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YES SIR BOSS: Desperation State
von rls

YES SIR BOSS: Desperation State   (Stone'd Records)

Die sechs Bandmitglieder schauen auf dem Cover aus horizontal aufgestapelten bzw. geöffneten Pappkisten heraus, einer hält ein Megaphon in der Hand, und ein anderer gießt von weit oben Rotwein ins Glas eines dritten, wobei die Flüssigkeit zugleich den einzigen von der Pastell-Schwarz-Kombination abweichenden Farbton markiert. Auf dem Backcover, das die gleiche Szenerie von der Rückseite zeigt, bemerkt man dann noch, daß der Rotweinspender Rollschuhe an den Füßen hat. Außerdem heißt das Label Stone'd Records. Soweit alles klar? Vermutlich nicht - zumal nicht, wenn man weiß, daß das Label der Sängerin Joss Stone gehört, ergo nicht zwingend ein Zusammenhang mit Rauchwaren bestehen muß. Besagte Dame ist in "Mrs # 1" auch als Gastsängerin vertreten, aber bevor man sich weiter in theoretischen Überlegungen verliert, wirft man die CD lieber in den Player - und bekommt durchaus andere Musik zu hören, als man anhand der bisherigen Beschreibung vermutet haben könnte. Yes Sir Boss werden als Ska-Punk vermarktet, auch die sinngemäße Beschreibung "Reggae mit Eiern" kommt vor, aber diese Einschätzungen lassen den unverkennbaren Balkanbeat-Einfluß außen vor, der sich unter anderem in einer für das Ska-Genre unüblichen melancholischen Note niederschlägt. Schon der eröffnende Titelsong verbleibt im Midtempo und wird zur großen und eingängigen, aber eben auch latent traurigen Hymne, und es dauert bis zum in der Albummitte angesiedelten "Never Know", bis Drummer Reuben Nimmo das Tempo mal etwas höher schraubt (es soll auch das letzte Mal bleiben), während das unmittelbar vorgelagerte "Mr Happy" offensichtlich ironisch gemeint ist, da ihm noch ein :-(-Negativsmilie beigefügt wurde. Trotzdem dürfte das Material live durchaus zum Schwingen des Tanzbeins animieren, und möglicherweise ist das Sextett sogar eine willkommene Abwechslung zu all den Spaßkanonen der Szene mit ihren Highspeed-Zappelexzessen. "My My" gerät gar zur düsteren Ballade mit uralten Barpiano-Klängen, die stimmungsmäßig irgendwie an Nightwishs "Slow Love Slow" erinnern, allerdings mit deutlich reduziertem Romantikpotential. Eine direkte Einflußlinie dürfte indes eher unwahrscheinlich sein, wenngleich der harte Bombastpart in "Not Guilty" bereits angedeutet hat, daß Yes Sir Boss auch Hörerfahrungen in hart rockenden Gefilden aufweisen dürften - und dann gibt es auch noch diese epischen Gitarrensoli wie im Finale von "My My", die auch Molly Hatchet oder Led Zeppelin gut zu Gesicht gestanden hätten. Aber darauf folgt als Intro von "Till You Get Yours" dann gleich wieder ein Bläsersatz mit in diesem Falle ziemlich deutlicher osteuropäischer Schlagseite, obwohl von den beiden Bläsern nur Jehan Abdel-Malak einen Migrationshintergrund aufweisen dürfte, außerdem vermutlich keinen osteuropäischen. Zusammen mit Tom First sorgt sie (jawohl, Jehan ist weiblich) auch noch für weitergehende Klangfarbtupfer - die Instrumentenliste der beiden liest sich wie folgt: Trompete, Flügelhorn, Klavier, Orgel, Keyboard (First), Tenor- und Sopransaxophon, Melodika, Glockenspiel, Orgel (Abdel-Malak). Und um den Bläsersatz zu komplettieren, gastieren mit Toby Riches auch noch ein Posaunist und mit Nick Bailey ein Baritonsaxophonist. Trotzdem gibt es viele Momente, in denen lediglich die vierköpfige Rockbesetzung dominiert, angeführt von Sänger/Gitarrist/Hauptkomponist Matthew Sellors, dessen Stimme irgendwie nach einer Mixtur aus Chris Isaak, Phil Collins und Conrad Keely klingt. Unterhaltungswert haben die reichlich 42 Minuten des Debütalbums von Yes Sir Boss sicherlich, gut produziert ist die Scheibe auch, aber die Livequalitäten dürften die der Tonkonserve noch übertreffen - vielleicht sind die Bristoler auch wegen schlechter Verkaufszahlen dieses Werkes ihren Deal bei Stone'd Records wieder losgeworden und mußten ihr nächstes, bisher aktuellstes Album "King In A Rocking Chair" in Eigenregie (und ohne Zweitgitarrist Luke Potter) herausbringen, das dem Rezensenten bisher aber noch nicht vorliegt. Wer die Verkäufe des Debüts noch ein bißchen erhöhen will und auf die beschriebene Mixtur aus westlicher und östlicher tanzkompatibler Musik ohne Ekstasefaktor zu stehen glaubt, der macht mit dem wieder einmal mit einer melancholischen Halbballade ("Lose No More") abgeschlossenen "Desperation State" nichts falsch.
Kontakt: www.yessirboss.com, www.stoned-records.com, www.membran.net

Tracklist:
Desperation State
The Situation
Not Guilty
Pretty Thing
Mr Happy
Never Know
My My
Till You Get Yours
Na Na Ooh
Mrs # 1
Lose No More



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