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Hellsingland Underground, Smoking Fish   22.10.2010   Altenburg, Finnegans Irish Pub
von rls

Der Name ist Programm: In ihrem Heimatland Schweden (nicht etwa Finnland, wie man aufgrund des ersten Namensbestandteils als Wortspiel vermuten könnte) hatten Hellsingland Underground mit "Forever Country Boy" einen Mini-Hit, der ihnen einiges an Airplay und auch eine gewisse heavy rotation bei MTV Schweden bescherte - außerhalb der blau-gelben Grenzen aber dürfte kaum jemand bisher ihren Namen vernommen haben. Trotzdem wagt sich das Sextett auf eine Tour durch kleine bis kleinste deutsche Clubs mit immerhin 16 Dates (davon einer in den Niederlanden, die restlichen 15 auf deutschem Boden), und an diesem Freitagabend in Altenburg kann Bergfest gefeiert werden. Und wer wagt, gewinnt manchmal auch - so das vorweggenommene Fazit des Abends.
Freilich hat bei Gigbeginn, der in der letzten Stunde vor Mitternacht liegt, die Vorband Smoking Fish erstmal mehr Die-Hard-Fans am Start. Selbige beschallt das langsam aus der ein Stockwerk tiefer gelegenen verräucherten Kneipe nach oben tröpfelnde Publikum mit einer eigentümlichen Definition des Terminus Rockmusik. Deren Basis ist deutlich im Blues gelagert, bisweilen erklingt auch mal ein reiner Blues (z.B. der sehr intensive Song 4, der streckenweise kurz vorm Stillstand verharrt und damit viel Spannung aufbaut), und auch die Auswahl der Coverversionen scheint das Quartett als Traditionalisten zu outen - es erklingen u.a. Stücke von Nick Cave & The Bad Seeds sowie aus Paul McCartneys Feder, wobei "Raindrops", der Beitrag des letztgenannten, zum emotionalen Höhepunkt des etwa einstündigen Sets. Aber da gibt es im Gesamtsound dann auch noch ein paar teils kurios anmutende moderne Elemente. Dabei fügen sich die Trompetensoli, die der Keyboarder/Sänger bisweilen beisteuert, sehr gut ins Gesamtbild ein, auch seine Megaphon-Vocals, die er gelegentlich auspackt, bringen selbst Scooter-Hasser nicht zum Erbrechen. Eher ins Beinkleid geht dagegen der Versuch, in Song 3 eine Art Raprock, allerdings ohne Gitarre, zu kreieren - nicht alles, was neu ist, muß automatisch auch gut sein ... Gut sind die vier Schuster meist dann, wenn sie bei ihren Leisten bleiben und mit ihren Stärken konsequent arbeiten. Dazu gehören beispielsweise ausgezeichnete gitarristische Fähigkeiten des Bedieners selbigen Instrumentes, und die prägen die Soloparts sehr deutlich, da der Keyboarder sich darauf beschränkt, ein paar Effekte einzustreuen oder eben mal zur Trompete zu greifen. Zwei recht unterschiedliche, aber jeder auf seine Weise gute Sänger hat die Band auch noch in der Mannschaft: Der Gitarrist singt clean und oft recht eindringlich, wie es eher im AOR Sitte ist, der Keyboarder dagegen führt eine mäßig rauhe und durchaus bluesrockkompatible Stimme ins Feld, und der Wechsel bzw. die geschickte Kombination dieser zwei Klangfarben zeitigt sehr interessante Ergebnisse. Den Traditionalismus ins Paradoxe treibt die Band mit dem Setcloser, in dem der Gitarrist sein Instrument wieder mal weitgehend beiseitelegt und statt dessen eine Art manuelle Loopstation (!!) zu inszenieren versucht, was definitiv besser funktioniert als der mißlungene Raprock-Versuch. Die Die-Hard-Anhänger fordern noch eine Zugabe ein, womit die Band gar nicht gerechnet hätte - die Rhythmusgruppe (die sich durch solides Spiel auszeichnet) hat nämlich schon mit dem Abbau begonnen, aber man intoniert dann doch noch "Skin & Bones", und alle sind zufrieden.
Der neue Tag ist bereits angebrochen, als Hellsingland Underground die Bühne betreten, und 100 Minuten später hat sich das Verhältnis der Die-Hard-Fans von Vorband und Headliner umgekehrt - veni, vidi, vici! Was da in der nordschwedischen Provinz an Southern Rock gedeiht, ist aller Ehren wert. Zwei Alben hat das Sextett bisher draußen, das aktuelle namens "Madness & Grace", erschienen auf einem Label mit dem schönen motörheadkompatiblen Namen Killed By Records, stellt das Gros des Sets. Aber wie das für guten Southern Rock üblich ist, bricht die Band die Songstrukturen an einigen Stellen auf und legt eine Jamsession ein, wobei sich besonders die beiden Gitarristen hervortun, die sich als perfekt aufeinander eingespielte Einheit erweisen. Was die beiden in dieser Nacht leisten, katapultiert sie jedenfalls ohne Anlauf in die Spitzengruppe der Southern Rock-Liga. Da röhrt Power, da flutscht Gefühl, da schmeichelt manche urtraditionelle Melodie dem Ohr, und im richtigen Moment wissen die beiden auch, wann man zurückzutreten und dem anderen das Feld zu überlassen hat - oder dem Keyboarder, der allerdings im Gesamtsoundmix ein wenig zu unterrepräsentiert ist, als daß man sein Spiel richtig einschätzen könnte. Das aber bildet den einzigen kleinen Wermutstropfen eines richtig großartigen Gigs einer Klasseband, die quasi nur auf ihre Entdeckung wartet. Einen äußerst fähigen Sänger hat man übrigens auch noch in der Besetzung, auch wenn zum Highlight des Sets das kurios betitelte Instrumental "Diabolic Greetings From The Woods" wird, das an Intensität in dieser Livefassung kaum noch zu übertreffen ist. Ab diesem Song, der ungefähr das letzte Setviertel einläutet, nimmt auch die Show immer wildere Ausmaße an, soweit das auf der übersichtlich großen Bühne halt möglich ist - aber Kniefälle der Gitarristen gehören danach zum Pflichtprogramm in den Soloparts. Die unauffällig, aber grundsolide agierende Rhythmusgruppe, bestehend aus einem langhaarigen blonden Drummer und einem Bassisten, der ohne Veränderung im neuen Hobbitfilm mitspielen könnte, muß ebenfalls noch erwähnt werden, ebenso wie der Humor der Band - nicht übertrieben lustig, aber doch ab und zu mal eine Anekdote oder ein Bonmot einstreuend. Deutlich manifestiert ist er übrigens in den Songtiteln, die bisweilen ganz andere Musik vermuten lassen würden, neben dem genannten Instrumental etwa "Forever Damned" oder "Church Bells Through The Valley". Und hätten sich die Jungs die etwas schwachbrüstige Halbballade "Vera" gespart (hier schaffen sie es nicht ansatzweise, so viel Intensität rüberzubringen, wie das wünschenswert bzw. sogar nötig gewesen wäre), der ganze Gig wäre ein einziges Freudenfeuer verschiedener Färbungen gewesen. Freude kommt aber trotzdem auch beim Publikum auf, wenngleich in kurioser Gewichtung: Im regulären Set traut sich kein einziger Mensch auf die mit rotem Teppich (!) belegte kleine Tanzfläche, um dort entsprechende Bewegungen auszuführen, in der ersten Zugabe beginnt ein Pärchen eine flotte Sohle hinzulegen, und in der außerplanmäßigen zweiten Zugabe (auch hier hat die Band eigentlich schon mit Abbauen begonnen!) brechen plötzlich alle Dämme, und die Tanzfläche füllt sich mit tanzbeinschwingenden Menschen (an dieser Stelle ein kleiner enthusiastischer Gruß an Katja Keil ...). So sind am Ende fast alle glückselig - die Kassiererin vielleicht nicht ganz, denn es hätten schon noch ein paar mehr Menschen in die Lokalität gepaßt. Aber das ist halt Underground - vielleicht sind die Schweden bei der nächsten Tour schon Overground ...



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