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TRISTANIA: Darkest White
von rls

TRISTANIA: Darkest White   (Napalm Records)

Nach den umfangreichen Änderungen im Bandgefüge zwischen den Vorgängeralben "Illumination" und "Rubicon" ist bei Tristania wieder weitestgehende Ruhe eingekehrt: Die Grundbesetzung auf "Darkest White" ist die gleiche wie die auf "Rubicon", und so verwundert es nicht, daß man auch stilistisch keine Bocksprünge macht, aber dennoch keineswegs "Rubicon II" abliefert. Vielmehr ist "Darkest White" als konsequenter nächster Schritt in der Bandentwicklung anzusehen, der sich noch etwas weiter von den alten Scheiben entfernt und noch stärker auf eine sozusagen modernmetallisch angehauchte Version des Gothic Metals hin ausgerichtet wurde. Typisches Exempel hierfür ist der an zweiter Stelle stehende Titeltrack, der vom Kompositorischen her am ehesten an frühere Tage anknüpft, aber produktions- wie spieltechnisch völlig andere Wege geht. Hier tritt auch das Keyboard etwas deutlicher in Erscheinung, das in vielen anderen Songs nur noch eine Neben- oder gar keine Rolle mehr spielt, was mit dem nach wie vor indifferenten Personalstatus von Ur-Keyboarder Einar Moen zusammenhängen mag: Er wird nach wie vor als Bandmitglied angegeben, fehlt aber auf dem Bandfoto und spielt offensichtlich auch nicht auf dem Album - diesen Job erledigte, so steht's im Booklet, Bernt Moen. Ob Einar noch kompositorisch beteiligt war, kann nicht ergründet werden, denn im Gegensatz zum Vorgängeralbum, wo die Credits einzeln verteilt wurden, ist diesmal nur "All music by Tristania" angegeben, und lediglich die Lyrics werden gesondert vermerkt, nämlich ungewöhnlicherweise ausschließlich mit Drummer Tarald Lie Jr. als Autor. Die erste Geige auf "Darkest White" spielen also eindeutig die Gitarren, wobei die Keyboards hier und da durchaus nicht unbedeutende Akzente setzen (die Refrainüberleitungen in "Night On Earth" etwa wären ohne die Geräuschkulisse nur halb so eindrucksvoll), ein anderer historischer Faktor dagegen fehlt: Nachdem auf "Rubicon" Pete Johansen wieder Violinenklänge beigesteuert hatte, ist er auf "Darkest White" abermals nicht mit von der Partie - es gibt, von Bernt Moen abgesehen, diesmal überhaupt keine Gastmusiker, auch die verschiedenen männlichen Stimmlagen von tiefem Klargesang über wildes Gebrüll bis hin zu Gekreisch verschiedener Extremitätsstufen werden allesamt bandintern abgedeckt. Dazu kommt Mariangela Demurtas, die ihre im Direktvergleich zu Vibeke Stene wärmere Stimmfarbe abermals gekonnt einsetzt und sich noch ein klein wenig stärker emanzipiert hat, wobei ihr freilich die erwähnte, kaum rückwärtsgewandte Ausrichtung des Songmaterials entgegenkommt. Interessanterweise machen Tristania gleich am Anfang mit dem heftigen Einstieg in den Opener "Number" und dem erwähnten Titeltrack klar, in welche Richtung der Weg führen wird und daß es so mancher Altfan mit "Darkest White" schwer haben wird, schwerer noch als mit "Rubicon". Träg-düstere Elemente gibt es zwar durchaus noch, wie etwa das schrittweise in die Hoffnungslosigkeit mündende "Diagnosis" eindrucksvoll unter Beweis stellt, aber ansonsten muß man mit Tempovielfalt ebenso zurechtkommen wie mit Alternative-Elementen und mit Ausflügen in den ganz alten Gothic Rock, wie wir sie beispielsweise in "Himmelfall" zu hören bekommen. "Scarling" wiederum mixt eine sehr düstere Atmosphäre mit einer komplexen Rhythmusarbeit, wie man sie sonst eher aus Proggefilden gewohnt ist, und einem trotzdem eingängigen Refrain. Auch letzteres Stilmittel findet man im aktuellen Schaffen eher selten ("Arteries" als eines der raren Beispiele), und so fällt es schwer, "Requiem" als Quasi-Hit zu bezeichnen, obwohl Tristania damit durchaus massenkompatibel agieren, freilich als Kontrapunkt auch hier einen harten Part mit extremem Gesang einschmuggeln. Eine Hitband waren sie natürlich noch nie, aber auf "Darkest White" sind sie hier und da vor allem rhythmisch noch vielfältiger und komplexer geworden, so daß es sich um ein weiteres Problem handelt, das sich vor dem einen oder anderen Altfan auftun wird. Interessanterweise ist der eingängigste Song, "Cathedral", nur als Bonustrack auf der Digipackvariante des Albums enthalten, was einerseits von Selbstbewußtsein spricht, andererseits der "Normalvariante" des Albums einen interessanten Farbtupfer raubt, selbst wenn es nach dem zweiten Refrain plötzlich aus ist mit der Eingängigkeit und sich ein wieder mal rhythmisch äußerst komplexer Part breitmacht, in dem sich sakrale Gesänge ausbreiten. Dieser Song ist auch derjenige, mit dem sich Tristania am stärksten auf eine andere einstmals stilprägende Genreband zubewegen: The Gathering - womit nicht gesagt werden soll, es handele sich um eine Anbiederung oder gar eine Kopie. Freilich bleibt auch mit "Darkest White" unklar, wo (außer im ganz großen Feld des düsteren Metals) man die heutigen Tristania einordnen soll - es ist vielleicht noch ein Stück weit unklarer als zuvor, wie nicht zuletzt das epische "Cypher" zeigt, das man sich von der Dramaturgie her eher an letzter als an vorletzter Stelle hätte vorstellen können. So schließt "Arteries" die 52 Minuten ab, das andererseits mit "Number" eine Art stilähnlichen Rahmen um das neue Werk bildet. Wie bereits mehrfach bekundet ist das gewohnt druckvoll produzierte "Darkest White" harter Tobak für Altfans, könnte aber andererseits durchaus auch Hörer finden, die sonst dem Gothic Metal weniger zugeneigt sind.
Kontakt: www.tristania.com, www.napalmrecords.com

Tracklist:
Number
Darkest White
Himmelfall
Requiem
Diagnosis
Scarling
Night On Earth
Cathedral
Lavender
Cypher
Arteries



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