www.Crossover-agm.de V.A.: Siberian X-Treme II
von ta

V.A.: Siberian X-Treme II   (Eigenproduktion)

Was für ein Spaß! Der "Siberian X-Treme II"-Sampler macht es einem als Hörer nicht unbedingt leicht, dafür bietet er 80 Minuten beste Unterhaltung, sicher nicht immer freiwillig, aber substanzieller Natur. Da bei sibirischen Bands offenbar mehr Identitätsdrang herrscht als etwa in Schweden, fallen die Ergebnisse dieses Samplers relativ verschiedenartig aus, so dass im Folgenden jeder Song einzeln besprochen werden soll:
1) Skorzeny zerren in "Illusions" erstmal alle Nervenfasern einzeln aus dem brachliegenden Hirn: Ein Sänger kreischt ganz unangenehme Eintonmelodien am Bratenspieß, während der Keyboarder Technosynths über das Atrocity-Groove-Leitriff legt. Nicht einfach zu konsumieren, als Einstieg schon eine Herausforderung.
2) Murder Delirium sind vollkommen cool. "Prisoner Of The Northern Jail" bietet wirklich ungezwungenen, technischen, garstigen und abwechslungsreichen Death Metal mit ordentlichen Blasts, Röchelgesang und unerwarteten Melodiekeyboards aus der Prog-Ecke. Extravagant. Sechs Minuten lang.
3) Da können Werwolf mit "To The Grasse" eigentlich nur verlieren und die würden auch ohne ihren Keyboarder, der den etwas eindimensionalen Death Metal des Trupps mit atmosphärischen Klängen auflockert (toller Solopart in der Mitte!), dumm dastehen, retten sich aber so noch ins Mittelfeld.
4) Dumpfen Sockensound aus Polterdrums und Waschmaschinengitarren haben Morior auf "Ghastly Kings Arrival" neben Old School Death mit eher lauen Riffs zu bieten. Ganz OK, aber auf sechs Minuten verteilt dann doch zu lang.
5) Mit spannungsreichen Harmoniewechseln und einigen Schrägheiten in der melodischen Gestaltung machen Harmony In Grotesque im sechsminütigen "Terra Incognita" ihrem Namen alle Ehre und erzeugen eine beklemmende Atmosphäre, die nur durch die Proberaumproduktion ihrer Kraft beraubt wird. Was hier mit einem ordentlichen Budget für majestätischer Death-Black-Metal herauskommen könnte! So gehen die melodischen Riffs und treibenden Schlagzeugrhythmen im Soundbrei unter wie die Wurststückchen in der Suppe.
6) Noch ein weiteres Mal vertreten sind Skorzeny, die sich auf "As I Die" für anstrengenden Industrialsound entschieden haben. Zum ohnehin strapazierenden Sänger gesellen sich noch tiefes Gebrummel und ein hallbesetztes Monotonschlagzeug aus der Klinik, die Gitarrenverstärker waren gerade kaputt. How!
7) Dalines "Otraschenije" ist ein großer Tusch. Hier wird versucht, Rammstein auf Russisch zu kopieren. Leider kommt der Sänger nicht so tief nach unten wie Till Lindemann, auch wenn er das "R" noch so schön rrrrrrollt, außerdem kann der Gitarrist nur ein Riff spielen, aber allein der hymnische Refrain ist eine einzige Gaukelei. Rammstein können einpacken.
8) Bastion Sudbij sind in "Schisn" mitnichten spannend, versuchen offenbar, russische Volksmusik mit Metalgitarren und Keyboards zu koppeln, zerstören damit jedoch sowohl den Effekt der einen wie der anderen Sparte und gehen mir nur mächtig auf die Klöten. Obwohl: Der jazzige Ausklang ist dann doch noch recht gelungen.
9) Mächtig für "Fury" sorgt der Gitarrist Andrei Glewow: Zum Einen, weil der Sound der Rhythmusgitarre übles Gewurstel durch die Boxen schickt, zum anderen, weil die ersten vier Minuten erstmal Malmsteen-like ohne Sänger und ohne Pause durchgefrickelt werden; jedesmal, wenn sich ein Ruhepol ankündigt, geht der ganze Mist wieder von vorne los. Das braucht doch wirklich kein Mensch! Danke auch. Immerhin verrät das akustische Ende, dass auch der Mastermind weiß, dass Musik anders funktioniert.
10) Terminalnije Sostojanija ("Comes With The Fall") haben sich den Drumcomputer und den Keyboarder von Werwolf geliehen und bieten atmosphärischen, gitarristisch angefriemelten Instrumentalmetal. Inmitten dieses Samplers aus wüstem Geschrei und nacktem Terror sorgen allerdings die Harfensounds (!!!) des Keyboards, mit Sprechsamples unterlegt, schlussendlich für vollkommene emotionale Verwirrung ...
11) ... die mit "Hunger" sogleich kompensiert wird. Obsessed By Seth haben ihre Gitarren auf Mortician gestimmt und klingen ansonsten wie Deicide, d.h.: technischer US-Death mit derbem Geröchel und fieser Brutalität steht an der Nachtesordnung. Leider kann die schwammig-luschige Produktion dem nicht im Ansatz standhalten. Außerdem bekommt der Drummer ab einer bestimmten Geschwindigkeit echte Koordinationsprobleme, so dass die Blastparts grundsätzlich immer nur vereinzelt auftauchen und recht kurz ausfallen. Hier wäre aber wirklich einiges rauszuholen.
12) "Nun liebe Kinder, gebt fein acht, ich hab euch etwas mitgebracht" wollen einem die rosa Plastikkeyboards in "Belle" offenbar sagen und verbünden sich mit einem Schlagzeuger, der eigentlich nur einen Beat zu spielen in der Lage ist. Höhepunktkulminationen en masse letztendlich durch den Gesang: Der Versuch des tiefen Sängers, zu singen, wird übertroffen von dem Versuch des hohen Sängers, zu singen, wird übertroffen vom Versuch des Sängerduetts, im Finale zweistimmig zu singen (letzter Refrain). Als ich beim Genuss dieses Stücks Folk-Black Metals einen Blick auf das im (einseitigen) Booklet abgedruckte Foto warf und mich mit einem ganz bösen Corpsepaintteufel konfrontiert sah, war der ganze Ernst der Angelegenheit endgültig dahin. Vam I Ne Snylos mögen etwas anderes intendiert haben, aber ich habe mit "Belle" einen Heidenspaß gehabt.
13) Ein halbes Kammerorchester haben sich die Haggard-Verehrer Terra Incognita für "Poema De La Solea" mitgebracht. Geboten wird luftiger Harmlos-Death mit Geschrei, Sängerin und dezentem Männerchor. Leider passiert nicht viel mehr.
14) "Fantasm" von Dryados ist das absolute Highlight auf "Siberian X-Treme II"! Düstere Keyboards und stockdüstere Gothicgitarren werden von einem abartigen, durch zwanzig Gitarrenverzerrer gejagten Brummelgesang todesumweht, dass einem richtig kalt beim Hören wird. Die schräge Harmonik im Zusammenspiel von Gitarren und Keyboards hat manchmal etwas von Dimmu Borgir und so wird im ganzen eine beängstigende Atmosphäre aufgebaut. Nach einem ganzen Album kann man vermutlich nie mehr schlafen.
15) Für einen vollkommenen Bruch sorgt ein mehr oder weniger gewisser Anton Iljaschenko. "Lie" bietet frohgelaunten Hardrock in Steve Vai-Manier, der bei Frontiers sicherlich offene Türen einrennen würde, hier aber amtliche Konfusion stiftet. Technisch gibt's natürlich keinen Grund zum Meckern.
16) Wer ein Demon Project ist, bietet vermutlich epischen, aber flotten Death Metal mit Drumcomputer, Dancefloor-Synthesizern und partiell etwas schrammligen Gitarren. Das alles hat "1000 Eyes" tatsächlich. Auffällig ist, das wieder einmal der Keyboarder Mängel im Songwriting geschickt kompensiert, was durchaus nicht zum ersten Mal auf diesem Sampler geschieht. Hier stecken irgendwie alle unter einer Decke.
17) Diese These bestätigt sich zuletzt noch einmal durch den Black Metal von Welicoruss. Die haben nämlich die Streicherabteilung von Terra Incognita mit blutbeschmierten Händen entführt, um sie dann zärtlich in ihre "Winter Moon Symphony Pt. II" zu integrieren. Für ekligen Kreischgesang, Polterdrums irgendwo im Hintergrund, chaotische Bratensaftgitarren und semipompöse Glitschkeyboards würde Anton Bruckner die Buben zwar ins Purgatorium wünschen, aber "Siberian X-Treme II" findet hier seinen angemessenen Abschluss.
Wie soll ich zusammenfassen? Das hier ist innovativ und originell (auch unfreiwillig), spannend und abwechslungsreich, interessant und leicht bösartig, hat Höhen und Tiefen, ist zweifellos extrem. Wer sich das zutraut, wird belohnt, bei der nötigen Distanz sogar mit einer Menge Spaß. Große Klasse!
Kontaktmöglichkeit: www.drive-daline.narod.ru oder nskmetal.by.ru

Tracklist:
1. Skorzeny: Illusions
2. Murder Delirium: Prisoner Of The Northern Jail
3. Werwolf: To The Grasse
4. Morior: Ghastly Kings Arrival
5. Harmony In Grotesque: Terra Incognita
6. Skorzeny: As I Die
7. Daline: Otraschenije
8. Bastion Sudbij: Schisn
9. Andrei Glewow: Fury
10. Terminalnije Sostojanija: Comes With The Fall
11. Obsessed By Seth: Hunger
12. Vam I Ne Snylos: Belle
13. Terra Incognita: Poema De La Solea
14. Dryados: Fantasm
15. Anton Iljaschenko: Lie
16. Demon Project: 1000 Eyes
17. Welicoruss: Winter Moon Symphony Pt. II



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