www.Crossover-agm.de TURBO: Original Live
von rls

TURBO: Original Live   (Monitor/EMI)

Für den Namen Turbo entschieden sich gleich zwei härter rockende Bands aus seinerzeitigen RGW-Staaten, und beide sollten sich auch noch als äußerst langlebig erweisen. Die polnischen Turbo sind dem CrossOver-Stammleser schon als die Band bekannt, mit der Grzegorz Kupczyk in der Metalszene weitreichend bekannt wurde, bevor er sich mit CETI selbständig machte, unter diesem Banner eine Reihe weiterer starker Alben vorlegte und mit "(...) Perfecto Mundo (...)" eines der besten Symphonic Metal-Alben des Jahres 2007 auf den Markt warf, was diesseits der Oder-Neiße-Friedensgrenze leider nur von ein paar Liebhabern und eben den CrossOver-Stammlesern bemerkt wurde. Hier aber soll es um die tschechischen Turbo gehen, die anno 2003 ihren musikalischen Kopf Richard Kybic durch Krebstod verloren, aber dennoch durchhielten, mit Mirek Chrástka einen hervorragenden Ersatzmann verpflichteten, neben vorliegendem "Original Live"-Album mittlerweile auch eine neue Studioplatte herausgebracht haben und live nach wie vor sehr aktiv sind; zudem ist mit Keyboarder Martin Laul zwischenzeitlich sogar ein weiteres Mitglied der klassischen Achtziger-Besetzung an die Keyboards zurückgekehrt (neben Kybic und Laul bildet der auch singende Drummer Jiri Lang das dritte Langzeitmitglied der Band). Besagtes Livealbum wurde bereits anno 2001 mitgeschnitten, ist also veröffentlichungsseitig ganz klar als Tribut an Richard Kybic anzusehen, der hier noch an Gitarre und Gesang zu hören ist; ein wenig Verwirrung stiftet allerdings das große Livefoto im Booklet, denn das zeigt eindeutig eine fünfköpfige Band, während das Booklet nur eine Viererbesetzung nennt, zudem noch ohne instrumentale Zuordnung, so daß man zur schrittweisen Entschlüsselung Sekundärquellen heranziehen müßte, auch für die Frage, wer denn nun welches Stück singt. Fest steht, daß derjenige Sänger, welcher den Löwenanteil übernimmt (Kybic?), paradoxerweise ein klein wenig seinem genannten polnischen Kollegen Kupczyk ähnelt, was die Flächigkeit und Grundfarbe des Gesangs anbelangt (man höre beispielsweise mal "Kdo Z Nás Je Vinı"). Musikalisch betrachtet vollführten die tschechischen Turbo allerdings keineswegs solche stilistischen Bocksprünge wie die polnischen. In tschechischen Quellen werden sie meist mit dem Terminus "Poprock" belegt, was zumindest anhand dieses Liveeindrucks aber etwas zu relativieren wäre, denn trotz omnipräsenten Keyboardeinsatzes geht die Truppe über weite Strecken doch relativ kernig zu Werke, dürfte bei den im Herbst 2008 anstehenden Gigs mit Smokie die Veteranen wohl von der Bühne pusten. Natürlich schalten auch Turbo denselben gern einmal aus, was dann als Resultat eine schöne Halbballade wie "Vzbud' Me" zeitigt, die aber sofort durch das kräftig rockende Eingangsriff von "Samá Voda" wieder eine Nivellierung erfährt. Das Keyboardintro von "Láska Z Pasází", auch den kompletten Mitschnitt einleitend, wiederum läßt ganz leichte Anleihen bei "Live Tonite", dem völlig unterschätzten 1991er Livedokument der Mama's Boys, durchscheinen, und generell könnte man sagen, daß Liebhaber von "Live Tonite" auch mit "Original Live" mehr als glücklich werden dürften, wenngleich Turbo im Direktvergleich deutlich mehr Keyboards einsetzen und sich dafür von folkigen Einsprengseln, Geigen und ähnlichen Zutaten konsequent fernhalten. Dafür entdeckt man im Mittelteil von "Prestávás Snít" eine auch als Mitsingpart (mit schwankender Mitmachintensität) ausgebaute Melodie, die einem irgendwie diffus bekannt vorkommt; vielleicht hat sie sich nach mehrmaligem Hören aber auch nur schon so festgesetzt, daß man glaubt, sie schon länger zu kennen. "Intermezzo" ist, wie der Titel bereits assoziiert, ein dreiminütiges instrumentales Zwischenspiel, gestaltet von Kybic und dem damaligen Keyboarder Míla Orcígr, wobei letztgenannter die zweiminütige Einleitungsarbeit leistet, mit klassischen barocken Harmonien um sich wirft und dann Kybic noch eine Minute gitarresolieren läßt - kein großes Miteinander wie bei MSGs "Courvoisier Concerto" also, trotzdem aber nett anzuhören und mit "Krídla Racku" erneut in einen Song überleitend, der eigentlich ein Riesenhit hätte werden müssen: treibender Beat, einprägsames Gitarrenthema, bekannte, aber nicht ausgelutschte Harmonien und ein Refrain, der ein wenig Mitdenkevermögen verlangt, bevor man ihn mitsingen kann (der tschechischen Sprache sollte man freilich auch noch mächtig sein, denn dieser bedienen sich Turbo auf der CD durchgängig, wohingegen das zweite Album "To Bude Pánove Jízda" anno 1985 auch in einer englischsprachigen Variante namens "Heavy Waters" erschienen ist, die aber außerhalb der Landesgrenzen auch nichts reißen konnte und zudem grammatikalisch wie phonetisch eher gewöhnungsbedürftig ausgefallen sein soll). Irgendwie erinnern Turbo in der Gesamtbetrachtung etwas an Asia - zumindest so sehr, daß sich eigentlich jeder Anhänger von Downes & Co. auch mal mit ihnen beschäftigen sollte, denn es könnte sein, daß er hier eine neue Lieblingsband entdeckt, und das nicht nur, weil Orcígr seinen "Intermezzo"-Part mit Keyboardsounds bestreitet, die man auch aus Downes' Arsenal her kennt. Wer in der Nähe der tschechischen Grenze wohnt, kann ja auch mal schauen, ob die Band vielleicht mal in der Nähe spielt, denn daß sie eine sehr starke Liveband ist, geht aus den reichlich 50 Liveminuten dieser CD eindrucksvoll hervor, zumal wenig nachbearbeitet worden zu sein scheint, wenn man sich mal diverse Lautstärkeschwankungen der Keyboards in der ersten Sethälfte vergegenwärtigt. Ansonsten gibt es am Soundgewand aber nichts zu meckern, das Publikum war offensichtlich guter Laune (einen genauen Mitschnittsort gibt das Booklet nicht an, sondern nur die 2001er Tour - falls es ein Zusammenschnitt aus mehreren Konzerten sein sollte, hat man jedenfalls erstaunlich bruchlos gearbeitet), und so macht das Hören für Altrockfans einfach nur Spaß. Ergänzt wird der Livemitschnitt noch um einen Studiosong von 2004, wohl die erste Aufnahme mit dem Neuen. "Zahrávas Si S Ohnem", eine Halbballade, macht (in argumentativer Tateinheit mit diversen Videos des neuen Line-ups auf youtube) jedenfalls deutlich, daß Mirek sowohl in den Disziplinen Gesang und Gitarre als auch songwriterisch der richtige Mann für Kybics Nachfolge sein dürfte, auch wenn er ein wenig cleaner singt und die "Nanana"-Bridges vielleicht nicht unbedingt hätten sein müssen; auch die leicht zu steril klingenden Drums in den Strophen rufen nicht ungeteilte Zustimmung hervor, aber generell ist der Song zweifellos noch als gut einzustufen. Einen ganz unvermuteten Hintergrund entdeckt man schließlich noch in der auf den ersten Blick eher simpel anmutenden optischen Gestaltung des Covers: Der Blitz, der in das Bandlogo einschlägt, zertrümmert ausgerechnet die Buchstaben R und B - wohl eine Anspielung auf Kybics Verlust, denn die Konnotation von R ist klar, und der Name Kybic ist der einzige der langjährigen Mitglieder, der ein B enthält. Das aktuelle Studioalbum befindet sich bisher nicht im Besitz des Rezensenten, so daß der Interessent selbst auf Erkundung gehen muß, ob es die Band geschafft hat, den Spirit der Kybic-Periode in die neue Zeit hinüberzuretten. Zu wünschen wäre es ihnen allemal.
Kontakt: www.turbo-rock.cz, www.emimusic.cz

Tracklist:
Láska Z Pasází
To Bude Pánové Jízda
Dalsí Ráno
Kdo Z Nás Je Vinı
Vzbud' Me
Samá Voda
Prestávás Snít
Intermezzo
Krídla Racku
Bez Lásky Zít Se Nadá
Motıl A Svíce
Zahrávás Si S Ohnem
 




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