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von rls

SEVEN STEPS TO THE GREEN DOOR: Fetish   (Progressive Promotion Records)

Die redaktionsinternen Meinungen zum Vorgängeralbum "The ?Book" waren geteilt: Während Kollege Tobias Audersch das Werk für eines der besten Prog-Alben des Jahres 2011 hielt, gefiel dem hier tippenden Rezensenten, der die Scheibe für sein damaliges Zweitheft G.U.C. aufarbeitete, das Gehörte überhaupt nicht, und er konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, daß das Konzept eher eine bedrückende Last als ein tragendes Gerüst für die Musik darstellte, so daß man das Ergebnis nur noch mit dem Begriff "überambitioniert" umschreiben konnte, das mit "The Green Door - Looking For The Last Solution" nur einen Geniestreich enthielt, der den Ansprüchen, die der Hörer an diese Ansammlung von Könnern mittlerweile zu stellen pflegt, genügen konnte. Vier Jahre später liegt mit "Fetish" nun der Nachfolger des fragwürdigen Buches vor, und der hier tippende Rezensent kann aufatmen: Die acht Songs (plus kurzes Intro "Possible Delayed") orientieren sich an ebenjenem Geniestreich und/oder an den starken Frühwerken der Band, das eher lockere Konzept beflügelt die Band mehr, als daß es sie hemmt, ein paar neue Einflüsse bereichern das bewährte Progrockpuzzle, und selbst der beim letzten Mal merkwürdig schlapp wirkende Sound kommt diesmal wieder klar und energisch aus den Boxen, wobei letztgenannter Eindruck auch etwas mit einer der erwähnten Bereicherungen zu tun hat: Martin Schnella, mit dem Chefdenker Marek Arnold ja auch bei Flaming Row gemeinsame Sache macht, ist mittlerweile bei SSTTGD eingestiegen und hat auf der Studiovariante gleich die kompletten Saiteninstrumente übernommen. Seinen Metalbackground hört man deutlich heraus - und er eröffnet der Band neue Möglichkeiten, die diesmal an den richtigen Stellen realisiert werden ("Imprisoned" beispielsweise gewinnt durch die ultrafetten Gitarren enorm), auch wenn mancher Hörer vielleicht einwenden wird, daß die Annäherung FR-SSTTGD möglichst nicht noch intensiviert werden sollte, um jeder der beiden Bands ihr eigenes Profil zu bewahren. Aber dabei hilft SSTTGD der noch einen Tick gesteigerte eklektizistische Ansatz: Zirkusartige Passagen wie in "Inferior" und "Imprisoned" kannte man aus dem Bandschaffen bisher so noch nicht, und wenn oben davon die Rede war, daß die beiden zentralen Kreativköpfe (neben dem die Tasten- und Blasinstrumente beisteuernden Marek Arnold noch Drummer Ulf Reinhardt, wobei Schnella mittlerweile auch in den Kompositionsprozeß eingebunden ist) die Tugenden von "The Green Door - Looking For The Last Solution" weiterentwickelt haben, so bezieht sich das nicht zuletzt auf die Chöre: Besagte Nummer hatte Satzgesänge des Leipziger Ensembles Sjaella enthalten - die sind im Gegensatz zu einer Latte anderer Gäste, darunter allein acht Sänger mit Subsignal-Fronter Arno Menses ("Set In Motion") als prominentester Figur, auf der neuen CD zwar nicht dabei, aber die Erfahrungen mit ihnen haben trotzdem hörbar Pate für diverse chorale Arrangements in "Still Searching" gestanden. Und davon lebt "Fetish": daß es trotz allen Anspruchs stets griffig bleibt, auch wenn die Songwritingfraktion diesmal so enthusiastisch zu Werke ging, daß außer dem Intro keiner der Songs unter sieben Minuten Spieldauer bleibt und es die Abschlußnummer "Ordinary Maniac" auch gleich mal auf deren 16 bringt, so daß mit 78:33 Minuten die Spieldauer einer Einzel-CD fast ausgereizt wird. Und gleich der dem Intro folgende Opener "Porn!" (der auch mal als Albumtitel im Gespräch war, bevor man diese Idee vernünftigerweise ad acta legte, da jegliche albumbezogene Onlinekommunikation sonst in Spamfiltern hängengeblieben wäre) bringt die Stärken der Band in neun Minuten auf den Punkt: Wie hier wilde Harmonik und Rhythmik, die die Band stärker als bisher gewohnt in die Nähe von King Crimson rückt, mit geradezu lieblich-eingängigen Melodien (wenngleich ohne "Hitcharakter") gekoppelt wird, das soll SSTTGD erstmal einer nachmachen. Und die harmonische Entwicklung bei Minute 1 ist sowas von typisch für Marek Arnolds Arrangierstil (bzw. denjenigen der von ihm geprägten Bands), daß man diese Stelle für einen Blindfoldtest einsetzen könnte, während die unauffällige Beschleunigung bei Minute siebeneinhalb ins Dynamiklehrbuch gehört. Überhaupt die Dynamik - da stecken die Songs jetzt wieder voller Ideen, nachdem das fragwürdige Buch eine gewisse Neigung zum Dahinplätschern zeitigte, und obwohl auch der SSTTGD-geübte Hörer eine ganze Menge Hördurchläufe investieren muß, um sich das neue Material zu erschließen, so ist das doch genau das, was er will. Wenn Arnold, Reinhardt & Co. diesmal die Spannung rausnehmen (das tun sie im wesentlichen in "Bound In Chains", das sich gegen Ende im Kreis zu drehen beginnt), dann tun sie das eben aus Gründen der Dynamik und lassen dadurch die ringsum gelagerten Ideen umso wirkungsmächtiger erscheinen. Klar, manche Idee hat sich zum Rezensionszeitpunkt noch nicht erschlossen, aber daß "Fetish" Zeit braucht, war bereits durchgeklungen - es lohnt die Erschließungsmühe allerdings auch. Daß Arnold darüber hinaus seine Connections aus United Progressive Fraternity nutzt, ist klar, und so hören wir als Gastmusiker u.a. deren Steve Unruh, der mit einem Geigensolo dem als harmlose zweieinhalbminütige Akustikgitarrenballade beginnenden Sechzehnminüter "Ordinary Maniac" noch eine weitere interessante Klangfarbe verleiht. Was freilich auch die "Stammbesetzung", lediglich um Menses verstärkt, für Hochkaräter zustandebringen kann, demonstriert "Set In Motion", wieder mit verschachtelten großartigen Gesangsarrangements, ganz kurzen Uriah-Heep-Anklängen (schon zuvor hatte Arnold freilich auch momentweise die gute alte Hammond-Klangfarbe eingebracht, und in "Ordinary Maniac" tut er's im ersten harten Part dann nochmal, gekoppelt mit einem Uriah-Heep-artigen Chorsatz) und dieser gewissen Grundhärte, die wohl auf Schnella zurückgeht. "Ordinary Maniac" eignet sich allerdings bestens als Zusammenfassung von "Fetish", obwohl längst nicht alle auf dem Album verwendeten Stilmittel hier Eingang gefunden haben. Justo Suarez tritt hier mit seinen Percussions auch mal deutlicher in Erscheinung, UPFs Daniel Mash steuert ein Baßsolo bei, Luca Di Gennaro spielt im Kulminationspunkt der reichlichen Viertelstunde noch ein Synthiesolo, Unruhs Violinsolo ab Minute dreizehneinhalb, auch besagtem Kulminationspunkt zugehörig, wurde bereits erwähnt, neben den beiden "Hauptsängern" Anne Trautmann und Lars Köhler, die beide schon ein breites Spektrum abdecken (besonders Köhlers Variabilität beeindruckt), sind noch drei der Sangesgäste zu hören, und ehe man sich's versieht, ist die reichliche Viertelstunde dieses Songs und damit die ganze Scheibe auch schon wieder herum. "Fetish" zeigt SSTTGD in Bestform, und da ist's natürlich auch kein existentielles Problem, wenn man die schöne Argumentation mit dem fruchtbaren sächsischen Boden nicht mehr so ganz hundertprozentig anwenden kann, denn Schnella ist Niedersachse ... Daß SSTTGD auf dem aktuellen Bandfoto breitbeinig dastehen, ist zwar im Hinblick auf das lose Konzept ironisch befeuert - aber angesichts der Qualität von "Fetish" hätten sie guten Grund, das ernst zu meinen.
Kontakt: www.progressive-promotion.de, www.ssttgd.de

Tracklist:
Possible Delayed
Porn!
Still Searching
Inferior
Imprisoned
Bound In Chains
Last Lullaby
Set In Motion
Ordinary Maniac
 



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