www.Crossover-agm.de TRIO: The Complete Trio Collection
von rls

TRIO: The Complete Trio Collection   (Rhino Entertainment)

Sonderlich voluminös war der Inhalt des familiären Plattenschranks im Elternhaus des späteren Rezensenten nicht, und stilistisch herrschte in ihm ein buntes Gemisch. Auch einige Countryplatten waren vertreten: zwei LPs von Dean Reed, eine Scheibe, auf der DDR-Countrybands internationale Hits dieses Stils coverten, ein Klassiker von Jiri Brabec And His Country Beat (mit der dank Ladislav Vodickas einzigartiger tief-markanter Stimme immer noch besten Version von "Ring Of Fire" im Genre - wann re-releast mal jemand die Platten dieser Combo regulär in Deutschland?) und eine Platte einer schlicht Trio benannten Formation, bei der schon anhand des Covers deutlich wurde, daß es hier nicht um Stephan Remmler, Kralle Krawinkel und Peter Behrens ging: Nachdem sich die allesamt als Solosängerinnen sehr erfolgreichen Dolly Parton, Linda Ronstadt und Emmylou Harris in den Siebzigern persönlich kennen- und schätzengelernt hatten, schafften sie es in den Mittachtzigern endlich, ihre vollen Terminkalender so aufeinander abzustimmen, daß sie gemeinsam ins Studio gehen konnten. Nach einigen frühen Sessions entstand so 1986 das ein Jahr später veröffentlichte und schlicht "Trio" getaufte Debütalbum des, ähem, Trios, das sich keinen gesonderten Bandnamen zulegte, sondern kurzerhand unter dem Namen Trio agierte. Wiederum zwei Jahre später lizensierte Amiga das Album von Warner, und so erschien "Trio" anno 1989 auch offiziell in der DDR (mit den gleichen Songs wie auf der Originalpressung - das war bei DDR-Lizenzausgaben nicht immer der Fall, etwa bei Whitesnakes "1987"), fand den Weg auch in den hiesigen Plattenschrank und auch nicht selten auf den Plattenteller.
Das alles ist ein Vierteljahrhundert her, während dem die Scheibe nur noch selten und dann irgendwann mal gar nicht mehr gehört wurde - bis 2016: Das zu Warner gehörende Rhino-Label bringt in einer 3-CD-Box das Komplettwerk von Trio neu auf den Markt, und dessen erste CD gehört logischerweise dem besagten Debütalbum. Den Strophenanfang von "Rosewood Casket" kann der Rezensent auch heute noch auswendig, und das neuerliche Durchhören nach vielen, vielen Jahren offenbart, daß die musikalische Erinnerung auch im Rest der 39 Minuten noch mehr oder weniger komplett im Hirn lagert - die Platte klingt so vertraut wie eh und je, und sie ist in qualitativer Hinsicht kein Stück gealtert oder gar verstaubt. Gut, bei realistischer Betrachtung mußte man schon damals konstatieren, daß nicht alle elf Songs ganz auf einem Level standen - aber selbst eine eher unauffällige Nummer wie "Those Memories Of You" unterschreitet einen guten Standard nicht und wird von den vielen Glanzlichtern locker wettgemacht. Parton, Ronstadt und Harris meinen rückblickend, daß sie 1987 Americana spielten, obwohl es den Begriff noch gar nicht gab, und sie haben in gewisser Weise damit auch recht, denn reiner Country ist es durchaus nicht, was sie hier abliefern, obwohl sie auf dem Cover in eine Art traditionell inspirierter Kostüme gehüllt sind und am Bretterzaun einer Koppel lehnen. Auffällig ist der häufige Einsatz von Mandolinen, die gleichberechtigt neben die Steel Guitar treten - noch auffälliger aber sind die drei Stimmen, die sich in perfekter Weise ergänzen und Satzgesänge von allerhöchster Qualität ermöglichen. Von den Songs her sind einige Parton-Eigenkompositionen vertreten, dazu das Traditional "Rosewood Casket" in einem in der Parton-Familie gern gesungenen Satz und mit "Farther Along" ein weiteres Traditional, das Gros besteht aber aus geschmackvoll ausgewählten Coverversionen, die zudem dramaturgisch geschickt angeordnet wurden. Schon der Opener "The Pain Of Loving You" zeigt, was stimmlich hier zu erwarten ist, und jede der Beteiligten bekommt Gelegenheit, ihr Können als Leadstimme unter Beweis zu stellen (als man kurz vor Toresschluß bemerkte, daß Ronstadt diesbezüglich unterrepräsentiert war, grub man noch "Hobo's Meditation" von Jimmie Rodgers aus, um diese Lücke zumindest zu minimieren). Phil Spectors Schnulze "To Know Him Is To Love Him" wird so lieblich umgesetzt, daß man dem Trio für diese Wahl nicht böse sein will - und dann sind da ja noch die drei Balladen "Telling Me Lies", "I've Had Enough" und "Farther Along": hochgradig emotional, mal bombastisch, mal in der Nähe des absoluten Stillstandes angesiedelt. So klingen Meisterwerke, und sie runden ein Americana-Meisterwerk kongenial ab, das 30 Jahre nach seiner Entstehung keinen Deut an Reiz eingebüßt hat.
Die Terminkalender so weit aneinanderzurücken, daß sie gemeinsam auf Tour gehen konnten, schafften Parton, Ronstadt und Harris nicht - aber 1994 gingen sie abermals ins Studio, um die kurzerhand "Trio II" betitelte Platte einzuspielen, die letztlich aber erst 1999 herauskam und dem Rezensenten akustisch bisher unbekannt war. Verklärte Beziehungen zu ihr aufbauen konnte er also nicht (obwohl das Debüt auch nach Abzug des Verklärungsfaktors - als DDR-Teen mochte man grundsätzlich alle Arten von "Westmusik", außer Modern Talking, die schon damals ein No-Go waren - immer noch ein Meisterwerk bleibt), aber die Qualitäten des Debüts hat der Zweitling, der auf CD 2 der Box enthalten ist, allesamt auch aufzuweisen, vom Überraschungsfaktor natürlich abgesehen. Auffällig ist, daß sich Parton, Ronstadt und Harris diesmal mehr Zeit nehmen und von den zehn Songs gleich sieben länger als vier Minuten sind, was unter den elf des Debüts nur bei den Balladen "Telling Me Lies" und "Farther Along" der Fall gewesen war. Auch das "räumliche" Spektrum hat sich erweitert: Ronstadt hatte gerade eine Platte mit mexikanischen Landarbeiterliedern herausgebracht, und so sind gewisse spanische und/oder mexikanische Elemente wohl kein Zufall, ebensowenig die Wahl von John Starlings "He Rode All The Way To Texas", denn bekanntlich war dieser Staat bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts noch mexikanisches Territorium, bevor ihn sich die USA einverleibten. Strukturell (nicht musikalisch!) auffälligste Nummer hingegen ist zweifellos "After The Gold Rush" - mit Neil Young hätte in diesem Kontext wohl kaum jemand gerechnet, aber Ronstadt (die diese Idee eingebracht hatte) und ihre Kolleginnen schaffen es, die Nummer so organisch in ihr Repertoire einzuflechten, daß sie dort wie erwähnt musikalisch gar nicht mehr auffällt, sieht man mal vom Einsatz der Glasharmonika ab, die der letzten Bridge einen ganz eigenen sphärischen Touch verleiht. Auch mit Randy Newman war in diesem Kontext nicht unbedingt zu rechnen - aber auch "Feels Like Home" paßt perfekt in den Gesamtkontext. Der Mandolineneinsatz ist im Vergleich zum Debüt gefühlt ein wenig zurückgegangen, obwohl das Instrument immer noch in fast jeder Nummer vorkommt - aber es rückt einen Deut in den Hintergrund, während die Gitarren ein wenig mehr Raum einnehmen und auch die Fiedel ein wenig markanter erscheint. Selbige wird übrigens von einer Dame beigesteuert, die in der Zwischenzeit Superstarstatus besitzt: Alison Krauss, seit ihrem Projekt mit Robert Plant auch in Rockkreisen populär und geschätzt. Noch einen anderen auch in der Rockwelt bekannten Namen findet man in der Instrumentalistenliste, sogar auf beiden Platten: den Bassisten Leland Sklar. Dazu kommt eine Kohorte von Menschen, die in der Americana-Welt einen exzellenten Ruf besitzen und dafür sorgen, daß auf beiden Alben instrumental natürlich nichts schiefgeht. Auch auf "Trio II" besitzen die Balladen wieder einen besonders ergreifenden Charakter: das ein wenig in Richtung AOR schielende "The Blue Train", das ähnlich geartete "He Rode All The Way To Texas" oder das sanfte, bisweilen streicherunterlegte "You'll Never Be The Sun". Einzig die Dynamik bleibt geringfügig auf der Strecke, wenn erstgenannte ausgerechnet auf das auch schon entrückt-entspannte "After The Gold Rush" folgt und die beiden anderen auch noch hintereinander stehen, gefolgt von der abermaligen Bombastballade "Feels Like Home" - das hätte man dann doch besser lösen können. Vielleicht ist die Scheibe insgesamt einen Deut zu ruhig ausgefallen, denn während man auf dem Debüt für jede Stimmungslage etwas Passendes findet, so ist der Zweitling in zupackender Hinsicht etwas zurückhaltender unterwegs. Aber die Damen werden ja auch älter, und so kann man ihnen das zweifellos zugestehen, selbst wenn mit "When We're Gone, Long Gone" auch als Albumcloser nochmal eine Ballade folgt, die kompletten hinteren zwei Drittel, nur vom etwas griffigeren "I Feel The Blues Movin' In" unterbrochen, also im Downtempo daherkommen und man schon in der richtigen Stimmung sein muß, um das prickelnd zu finden, musikalische Qualität hin oder her.
Wer auf eine dritte reguläre Studioscheibe des Trios hofft, der muß diese Hoffnung begraben: Linda Ronstadt hat ihre musikalischen Aktivitäten aufgrund ihrer Parkinson-Erkrankung mittlerweile einstellen müssen. CD 3 enthält also kein neues im Sinne von aktuelles Material, sondern 20 Outtakes, von denen 18 bisher unveröffentlicht waren - die beiden Ausnahmen stellen "Even Cowgirls Get The Blues" und das von Pat Ballard geschriebene, auch schon von Blind Guardian gecoverte "Mr. Sandman" dar, die 1979 bzw. 1981 auf Soloalben von Harris zu finden sind und Parton und Ronstadt jeweils als Gastgesangspartnerinnen hören lassen. Bei den anderen Songs handelt es sich teilweise um Songs, die bei den Albumsessions aufgenommen wurden, aber es nicht auf die Endfassung des Albums schafften, teilweise aber auch um Alternativversionen von Albumtracks, deren Entstehung in der Arbeitsweise begründet liegt, bei der Frage der Verteilung von Lead- und Harmoniegesangsparts durchaus auch mal verschiedene Varianten auszuprobieren, um sich dann für eine zu entscheiden, was die anderen deshalb nicht zwingend schlechter, sondern eben nur anders sein läßt und das Luxusproblem offenbart, vor dem diese drei hervorragenden Sängerinnen während der Sessions und der Endauswahl standen. Ähnlich wird es John Boylan gegangen sein, der die Compilation für diese dritte CD zusammengestellt hat, unter tatkräftiger Mithilfe von Harris übrigens. Die Liner Notes der Box enthalten neben einer ausführlichen Geschichte der Zusammenarbeit Partons, Ronstadts und Harris' auch Notizen zu jedem der 20 Extra-Tracks, so daß die beschriebene Konstellation und Suche nach der ideal passenden Version nochmal plastisch verdeutlicht wird. Einige Nummern sind sogar a cappella gehalten und machen die über weite Strecken perfekte Harmonie zwischen den Stimmen so noch einmal ganz besonders deutlich ("Calling My Children Home"!) - alle Spötter, die gerade hinter Partons optischem Anspruch wenig künstlerische Substanz vermuteten, werden von Trio sowieso in den Schatten gestellt. Selbst die Umwandlung eines Chorals wie "Softly And Tenderly" in den typischen Trio-Americana-Sound, hier unterstützt durch ein Cello, gelingt in umwerfender Weise - zwar handelt es sich auch hier um eine absolute Downtemponummer, aber die hätte man dann doch sehr gerne auf "Trio II" integriert gesehen bzw. gehört, nicht zuletzt weil die Stimmen hier nochmal einen ganz anderen, bewußt imperfekten und dafür ausdrucksstärkeren Tonfall anschlagen. Aber diese Lücke kann ja jetzt mit CD 3 der Box geschlossen werden. In einigen wenigen Fällen ist man froh, daß die Entscheidung, welche Fassung auf dem Album landet und welche nicht, so gefallen ist, wie sie ist - die reduzierte Version von "I've Had Enough" etwa ist alles andere als schlecht, packt einen aber bei weitem nicht so wie die etwas voluminöser instrumentierte, die sich jetzt hier auf der Outtake-Fassung findet. Andere wiederum stellen den Hörer vor das bekannte Buridans-Esel-Problem, wobei er freilich nicht verhungern muß, sondern nacheinander beide Versionen goutieren kann. Was oben als räumliche Erweiterung für die zweite Scheibe benannt wurde, hätte übrigens schon für die erste zutreffen können, wäre das irische "In A Deep Sleep" in der Endauswahl nicht durchs Raster gefallen - alle, die das als Verlust empfinden, werden hier nun bedient. Knapp 67 Minuten läuft CD 3 und rundet die Box in eindrucksvoller Weise ab - ob freilich noch irgendwo weitere unveröffentlichte Schätze lagern, bliebe zu klären. Immerhin ist "My Blue Tears" mit 1998 datiert - die eigentlichen Aufnahmen zum zweiten Album waren aber schon 1994. War da 1998 noch was? Und schon 1993 (das Jahr ist für "Handful Of Dust" angegeben)? Und was ist dabei rausgekommen? Diese und weitere Fragen bleiben offen - aber auch in der vorliegenden Form ist die Box eine sichere Beute für alle Americana-Liebhaber.
Kontakt: www.rhino.com

Tracklist:
CD 1
The Pain Of Loving You
Making Plans
To Know Him Is To Love Him
Hobo's Meditation
Wildflowers
Telling Me Lies
My Dear Companion
Those Memories Of You
I've Had Enough
Rosewood Casket
Farther Along

CD 2
Lover's Return
High Sierra
Do I Ever Cross Your Mind
After The Gold Rush
The Blue Train
I Feel The Blues Movin' In
You'll Never Be The Sun
He Rode All The Way To Texas
Feels Like Home
When We're Gone, Long Gone

CD 3
Wildflowers
Waltz Across Texas Tonight
Lover's Return
Softly And Tenderly
Pleasant As May
My Dear Companion
My Blue Tears
Making Plans
I've Had Enough
Grey Funnel Line
You Don't Knock
Where Will The Words Come From
Do I Ever Cross Your Mind
Are You Tired Of Me
Even Cowgirls Get The Blues
Mr. Sandman
Handful Of Dust
Calling My Children Home
In A Deep Sleep
Farther Along
 




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