. Stilistisch ist da alles möglich, wie man’s heute abend ja erlebt hat. Dieses Spektrum ist sicherlich auch das Besondere an diesem Konzert gewesen. Hauptpunkt bleibt also das Liederselbermachen, das Dinge-in-Text-verarbeiten, und die Musik ist dann praktisch das Transportmittel.“

Die alten Bundesländer stehen in dem Ruf, liedermachertechnisch eher eine Art Ödnis zu sein. Was habt ihr für Erfahrungen gemacht?

„Wenn wir jeden Sommer auf Liedertour gehen, dann ist immer die Hälfte der Konzerte im Westen. Die ersten Jahre nach der Wende hat es die Leute in den alten Bundesländern tatsächlich gezogen, einfach durch das ´Exotische´, wie man an die Dinge herangegangen ist oder wie man Inhalte verarbeitet. Dieses Interesse hat natürlich etwas nachgelassen. Man muß nun schon etwas ´außer der Reihe´ sein, um die Leute dort zu überzeugen. Insgesamt gesehen gibt es vom Interesse oder von der Art des Publikums her keinen Unterschied mehr zwischen Ost und West. Im Osten war das Interesse an solchen Problemen nach der Wende ja erstmal völlig weg, aber seit etwa zwei Jahren ist das wieder anders. Es nimmt sich eben nichts mehr.“

Wie sehen die weiteren Pläne aus?

„Also, die Pause beim Wolfram ist fest geplant, und wir haben auch offiziell ein letztes Konzert gegeben, wo es einen richtigen Rückblick gab, um seine Entwicklung nochmal nachzuzeichnen. Für heute gab es nur den Anlaß des CD-Releases. Die Scheibe ist ja vorige Woche erst aus dem Werk gekommen. Die diesjährige Liedertour wird ohne Wolfram stattfinden. Am zweiten Adventssonntag werden wir uns in Schwarzenberg treffen, im großen und ganzen mit den Leuten, die auch heute abend da waren; dazu kommen noch Hilmar Griesbach und Thomas Günther. Da wird es zwar auch ein Konzert geben, aber es geht hauptsächlich ums Wiedersehen, besonders mit Hilmar, der ja nach Hamburg gegangen ist. Wolfram hat mir neulich gesagt, daß er zum Kirchentag in Stuttgart wieder bei der Liedertour einsteigen wird.“

Wo bekommt man die CD?

„Eigentlich gar nicht. Es ist eine sehr limitierte Auflage von 299 Stück. Ich weiß nicht, wie viele heute abend hier weggegangen sind. Es gibt auch noch ein paar Bestellungen, ansonsten läuft alles über Eigenvertrieb. Man muß sich also an Wolfram selber wenden (W. Fricke, Alte Annaberger Str. 58, 08340 Schwarzenberg). Im Laden gibt’s das Teil nicht.“

And now for something completely different: Vielleicht ein kleines Statement zu Guildo?

„Toll. Das ist ja auch ein Liedermacher ...“

Abschlußfrage: Habt ihr bzw. hast du eigentlich schon mal in Oberhof gespielt?

„Wo ist Oberhof gleich? In Thüringen ... Nee, haben wir noch nicht. Aber mein Name spielt ja eigentlich wirklich ´ne untergeordnete Rolle. Das war heute auch eigentlich nicht so beabsichtigt, daß ich ständig da vorne stehe, aber Wolfram liegt das nun mal nicht, durch so einen Abend zu führen. Er hat da genug mit sich selbst zu tun. Mein Name ist eigentlich gar nicht so wichtig ...









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