www.Crossover-agm.de TROVACI: Malo Morgen
von rls

TROVACI: Malo Morgen   (Electrique Mud/Alive)

Balkanbeat verschiedener Spielarten liegt seit Jahren voll im Trend, doch Trovaci als Mitläufer zu bezeichnen wäre pure Geschichtsfälschung: Das Debütalbum des Quartetts, programmatisch "Balkanplatte" betitelt, erschien 2004, allerdings waren die Mitglieder schon damals keine Greenhorns mehr, sondern hatten sich ihre Sporen durchaus schon anderweitig verdient. Freilich wurde die Explosivität ihres Gemischs erst in der vorliegenden Quartettkonstellation richtig deutlich, und die zündet seit 2003 nicht nur live, sondern auch auf der hier vorliegenden dritten Full Length-Platte, wenngleich nach Durchhören der 50 Minuten schon eine Ahnung aufkommt, daß da live sprichwörtlich der Bär toben dürfte, was man zu Hause halt nur unter Schwierigkeiten nachvollziehen kann, wenn man nicht gerade 150 Leute zu einer wilden Party auf 80 Quadratmetern, von denen 20 von der Band und einer riesigen Soundanlage eingenommen werden, bei sich begrüßen möchte. Aber auch das konservierte Durchhören macht durchaus Spaß und läßt selbst an trüben Wintertagen manchen virtuellen Sonnenstrahl durch die Wolken blitzen, wenngleich der Albumtitel (der übersetzt soviel wie "Nie" bedeutet) und der Background der Bandmitglieder (alle vier landeten durch den Zerfall Jugoslawiens und die damit verbundenen kriegerischen Auseinandersetzungen in Deutschland) durchaus auch andere Möglichkeiten offengelassen hätten. Aber die Rabrenovic-Brüder und ihre Rhythmusgruppe halten sich von Funeral Doom und ähnlichen finsteren Möglichkeiten fern, animieren die Leute mit ihrer Mixtur aus Reggae, Rock, Ska, Punk und natürlich balkanisch-folkloristischen Einsprengseln lieber bei guter Laune und sezieren allenfalls textlich mal die eine oder andere Problemstellung der heutigen Tage, wahlweise in deutscher oder serbischer Sprache. Eine Refrainzeile wie "Malo, Malo Morgen - wir sind ohne Sorgen" ist natürlich pure Ironie, keineswegs nur Selbstironie, auch das zerrissene "Ksenofobicna" ist hintergründiger ausgefallen, als man das im ersten Moment vermuten würde. Wer die omnipräsenten Blasinstrumente spielt, verrät der Infozettel nicht - das Stammquartett scheint nur die klassische Rockbesetzung abzudecken, und somit wären für eine Liveumsetzung entweder Samples oder Gastmusiker notwendig. 2006 hat letztgenanntes Modell übrigens immense Ausmaße angenommen - die Band spielte eine Reihe von Gigs in Nordrhein-Westfalen mit der WDR Big Band, aber die kann man natürlich nicht immer ins Schlepptau nehmen. Also bei Gelegenheit mal selber anchecken - der Rezensent hat dann auch gleich das Kunststück fertiggebracht, den 2010er Oktobertermin in Leipzig gar nicht erst mitzubekommen, wobei der aufgrund des gleichzeitigen Auftretens von Status Quo und Hellsingland Underground in Zwickau bzw. Altenburg eh schwierig realisierbar gewesen wäre. Aber es wird sich hoffentlich wieder mal eine Gelegenheit bieten, die Livequalitäten anzuchecken, zumal das Infoblatt verrät, daß die CD in nur vier Tagen unter Livebedingungen eingespielt worden sein soll. Als Gastmusiker konnte man die Damen von Las Balkanieras, die es immerhin nicht schaffen, "Evribadi\Äppersmerdy" allzuweit in Richtung unstrukturierten Lärms entgleisen zu lassen, Dr. Ring Ding für das reggaelastige "Eines schönen Tages" (das aber auch die eine oder andere unvermutete Wendung beinhaltet) und schließlich Hubert Kemmler ins Studio lotsen - mit letztgenanntem, besser bekannt als Hubert Kah, nahmen Trovaci "Sternenhimmel" neu auf, und obwohl auch viele der Eigenkompositionen großes Partypotential entfalten, so dürfte das von dieser zweisprachigen Coverversion wohl kaum zu übertreffen sein, zumal das Original ja auch weitreichend bekannt ist. Mancher Song bietet darüber hinaus live Gelegenheit zum ausführlichen Improvisieren - das Gitarrensolo in "Integrillen" kann beispielsweise problemlos aufgebrochen werden, um eine zehnminütige Jamsession im Stile alter Deep Purple einzuschalten. Und hinter der Fassade manches fast simpel wirkenden Songs verbirgt sich dann doch der eine oder andere Abgrund, etwa in der Hymne "Jugoslavija", mit fünfeinhalb Minuten auch der längste Song des Albums. Freilich sollte man Trovaci keine unreflektierte Ostalgie unterstellen, aber es ist nun mal auch Fakt, daß das Zusammenleben mit Nachbarn anderer Volkszugehörigkeit in der Tito-Ära bedeutend besser funktioniert hat als in der scheinbaren Zeit der neuen Freiheit. Das Infoblatt wendet jedenfalls den Begriff "Jugo" recht häufig an, auch das gerade erschienene Buch von Sänger Danko trägt neben dem Haupttitel "Der Balkanizer" noch den Untertitel "Ein Jugo in Deutschland" mit sich herum, und er selbst hatte während der ethnischen Säuberungen ein ganz akutes Problem: Seine Mutter war Kroatin, sein Vater aber Serbe. Da sind wir halt doch schon weiter, wenn Kinder einen sächsischen Vater und eine bayrische Mutter haben und niemand das als Problem ansieht. Zu diesem Selbstverständnis werden die ex-jugoslawischen Staaten wohl nie gelangen, und auch Trovaci müssen sich darauf beschränken, bestimmte Dinge aus der Ferne zu analysieren, wobei sie sich lieber auf die Lage der ex-jugoslawischen Diaspora in Deutschland konzentrieren, der sie ja auch alle vier angehören. Die konkreten Balkan-Schilderungen bringt der Sänger dann eher in seiner wöchentlichen Radiosendung "Balkanizer" auf WDR 5 unter. Unabhängig davon ist "Malo Morgen" aber definitiv einen Hörtest wert, wenn man auf beschriebene Klangmixtur steht, obwohl sich unter den 15 auch der eine oder andere Song findet, der in der Studiofassung nicht so richtig zünden will. Aber das kann wie erwähnt live schon wieder ganz anders aussehen, und einige brauchen ganz einfach nur ein bißchen Anlaufzeit wie das skurrile "Nur die Liebe" - daß dort unter den liebebedürftigen Wesen bzw. Einheiten auch Bosnien-Herzegowina enthalten ist (und das aus dem Munde eines Serbokroaten!), qualifiziert Trovaci jedenfalls als Helfer, falls Hubert von Goisern wieder mal eine völkerverständigende Idee wie weiland seine Linz Europa Tour umzusetzen gedenkt.
Kontakt: www.trovaci.de, www.electriquemud.com

Tracklist:
Malo Morgen
Lada
Eines schönen Tages
Tuzan
Evribadi\Äppersmerdy
Ksenofobicna
Sarmica Skit
Dobrosusedska
Jugoslavija
Integrillen
Sternenhimmel
Uschi
Dingospo
Nur die Liebe
Ein bisschen Sutra Outro
 




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