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von rls

STRATOVARIUS: Best Of   (earMusic/Edel)

Eine (in der vorliegenden Limited Edition) aus zwei CDs mit Studiomaterial und einer Livescheibe bestehende Best Of von Stratovarius? Da dürften nicht nur Spaßvögel eine prima Lösung im Hinterkopf haben: CD 1 wäre mit dem "Twilight Time"-Album, dem 1992 veröffentlichten Zweitling, zu bestücken (vier Megaklassiker, nämlich die für die späteren Alben prototypischen Melodic-Speed-Feger "The Hands Of Time" und "Out Of The Shadows", das die progressiven Ambitionen in exzellenter Weise umsetzende angedüsterte "The Hills Have Eyes" und die Jahrhundertballade "Lead Us Into The Light", werden von vier ebenfalls guten bis sehr guten Nummern flankiert), CD 2 mit "Episode", dem fünften, 1996 erschienenen Album, einem der ganz großen Klassiker des melodischen Speed Metals ohne einen einzigen schwachen Moment (okay, das Soloduell in "Tomorrow" hätte noch den einen oder anderen Durchlauf mehr bekommen dürfen), und für CD 3 böte sich eine geringfügig gekürzte Fassung des "Visions Of Europe"-Livealbums an ...
Ganz so einfach ist die Sache dann aber doch nicht, denn so erbaulich eine derart bestückte Scheibe auch wäre, sie würde verkennen, daß Stratovarius über ihre ganze Karriere verstreut einen Haufen sehr starker Songs geschrieben haben, die zu Recht einen Platz auf einer derartigen umfassenden 29-Track-Compilation (bzw. 40 in der Limited Edition) beanspruchen könnten. So stand der Compiler also vor der Qual der Wahl, welche 28 Songs er für die beiden Studioscheiben auswählen und Mika Jussila zum Remastering übergeben sollte. Nummer 29 steht gleich am Beginn von CD 1: "Until The End Of Days" ist neu und macht gleich im Einleitungsteil deutlich, daß das dienstälteste Mitglied, der 1995 zum Viertling "Fourth Dimension" eingestiegene Sänger Timo Kotipelto in dieser Ansammlung von Könnern mittlerweile die niedrigste Faßdaube ins Feld führt: Wie er sich dort nach oben quält, das ist geradezu unangenehm anzuhören und verdirbt einem den Spaß an dem nicht weiter auffallenden, aber guten Song. Daß Kotipelto trotz seiner hörbar gealterten Stimme auch heute noch zumindest im Studio gute Arbeit abliefern kann, stellt gleich danach "My Eternal Dream", der Opener des aktuellen Studioalbums "Eternal", unter Beweis, der zugleich einer der stärksten Songs der Stratovarius-Ära nach dem Ausstieg von Bandkopf Timo Tolkki geworden ist: Speed vom Faß, aber wendungsreich, trotzdem nicht beliebig, sondern logisch wirkend, mit viel Spielfreude und in einer Tonlage gehalten, wo Kotipelto auch heute noch erstklassige Arbeit verrichten kann. Das Vorhandensein dieser Nummer und auf CD 2 auch noch von "Shine In The Dark" zeigt, daß das Vorhaben, die Karriere der Band umfassend zu beleuchten, zumindest auf der neuzeitlichen Seite ("Eternal" wurde 2015 veröffentlicht und markiert wie erwähnt das aktuellste Studioalbum) ausfallslos realisiert wurde - an der anderen Seite ist das nicht ganz gelungen, denn Material vom "Fright Night"-Debütalbum fehlt, obwohl zumindest der Titeltrack oder "Future Shock" durchaus das Zeug dazu gehabt hätten, in diesem Kontext hier mitzumischen. Aber der Compiler hat anders entschieden (auch ganz frühes Demomaterial o.ä. fehlt) und setzt erst mit "Twilight Time" ein, und zwar mit dessen Opener "Break The Ice" (gut, aber was besser gewesen wäre, steht weiter oben im Text). Auch die Folgealben "Dreamspace" und "Fourth Dimension" stellen mit "Wings Of Tomorrow" (kein Europe-Cover, aber trotzdem partiell stark nach ebenjenen klingend) und "Distant Skies" jeweils nur eine Nummer (was bedeutet, daß "Against The Wind", Opener des letztgenannten und einer der stärksten Songs der Bandgeschichte, fehlt) - erst "Episode" wird stärker berücksichtigt: "Speed Of Light", "Will The Sun Rise?" und die Jahrtausendballade "Forever" bilden eine logische Wahl und lassen dennnoch neun Wünsche offen. Für das nahezu gleichstarke "Visions"-Folgealbum, das vielen sogar als Gipfelpunkt des Bandschaffens überhaupt gilt, darf Analoges angeführt werden: "Forever Free", "Paradise" und "Black Diamond" sind vertreten, aber auch der Titeltrack, das vermutlich beste Epos der Bandgeschichte, und noch so mancher weitere Song hätte Freude ausgelöst. Die Epos-Freunde werden dafür wenigstens mit dem ähnlich starken "Destiny"-Titeltrack verwöhnt, "S.O.S." von der gleichen Scheibe war natürlich auch Pflicht, und dann kommt noch "No Turning Back", das ein letztes Mal den bandtypischen geradlinigen Melodic Speed bietet, der in der Folgezeit immer stärker progressiven Anwandlungen unterzogen wurde. Damit war der Gipfel aber endgültig überschritten, was seinen Ausdruck findet, daß die restlichen Alben der Tolkki-Ära wieder nur zwei oder je einen Song stellen dürfen: Von "Infinite" kommen "Hunting High And Low" und "A Million Lightyears Away", die Raritätensammlung "Intermission" stellt den neuen Song "Will My Soul Ever Rest In Peace?", "Eagleheart" markiert die Pflichtnummer des ersten "Elements"-Teils, der zweite ist mit "I Walk To My Own Song" vertreten, und dann verloren Stratovarius auf dem selbstbetitelten 2005er Album den Speed und die Linie ("Maniac Dance" spiegelt perfekt die Verwirrung wider) und später auch noch Tolkki, wonach zwar der Speed wiederkehrte, aber dafür das geniale Element nur noch gelegentliche Stippvisiten abgab, wenngleich auch die Alben mit Mattias Kupiainen ohne Wenn und Aber hörenswert sind, wenn man erstens keine Wunderdinge wie zu "Episode"-/"Visions"-/"Destiny"-Zeiten erwartet und zweitens im Hinterkopf behält, daß Kotipeltos Stimme langsam zum limitierenden Faktor des Materials wird. Die Band selbst ist vom neuen Material natürlich so überzeugt, daß der Compiler jedes der vier Post-Tolkki-Studioalben mit mindestens zwei Nummern bedacht hat: "Polaris" mit "Deep Unknown" und "Winter Skies", "Elysium" mit den beiden Openern "Under Flaming Skies" und "Darkest Hours" (die auf CD 1 interessanterweise gleich hintereinander stehen, aber in der genannten Reihenfolge und damit anders herum als auf dem Album) und zusätzlich noch mit dem Titeltrack (mit 18 Minuten bisher längstes Stück der Band - gut, aber den letzten genialen Faktor vermissen lassend), "Nemesis" mit "If The Story Is Over", "Halcyon Days" und "Unbreakable" (als dessen Promoargument der Beipackzettel vermerkt, es sei der meistgestreamte Song der Bandgeschichte, was sich freilich dadurch relativiert, daß es zu Zeiten der drei Gipfelalben noch gar kein Streaming gab), und die beiden "Eternal"-Beiträge sind weiter oben ja bereits genannt worden. Hier und da darf man bei diesen neuen Nummern durchaus geteilter Meinung sein und hätte die eine oder andere gern noch durch älteres Material ersetzt (kapazitätstechnisch ist auf den beiden CDs mit dem Studiomaterial nichts mehr zu wollen - knapp 80 bzw. knapp 78 Minuten lassen keinen Spielraum mehr), aber vielleicht wächst ja auch die eine oder andere noch, wenngleich das bestimmt kein Argument darstellt, sie ausgerechnet auf eine Best Of zu packen. Auf der einen Seite ist es verständlich, daß die Band nicht ausschließlich auf ihre Vergangenheit reduziert werden will, und wer die Gipfelalben hören will, der kann sie ja nach wie vor als Ganzes in den Player werfen - auf der anderen Seite stellt man gerade bei solchen Ausnahmekönnern, wie wir sie hier vor uns haben, natürlich auch gewisse Ansprüche. Für den Fan, der schon alle regulären Alben im Schrank hat, bieten die beiden Studio-CDs allerdings sowieso keinerlei Kaufanreize, wenn man "Until The End Of Days" nicht als solchen werten will.
Für diesen Personenkreis könnte allerdings die dritte CD von Interesse sein, sofern es sie nicht auch irgendwo eigenständig zu kaufen geben sollte. Die enthält den 2015er Wacken-Auftritt von Stratovarius, ergo 10 Songs plus Intro, die sich zu etwa 55 Minuten summieren und naturgemäß die eine oder andere Überschneidung mit dem Studiomaterial zeigen. Aber da die Band einen stark oldschoolig geprägten Set spielte, bekommt man noch zwei zusätzliche Nummern aus den Neunzigern (und dazu noch das jüngere "Dragons"): "Legions Of The Twilight" von "Visions" sowie das als Studiofassung schmerzlich vermißte "Against The Wind". Ein wirklicher Ersatz ist die Liveversion allerdings nicht - denn wir erinnern uns an Timo Kotipeltos Stimme. Hier auf der Bühne wird deutlich, wie stark er über die Jahre hinweg abgebaut hat: "Black Diamond" etwa wird schon tiefer gespielt als früher (und verliert damit einen guten Teil seines Reizes, nämlich seinen Fröhlichkeitsfaktor), aber Kotipelto muß immer noch extrem kämpfen, um wenigstens die nun verlangten Töne noch hinzubekommen, und in klarer Manier schafft er es leider gar nicht mehr, sondern muß shouten und pressen. Phasenweise entsteht die Illusion eines "richtigen" Power-Metal-Shouters, und wenn man sich einmal an die Vorstellung, daß Stratovarius einen solchen am Mikrofon beschäftigen könnten, gewöhnt hat, dann funktioniert einiges gar nicht so schlecht. Aber dieser Lernprozeß dauert, und man darf auf keinen Fall den Fehler begehen, CD 3 gleich nach CD 1 und CD 2 zu hören - die Enttäuschung wird bitter sein. Daß Kotipelto in den Ansagen gleich mehrfach das Publikum fragt, ob es Old School Power Metal hören wolle, darf als kurioser Fingerzeig gewertet werden, denn als Old School Power Metal konnte man die Studioalben der Band eigentlich noch nie klassifizieren. Wenig ersprießlich für die Stimmung der Motivationshymne "Against The Wind" ist der Fauxpas des Sängers, den Song als "Against The F****** Wind" anzukündigen. Wenigstens entledigen sich die Instrumentalisten souverän ihres Jobs, so daß die CD auf einer anderen Ebene als der eigentlich erhofften durchaus funktionieren kann. Aber die Gefahren von Stratovarius-Liveaufzeichnungen sind ja bereits im Review zur jüngsten Livescheibe angeklungen, und sie bestätigen sich auch hier, wobei Sound und Publikumsreaktionen keinen Anlaß zur Klage bieten. Trotzdem bleibt zweifelhaft, ob man diese Veröffentlichung wirklich braucht. Ein guter Anlaß, die Studioalben mal wieder in den Player zu werfen, ist damit zwar gegeben, aber wer da noch Lücken in der Sammlung hat, dem sei geraten, noch zu warten - innerhalb der nächsten Monate soll schrittweise der Backkatalog mit Bonusmaterial wiederveröffentlicht werden.
Kontakt: www.stratovarius.com, www.edel.com

Tracklist:
CD 1
Until The End Of Days
My Eternal Dream
Eagleheart
Speed Of Light
S.O.S.
Forever Free
Wings Of Tomorrow
No Turning Back
Break The Ice
Distant Skies
Will The Sun Rise
A Million Light Years From Home
Under Flaming Skies
Darkest Hours
Winter Skies
I Walk To My Own Song
Maniac Dance

CD 2
Halcyon Days
Will My Soul Ever Rest In Peace?
Destiny
Paradise
Deep Unknown
Elysium
Black Diamond
If The Story Is Over
Unbreakable
Forever
Shine In The Dark
Hunting High And Low

CD 3
Intro
Black Diamond
Eagleheart
Against The Wind
Dragons
Legions Of The Twilight
Paradise
Shine In The Dark
Speed Of Light
Unbreakable
Hunting High And Low
 



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