www.Crossover-agm.de SCARLET RAYNE: Theater Humanitarian
von rls

SCARLET RAYNE: Theater Humanitarian   (Arkeyn Steel)

Kollege Thorsten war anno 1990/91 wachsam und schnell, und so gehört er zu den weltweit nur 1000 Menschen, die die seinerzeit erschienene Original-CD von "Theater Humanitarian" erstehen konnten - in genau dieser Stückzahl gibt es diese CD nur (dazu kommen noch 1500 Ausgaben als MC), und sie sollen im Handumdrehen vergriffen gewesen sein, ebenso wie die 500 Exemplare des zuvor eingespielten Drei-Track-Demos. So sagt es jedenfalls das Booklet des nun vorliegenden Re-Releases, welcher dem weltweiten Bestand von "Theater Humanitarian" noch einmal 2500 Exemplare hinzufügt, davon 2000 CDs (der Rezensent besitzt eine sehr frühe Nummer, nämlich 29) und erstmals auch 500 Exemplare im LP-Format für die diesbezügliche Sammlerfraktion. Wie groß die Nachfrage ist, bleibt freilich abzuwarten, denn "Theater Humanitarian" fällt hörseitig nicht gerade unter die leicht zugängliche Kategorie - andererseits ist man durch die Entwicklungen im Progmetal gerade der 90er Jahre heutzutage ja einiges gewöhnt und findet daher vielleicht sogar leichter Zugang zu den acht regulären Songs des Albums. Hier wimmelt es zwar nicht gerade von Tempowechseln, aber diese kommen zumeist recht überraschend um die Ecke gebogen (man höre als Exempel mal "Covered Fear", wo man die Speedausbrüche in der Strophe nun ganz und gar nicht erwarten würde), wobei die Übergänge nicht mal sonderlich holpern, sondern ganz einfach gar nicht erst ausgebildet wurden, die betreffenden Parts also nahtlos aneinander anschließen. Scarlet Rayne hatten aber auch kein Problem, mal mehrere Minuten lang ein Tempo durchzuspielen, wenn sie es für richtig hielten. So entstand eine relativ eigenwillige Spielart des Progmetal mit starker Tendenz zum klassischen US-Metal nicht nur, aber auch der Texas-Bauart - man stelle sich einfach eine Mixtur aus frühen Queensryche und Helstar vor, und man kommt ungefähr zum Ziel. Dabei gingen Scarlet Rayne von den Songbausteinen her recht variabel vor - wenn man sich mal "CFC" anhört (das natürlich keine Hymne an den Chemnitzer Fußball-Club ist, sondern für "Cranking For Christ" steht), hat man quasi alle Elemente beisammen, aus denen Dan Johnston die acht Songs schraubte, vom fast doomigen Introriff über epische Schwelgereien und griffige Midtempoparts bis hin zum leichtfüßigen, wenngleich immer leicht polterig wirkenden Speed. Fehlt allenfalls noch die balladeske Komponente, aber die folgt in "Sands Of Time" auf dem Fuße - interessanterweise schaffte es diese reinrassige Halbballade (hier enthalten sich Scarlet Rayne mal allen stilistischen Wendungen und ziehen die Linie dieses schönen eskapistischen Songs gerade durch, werden lediglich gegen Ende hin nach der Fünfminutengrenze noch etwas bombastischer und härter, als man es schon gar nicht mehr vermutet hatte) in den Soundtrack eines tschechischen Films und begann dadurch ein Eigenleben zu führen, das Johnston noch Royalties einbrachte, als Scarlet Rayne schon lange nicht mehr existierten. Freilich wissen noch nicht alle Ideen des im jugendlichen Überschwang komponierenden Johnston (zur Zeit der Bandgründung 1988 war er gerade mal 17 und sein trommelnder Bruder Matt, der die Band aber schon vor dem Debütalbum wieder verließ und durch einen gewissen Crush ersetzt wurde, gar erst 14) zu überzeugen - manche Passage holpert dann doch etwas zu sehr und verrät deutlich den Lernprozeß, in dem sich Johnston noch befand, so beispielsweise die Bandhymne "Scarlet Rayne", in die sämtliche refrainartigen Passagen irgendwie notdürftig eingeklebt wirken. Daß Johnston auch in diesem frühen Stadium ("Scarlet Rayne" ist einer der drei Demotracks) schon gute Arbeit abliefern konnte, beweist "Through Eyes Of The Past", sicherlich mit dem Demotrack "Eyes Of The Past" identisch, vergleichsweise geradlinigen US-Metal mit nur einigen Breaks und Wendungen auffahrend und viel Hörspaß machend, auch heute noch, wenngleich man auch hier im unbedarften Stampfteil leicht ins Schmunzeln gerät. (Schmunzeln kann man auch im letzten Track des Albums "Midnight Excursion" - eine Idee, die die Friesen-Deaththrasher Assorted Heap mit "Frisia Non Cantat" kurze Zeit später ähnlich umgesetzt haben.) Der dritte Demotrack "Go Tell" ist übrigens nicht auf dem Album gelandet, verbleibt also in den Archiven, was den Wunsch aufkommen läßt, daß man diese drei Demotracks doch komplett noch der Wiederveröffentlichung als Boni hätte beigeben können. Das ist nicht geschehen, dafür finden sich aber vier andere Boni aus einer 1992er Aufnahmesession, deren Ergebnisse unter dem veränderten Bandnamen SolScape hätten erscheinen sollen, wenn dem nicht die komplette Bandauflösung noch im gleichen Jahr dazwischengekommen wäre. Warum sich Scarlet Rayne umbenennen wollten, wird nach dem Hören dieser vier Tracks deutlich, denn man hört schon noch Songs, die offensichtlich der gleichen Songwritinghand entsprungen sind wie die auf "Theater Humanitarian", die allerdings deutlich "moderner" klingen und quasi mit Riesenschritten die Entwicklung von Queensryche von "Rage For Order" bis zu "Operation: Mindcrime II" (ja, "II"!) teils nachzeichnen, teils vorwegnehmen und auf geringstem Raum komprimieren. Da findet sich nach wie vor vertracktes Material, das an die Frühzeiten erinnert, aber andere Stilistiken mit einzuflechten trachtet und bei Queensryche in die "Promised Land"-Phase gehören würde ("Razorback"), da findet sich eher melodicrockiges Material mit "Empire"-Schlagseite ("Lost Meaning"), und trotz fehlender Grungeelemente wird man auch eine "Hear In The New Frontier"-Ahnung hier und da in "How Now" nicht los. Das ist alles nicht uninteressant und zweifellos von mehr als nur rein dokumentarischem Wert - aber die editorisch bessere Lösung wäre wohl dennoch gewesen, auf "Theater Humanitarian" die drei Demotracks ans Boni zu stellen und die SolScape-Session als Ganzes gesondert zu veröffentlichen (sie soll aus 10 bis 12 Songs bestanden haben, sagt das Booklet, wohingegen andere Quellen nur von sechs Songs sprechen - aber in dem Falle wären für die beiden übrigen auch noch 23 Minuten Platz auf der CD gewesen). Sei's drum, die Griechen von Arkeyn Steel Records (strukturell an Steel Gallery Records hängend) haben sich anders entschieden, und da mit den vorliegenden 2500 Exemplaren der Bestand sicherlich auf Jahre hinaus gesichert sein dürfte, wird wohl in absehbarer Zeit nicht mit weiteren Releases zu rechnen sein. Bis auf die augenunfreundliche Gesamtfarbgebung (die allerdings schon im hier übernommenen Originalcover angelegt ist) weiß die generell Aufmachung zu überzeugen (alle Texte plus Liner Notes), der Sound ist, naja, halt zeittypisch, der dokumentarische Wert unbestritten, aber auch der musikalische Hörwert auf achtbar hohem Niveau und "Theater Humanitarian" deshalb eine Bereicherung der gottesfürchtigen wie der säkularen Tonträgersammlung. Zu bekommen hierzulande u.a. via www.karthagorecords.de
Kontakt: www.arkeynsteel.com

Tracklist:
Scarlet Rayne
Alpha & Omega
Tales Of The Lost
Covered Fear
CFC
Sands Of Time
Through Eyes Of The Past
Midnight Excursion
Razorback
Lost Meaning
Lions Den
How Now



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