www.Crossover-agm.de WOLFGANG TOST: Gib Gott eine Chance
von rls

WOLFGANG TOST: Gib Gott eine Chance   (Schulte & Gerth)

Lieber Wolfgang, ich habe mir Deine neue CD jetzt ein zweistelliges Mal durchgehört, und ich muß sagen, ich bin etwas enttäuscht. Und das liegt zum größten Teil nicht mal an Dir selbst, denn an Deinen Komponenten Gesang und Songwriting gibt's, wenn man "Gott suchen - Gott finden", das Lied zur 2000er Jahreslosung, das sich etwas orientierungslos durch die Botanik schleppt, mal ausnimmt, kaum etwas auszusetzen. Dafür haben Dir aber diverse Deiner Mitstreiter ein paar ebenso furchtsame wie schmackhafte Falsche Hasen in den Pepperoni gelegt.
Erster Problemfall sind die Arrangements von Kostas Karagiozidis, die einem mitunter gigantische gußeiserne Fragezeichen vor die Stirn knallen. Mußte man beispielsweise aus dem Opener und Titelsong einen zwar halbwegs mitreißenden, aber völlig austauschbaren Sacropop-Song (dieser Begriff schon, aaargh, aber leider trifft er's in diesem Falle) machen? Mußte man mindestens jeden zweiten Song mit Computerbläsern aufpeppen, die zwar hier und da ein nettes funkiges Feeling erzeugen, aber schon nach kürzester Zeit gigantisch zu nerven beginnen? Hätte man von "Ich bin bei euch", dem Lied zur 1999er Jahreslosung, anstelle der vertretenen soliden, aber zum Ausreißen nicht nur von Bäumen, sondern selbst von verdorrten Stachelbeersträuchern nichts, aber auch gar nichts beitragenden Version nicht lieber einen Livemitschnitt vom Landesjugendcamp 99, trotz oder meinethalben auch wegen Signs Of Life, vor allem aber wegen dem tausendkehligen Backingchor, auf der Scheibe verewigen sollen? Mußte man "Innerbetrübliches", das immerhin in der Botschaft "Kampf der Steifheit - machst du mit?" gipfelt, so konservativ sacropoppig umsetzen, daß Musik und Message einem paradoxen Antagonismus unterlegen sind? Mußte man das von der Komposition und vom Text her höchst gefühlvolle "Wie Vögel" unbedingt mit Computerdrums unterfüttern, die jegliche emotionale Anwandlung quasi im Vorüberflug auf gräßliche Art und Weise killen? Obwohl Kostas auch diverse gute Umsetzungen auf der Scheibe verewigt hat, macht gerade diese letztgenannte Nummer deutlich, daß er in puncto Empathie streckenweise unter akuten Ausfallerscheinungen leidet.
Zweiter Knackpunkt sind diverse Texte. Dabei liefert Katrin Paul größtenteils gewohnte Schmunzelqualität ab, macht aber mit "Dankt dem Herrn" deutlich, daß sie für sakrale Texte kein goldenes Händchen besitzt, da es sich leider nur um einen dieser völlig unreflektierten Dankestexte handelt, deren unkontrollierter Gottesdienstgebrauch mir mitunter ziemlich sauer aufstößt. Dafür hat Gastschreiber Jörn Philipp mit dem großartigen "Wie Vögel" seinen Namen schon mal im epochalen Buch der Kirchendichter eingetragen. Womit ich allerdings vorher nie und nimmer gerechnet hätte, ist, daß "Mr. Wortgewalt" Theo Lehmann phasenweise im Einknüpfeln der richtigen Bilder und Metaphern schwächeln würde, und doch ist es passiert. Ob es beispielsweise treffend war, in der zweiten Strophe von "Verstehen" als Negativexempel (im verständnishaften Sinne) einen Rollstuhlfahrer zu bringen, der nicht über die Rathaustreppe kommt, sondern zum Hintereingang rollen muß, ist mir doch arg zweifelhaft, zumal gerade hier im Osten viele öffentliche Gebäude noch nicht mal einen Behinderteneingang haben. Völlig wirr kommt gar die dritte Strophe des genannten Liedes daher. Auch die verschiedenen Beispiele in "Einsteigen" lassen öfters die Treffsicherheit vermissen. Zwar gibt es auch im lyrischen Areal genug positive Beispiele auf der CD, aber gerade die lassen die Ausfälle in noch schwärzerem Licht dastehen, als sie es so schon tun.
Drittens schließlich, und da, lieber Wolfgang, mußt Du Dir auch ein bißchen an die eigene Nase fassen, wirkt die CD nicht wie aus einem Guß, da sich einfach zu viele Reibungspunkte unter den einzelnen Liedern finden. Wie verträgt sich zum Beispiel "Mit den Ohren des anderen hören ..." mit der ersten Strophe von "Anonym"? Wie kann man die Leistungsattitüde der ersten beiden Strophen von "Hoffnungslose Fälle" mit dem Tenor von "Geborgt" unter einen Hut bekommen? "Gib Gott eine Chance" als CD funktioniert nur dann, wenn man sie als zwölf Einzelsongs betrachtet, die nicht zwingend eine Beziehung zueinander haben müssen. Und ganz zum Schluß, bevor ich aufhöre zu meckern: Die Rolle als Vampir auf der Bookletrückseite steht Dir, lieber Wolfgang, auch nicht besonders gut ...
Damit ich nicht falsch verstanden werde: "Gib Gott eine Chance" ist prinzipiell keine schlechte CD, und als Tost-Fan sollte man sie sich schon in die Sammlung stellen - aber angesichts der Qualität, die Wolfgang sonst abliefert, kann ich nicht anders, als enttäuscht zu sein. Kritische Reflexion der Scheibe tut also hier mehr not denn je. Vielleicht, lieber Wolfgang, solltest Du Deine nächste CD ganz simplifiziert aufnehmen, am besten live vor einem kleinen Auditorium ohne großen Schnickschnack, nur mit Gesang und Gitarre bewaffnet. Das könnte dann gleichzeitig auch die beste Qualitätskontrolle sein.
Sollte der Erwerbswillige im Plattenladen um die Ecke nicht fündig werden, dann frage er mal bei Wolfgang Tost, Am Pfarrstück 15, 09221 Neukirchen, Tel./Fax 0371-2629684, Email liedtost@web.de nach.
 



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